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Unternehmen befürchten Energie-Versorgungslücken

Hersteller und Zulieferer im Bereich der erneuerbaren Energien sehen die Energiewende positiv, sagt Stephan Kohler von der Deutschen Energie-Agentur. Netzbetreiber und Politik dagegen bezweifeln die Versorgungssicherheit - speziell im Süden Deutschlands sorge man sich um die Geschwindigkeit des Netzausbaus.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 10.09.2012
    Sandra Schulz: Die hohen Lebensmittelpreise haben den Biosprit in Verruf gebracht. Kritiker spitzen den Konflikt gerne mit einer Alliteration zu: "Tank oder Teller". Klar ist: Der Anbau für Sprit, zum Teil aus erneuerbaren Quellen, er ist eine Konkurrenz für den Anbau von Lebensmitteln. Vor einer Überreaktion warnt jetzt allerdings EU-Kommissar Ciolos, eines der Themen der EU-Agrarminister bei ihrem Treffen auf Zypern.

    Sind die Ziele der Energiewende überhaupt erreichbar? Skeptisch hatte sich dazu vor Monaten selbst Bundesumweltminister Altmaier gezeigt. Wie gelingt der Klimawandel? Der Frage geht der Bundesverband der Industrie "BDI" heute nach auf einem Kongress in Berlin. Ganz erheblich ist die Skepsis bei vielen Unternehmen – das hatte Anfang Juni eine Umfrage unter mehreren Hundert Unternehmen gezeigt – der Deutsche Energiewende Index, kurz DEX, ermittelt von einer Unternehmensberatung und der Deutschen Energieagentur. Heute werden neue Zahlen vorgestellt, und mit dem Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur, einem Institut, das zum Teil vom Staat, zum Teil von Finanzunternehmen getragen wird, mit Stephan Kohler bin ich jetzt telefonisch verbunden. Guten Morgen!

    Stephan Kohler: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Wie sehen die Unternehmen die Energiewende inzwischen?

    Kohler: Wir haben jetzt im dritten Quartal nochmals die Unternehmen, also Geschäftsführer, Vorstände von Unternehmen befragt, wie ihre Stimmung gegenüber der Energiewende ist, und wir können feststellen, dass sich gegenüber dem letzten Quartal eine leichte Verbesserung ergeben hat, also dass die Unternehmen positiver gegenüber der Energiewende gegenüberstehen, wobei sich eben die Gruppen nicht einheitlich darstellen. Investoren, Hersteller und Zulieferer wie auch Energieversorgungsunternehmen haben eine positivere Einstellung, die Netzbetreiber allerdings und die Politik und Verbände eher eine leicht negativere Einstellung und Stimmung gegenüber der Energiewende.

    Schulz: Wenn wir bei den Unternehmen bleiben, die eine positivere Haltung haben. Woran liegt dieser Umschwung, wenn man das so nennen kann?

    Kohler: Wir haben die leichte Verbesserung vielleicht dadurch, dass die Unternehmen jetzt sehen, dass sie mehr Anlagen, mehr Maschinen, also dass die Investitionen jetzt in diesem Bereich auch vorangehen. Wir haben ja einen sehr starken Ausbau zum Beispiel von regenerativen Energiequellen, was sich positiv auf die Unternehmen auswirkt. Sie können in diesem Bereich mehr absetzen, zum Beispiel in der Windenergie hat erst letztens der Verein der Deutschen Maschinenbauunternehmen festgestellt, dass wieder deutlich mehr Windkraftwerke verkauft werden, also da liegen wir positiv. Was immer noch negativ eingeschätzt wird, ist die Versorgungssicherheit. Das ist immer noch ein offenes Problem von der Energiewende.

    Schulz: Und das liegt nicht daran, dass sozusagen das Klappern zum Handwerk gehört, dass natürlich die Unternehmen Barrieren aus dem Weg geschafft wissen wollen?

    Kohler: Bei der Versorgungssicherheit sind praktisch zwei Themen im Fokus. Das Erste natürlich der Netzausbau, der ja ein wesentlicher Bestandteil ist für die Energiewende. Wir müssen die Netze ausbauen, um zum Beispiel den Strom aus Windenergie in die Verbrauchsschwerpunkte zu bekommen. Das begründet auch die negative Stimmung immer noch der Netzbetreiber gegenüber der Energiewende, weil da kommen wir nicht in der Geschwindigkeit voran, wie es eigentlich notwendig ist. Und der zweite Punkt ist, ob wir genügend gesicherte, also zu jeder Zeit verfügbare Kraftwerksleistungen haben werden, um Stromausfälle zu vermeiden. Das sind die zwei Punkte, die bezüglich der Versorgungssicherheit eben zu dieser negativen Stimmung führen.

    Schulz: Und die Sorgen halten Sie aus Ihrer Perspektive für berechtigt?

    Kohler: Wir würden jetzt nicht irgendwie ein Horrorszenario an die Wand malen, aber wir müssen natürlich sehen, dass zum Beispiel insbesondere im Süden des Landes, in Bayern und Baden-Württemberg, wo ja zwei Drittel der Kernkraftwerksleistungen stehen, die werden abgeschaltet sukzessive, und wir sehen nicht so schnell, dass eben neue Netze gebaut werden von Norden nach Süden, um zum Beispiel den Windstrom hinzutransportieren, oder wir sehen aber auch nicht, dass so schnell neue Erdgaskraftwerke in diesen Regionen gebaut werden. Also wir müssen hier für die Versorgungssicherheit noch was tun, und da halten wir die Befürchtungen auch der Geschäftsführer und Vorstände für berechtigt, aber jetzt nicht, wir wollen jetzt keine Katastrophenstimmung bilden, aber es sind berechtigte Sorgen.

    Schulz: Ich würde es doch gerne versuchen, noch konkreter zu machen. Die Gefahr eines Blackouts, sehen Sie die?

    Kohler: Aktuell nicht und wir haben noch Zeit. Das nächste Kernkraftwerk geht im Jahr 2015 vom Netz, das ist Grafenrheinfeld. Bis dahin muss auf der Kraftwerksseite Versorgungssicherheit gewährleistet werden, und deshalb machen wir ja genau auch den Energiewende-Index, um die Stimmung, um die Sorgen festzustellen, um festzustellen, wo haben wir Probleme, um auch noch Zeit zu reagieren zu haben, und das ist genau das, wo wir sagen, Versorgungssicherheit ist heute gewährleistet, aber da haben wir ein Problem, da müssen wir was tun, und wir haben Instrumente und Maßnahmen, um Blackouts auch verhindern zu können.

    Schulz: Wobei, wenn wir beim Thema Netzausbau bleiben, der Widerstand der Bevölkerung ja ganz erheblich ist. Es gibt eine neue Studie des Bundesumweltministeriums, da sagen fast 60 Prozent, sie würden keine neuen Strommasten akzeptieren. Was ist da falsch gelaufen in der Kommunikation?

    Kohler: In der Kommunikation ist falsch gelaufen, dass oftmals auch – und das haben wir ja in der öffentlichen Diskussion auch – der Ausbau der Netze für nicht notwendig erachtet wird. Wir haben da eine Diskussion, ich spitze es mal zu: Wenn ich mir eine Fotovoltaik an mein Hausdach baue, dann brauche ich keine Stromnetze mehr. Durch die Dezentralisierung sind die Leute der Auffassung, dass wir deshalb keine Netze mehr brauchen. Das ist falsch, wir brauchen Netze. Und wir haben natürlich eine deutlich negative Einstellung zu den Stromtrassen, weil es natürlich nicht eine besondere Landschaftsverschönerungsmaßnahme ist, wenn ich es mal so sagen darf. Also wir haben eine zweigespaltene Einstellung. Wir haben es sehr positiv zu regenerativen Energiequellen, aber die notwendigen Konsequenzen daraus, dass wir auch die Netze benötigen, die ist negativ. Aber ich sehe auch positive Ansätze. Wir haben in vielen Diskussionen, dass die Leute eben schon akzeptieren, dass wir Netze brauchen. Es geht dann häufig noch um das Wie, also bauen wir Freileitungen, bauen wir Erdkabel, wird die heutige Technik verwendet, wird HGÜ-Technik verwendet. Ich denke, da sind die Leute auch gesprächsbereit, mit welcher Technik wir die Herausforderungen bestehen können, den Windstrom zum Beispiel in die Verbrauchsschwerpunkte zu bringen.

    Schulz: Der Geschäftsführer der Deutschen Energieagentur, Stephan Kohler, hier heute bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Danke dafür.

    Kohler: Herzlichen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.