Archiv


Unter Strom

Atomenergie - CDU und FDP wollen sie behalten, SPD und Grüne halten weiterhin am Ausstieg fest. So denken Politiker und Bevölkerung über den angeblich saubersten Strom der Welt.

Von Wolfram Stahl |
    "Eigentlich bräuchten wir die. Erstmal auf die Dauer billiger, Kohle wird ja immer weniger."
    "Tschernobyl ist mir immer noch sehr präsent und die Gefahren der Atomkraft und der Nuklearenergie und ich bin auf jeden Fall dagegen."
    "Wie oft sieht man irgendwelche Windräder, die natürlich auch ihre Mankos haben, Licht, Schatten, Lautstärke – wie auch immer – für die Anwohner. Aber in vernünftigen Rahmen gibt es einfach genügend Alternativen für die Atomkraft."

    Die Akzeptanz für Atomenergie in der Bevölkerung ist keinesfalls überwältigend. Laut einer Umfrage des Nachrichtenmagazins Stern sind 50 Prozent der Deutschen für den Ausstieg aus der Kernenergie und nur 44 Prozent können sich eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke vorstellen. Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sieht auch deshalb für Kernkraftwerke keine Zukunft.

    "Für den Neubau würde ich sagen, gibt es überhaupt keine Unterstützung, und ich würde auch nicht sehen, dass in Deutschland neue Kernkraftwerke gebaut werden."

    Bei der Standortfrage für potenziell neue Atomkraftwerke werden häufig sogar die hartgesottenen Befürworter der Kernenergie weich. Bitte überall, nur nicht vor meiner Haustür. Dass der Atommüll zwar schier endlos strahlt, aber der Rohstoff Uran so endlich ist wie Öl und Kohle, wird in der Argumentation von Politikern gern verschwiegen. Claudia Kemfert.

    "Bei Uran rechnet man mit einer statistischen Reichweite von 80 Jahren, je nachdem wie viel Kernkraftwerke jetzt noch weiter gebaut werden. Manche sprechen von einer Renaissance. Das würde ich nicht sehen, denn vielen Ländern fehlt schlichtweg das Geld, jetzt auch in der Finanzkrise. Atomkraftwerke sind sehr kostenintensiv, man muss hier entsprechende Gelder aufwenden und man muss auch eine entsprechende Bestätigung der Gemeinschaft haben, dass sie die Risiken übernimmt, im Falle eines Unfalls die Kosten trägt, im Falle eines Terroranschlags die Kosten trägt und so weiter. Und da sehe ich doch eher Probleme."

    Dass Großbritannien, Italien, die Schweiz und andere Länder tatsächlich ihre Ankündigungen wahr machen und neue Atomkraftwerke bauen, hält Kemfert deshalb für ziemlich unwahrscheinlich. Sogar Befürworter der Kernkraft in der Bevölkerung lehnen neue AKWs ab, sehen die vorhandenen Anlagen als Brückentechnologie.

    "Nein, keine Zukunftstechnologie, aber um in die Zukunft rein zu kommen. Es wird ja weiter gearbeitet, nicht dass wir stehen bleiben wollten, wir haben ja auch die entsprechenden Wissenschaftler. Aber die Zeit muss dann genutzt werden. und bis dahin müssen wir unseren Strom irgendwo her bekommen."

    In der deutschen Politik wird nach dem letzten Störfall im Atomkraftwerk Krümmel wieder heftig um die Kernenergie gestritten. Die politischen Lager sind seit Jahrzehnten geteilt, die Argumente Pro und Contra Atomstrom seit Jahren die gleichen.

    "Ich will, dass Deutschland ein zukunftsfähiges Land bleibt. Dazu gehört für mich auf absehbare Zeit auch Kernenergie."

    "Kernkraft ist für die CDU Öko-Energie"

    "Der alberne Versuch der CDU, Atomstrom als Ökostrom darzustellen, kennzeichnet die CDU eher als Atomsekte."

    Zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihrem Generalsekretär Ronald Pofalla und SPD-Generalsekretär Hubertus Heil liegen Welten – obwohl man als schwarz-rote Koalition gemeinsam das Land regiert. Momentan gilt für die Nutzung der Kernenergie, was zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Energieversorgern im Juni 2000 ausgehandelt und auch gesetzlich verabschiedet wurde. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder:

    "Wir haben ein klares Ende für die Nutzung der Kernenergie festgelegt."

    Die SPD fühlt sich an diesen Beschluss gebunden, die Union ist für eine weitere, keinesfalls begrenzte Nutzung der Atomkraft. Die gegensätzlichen Positionen der schwarz-roten Bundesregierung sind deshalb im Koalitionsvertrag auch entsprechend fixiert.

    "Zwischen CDU, CSU und SPD bestehen hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie unterschiedliche Auffassungen. Deshalb kann die im Juni 2000 getroffene Regelung nicht geändert werden."

    Kurz vor der Bundestagswahl stehen zumindest in Energiefragen die möglichen Partnerschaften fest. Die Liberalen sind auch in der Atomfrage an der Seite der Union, für die Grünen ist der beschlossene Atomausstieg immer noch so grundsätzlich, dass ein Ausstieg aus dem Ausstieg zum Ausschlusskriterium einer ansonsten möglichen Koalitionskonstellation würde.

    "Wir brauchen einen Energiemix, der auf regenerative Energien setzt, aber der eben auch nicht auf Atomkraft verzichtet."

    "Es wird ein Kernthema bleiben. Das sag ich mal im doppelten Sinne. Wir wollen ja schwarzgelb verhindern. Sie kennen das schwarz-gelbe Radioaktivitätszeichen."

    Kernkraft – Nein Danke, vielleicht oder auch ja, bitte – das wird sich wohl auch mit dem Ausgang der Bundestagswahl entscheiden. Das häufig gebrauchte Argument, dass Atomstrom günstiger sei als der anderer Kraftwerke, bleibe aber auch weiterhin eine Mär, sagt Cornelia Ziehm von der Deutschen Umwelthilfe. Denn eigentlich müssten die Verbraucher demzufolge bei einem durchschnittlichen Atomstromanteil von 23 Prozent schon jetzt über den Preis profitieren.

    "Das ist das Argument, was zunächst auch charmant klingt. Wenn man sich das aber genauer anschaut, dann muss man feststellen, dass der Strompreis weder in der Vergangenheit noch heute besonders niedrig ist, obwohl wir ja heute Atomenergie haben in unserem Strommix. Die Meiler sind abgeschrieben, das heißt eigentlich, dass die preiswerten Stromgestehungskosten von den Energieversorgungsunternehmen weitergegeben werden an die Verbraucher, aber genau das passiert nicht. Der Strompreis ist nicht billiger, sondern das Gegenteil ist der Fall."

    Die Stromkonzerne machten auf Kosten der Verbraucher Milliardengewinne, meint Ziehm. Ein geradezu naiver Vorschlag stammt von der FDP, die einen Deal mit den Energieversorgern machen möchte, falls Union und Liberale sich für eine Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke entscheiden. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel.

    "Im Gegenzug, so schlagen wir vor, müssen sich die Kernkraftwerksbetreiber dazu bereit erklären, einen Teil der finanziellen Vorteile an eine zu gründende Stiftung "Deutsche Energieforschung" abzuführen. Die Erträge dieser Stiftung sollten zur Forschung an innovativen Energietechnologien eingesetzt werden, dabei sind vorrangig Speichertechnologien für erneuerbare Energien zu erforschen."

    Umweltverbände wie die deutsche Umwelthilfe lehnen diesen Vorschlag ab und verweisen unter anderem darauf, dass nicht der Verbraucher über die Kernenergie abgeschöpft werden dürfe. Zukunftsforschung gehöre schließlich zum Geschäftszweck eines Unternehmens, darüber hinaus gehöre die Förderung der Grundlagenforschung zu den wesentlichen Aufgaben des Staates. Und auch die Technologieführerschaft im Bereich der Kernkraft dürfe nicht zum Argument werden, komplett auf das mittel- bis langfristige Auslaufmodell der Kernkraft zu setzen, meint Cornelia Ziehm von der Deutschen Umwelthilfe.

    "Für die noch verbleibende Laufzeit ist es natürlich wichtig, dass die Sicherheit gewährleistet ist. das heißt, wir müssen auch eine entsprechende Ausbildung und Fortbildung für Atomphysiker gewährleisten. Aber, wo wir im Moment eine Technologieführerschaft haben als Bundesrepublik Deutschland, ist der Bereich der erneuerbaren Energien. Und wenn auch die Union und die FDP es ernst meinen, dass die Atomenergie nur eine Brückentechnologie sein soll, dann muss es jetzt darum gehen, dass wir unser ganzes wissenschaftliches Potenzial in den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien stecken und damit wirklich die Zukunftsfähigkeit und Technologieführerschaft Deutschlands für die nächsten Jahre und Jahrzehnte sichern."

    Viele Kritiker der Atomenergie befürchten, dass verlängerte Laufzeiten für Kernkraftwerke in der Konsequenz dazu führen könnten, dass zu viel Geld und Energie in das Auslaufmodell gesteckt würden. Fatal wäre, wenn man dadurch die wirklich sauberere, sicherere und kostengünstigere Zukunft in Deutschland verschlafe.