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Uraufführung von ''Hamletmaschine'' als Tanztheater von Daniel Goldin an den Städtischen Bühnen Münster

Schwarz ist es. Alles. Der Raum mit zwei düsteren Gerüsten an den Seiten und die Kleider, der Menschen, die ihn betreten. Zwei Männer sind es, die einen verhüllten Körper schultern und nach einer Weile weiterreichen an hinzugekommene. Schnell füllt sich jetzt die Bühne mit Schwarzgewandeten. Rote Paspeln und Knöpfe an der Kleidung deuten an, dass noch Leben in den traurigen Gestalten steckt. Sie beginnen einen archaischen Tanz. Vor, vor, seit, schließen - langsam schreitet die Gruppe voran. Über dem Schrittmuster dieser Prozession reißen die Oberkörper aus: nach oben, nach unten. Sie sinken zu Boden, aus den Mündern entweichen Sprachfetzen.

Ein Beitrag von Christina-Maria Purkert |
    Erste Fragmente aus Heiner Müllers "Hamletmaschine" lassen sich erkennen. Der Choreograph Daniel Goldin nähert sich langsam dem komplexen Theatertext Heiner Müllers. In diesem langen düsteren Auftakt findet er Bilder, die an den tänzerischen Expressionismus der 20ziger Jahre anknüpfen. Die Gruppetableaus aber auch ein Moment, in dem nur schreckensbleiche Gesichter aus einem Tuch schauen erinnern an die Tänze einer Mary Wigman oder Dore Hoyer.

    Einmal beim Text angekommen behandelt Goldin ihn erstaunlicher Sicherheit. Der Choreograph, der zum ersten Mal ein Theaterstück seiner Arbeit zu Grunde legt, hat ein exzellentes Gespür für den Rhythmus von Müllers Text. Er setzt ihn nicht den sprachlichen Unzulänglichkeiten seines internationalen Tanztruppe aus. Er hat sich drei Schauspieler und drei Schauspielerinnen aus dem Münsteraner Ensemble dazu geholt. Auf diese verteilt er Müllers Text. Die Tänzer verstärken das Gesprochene gelegentlich wie ein Chor aus einem antiken Drama.

    Nur ein amerikanischer Tänzer spricht solo: die englischen Einsprengsel aus Müllers Text erhalten so authentischen Klang. Durch die Verteilung auf mehrere Sprechende gelingt es Goldin, Müllers ständig zwischen Perspektiven hin und her springenden Text nachvollziehbar zu strukturieren. Die klarsten und anrührendsten Momente entstehen, wenn der Hamlet und Nicht mehr Hamletdarsteller spricht. An anderen Stellen wird der Einsatz von Megaphonen überstrapaziert. Die Botschaft, dass hier Agitatoren und Diktatoren das Wort haben, hätte auch noch andere Regieeinfälle verdient. Der Tanz ordnet sich der Sprache unter, sucht nach Bildern für die Endzeitstimmungen, die Müller in zahllosen Assoziationen in seinem kurzen Text in einander verwebt hat. Während das in dem strengen und reduzierten ersten Teil des Abends glänzend gelingt, tut Goldin in dem zweiten Teil gelegentlich etwas zu viel und nutzt zu oft gesehen Klischees: Gibt für die bedrohlichen, der Gewalt nahen Anteile von Sexualität im Fall der Frau wirklich nur Mieder, Strapse und angeschnallte überdimensionale Plastikbrüste als Sinnbilder? Vielleicht ist Goldin hier zu dicht an Müller Regieanweisungen geblieben, denen er weitgehend folgt. Doch hätte es auch noch der Soundtrack von "Apocalyse now" sein müssen, um eine ohnehin klare Botschaft zu verdeutlichen?

    Dennoch bleibt insgesamt ein positiver Eindruck. Goldin ist es gelungen, durch die Verbindung von Tanz und Theater, - die in keinem Moment als zwei verschiedene Dinge auseinanderfallen, - aus Heiner Müllers schwierigem Untergangsszenario ein sinnliche Erfahrung zu machen, die anrührt. Und er ist in keinem Moment der Versuchung erlegen, dem Werk aus dem Jahr 1979 tagespolitische Aktualisierungen überzustülpen. Eine Versuchung, der manch anderer Theatermacher sicher nachgegeben hätte., bei den Passagen über Denkmäler stürzender Machthaber zum Bespiel. In Münster sollte man es sich gut überlegen, ob man in der bevorstehenden nächsten Runde der Spardebatte wieder einmal die Existenz eines Tanztheaters dieser Qualität zur Disposition stellen möchte.

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