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Ursuppe am Beginn der Zeit

Physik. - Eigentlich wollten Physiker des Brookhaven National Laboratory ihre Kollegen mit eindeutigeren Daten zu ihrem experimentellen Urknall beeindrucken. Doch sie staunten selbst nicht schlecht, als sie dabei auf ganz etwas anderes stießen. Denn möglicherweise war das Ur-Universum flüssig.

    Ein Quark-Gluon-Plasma nennen Physiker jenen Zustand, der wenige Mikrosekunden nach dem Startschuss zu allem Sein geherrscht haben soll. Und eben jenen Zustand wollten Wissenschaftler des Brookhaven National Laboratory in vitro schon vor Längerem erzeugt haben. Doch weil die Forschergemeinde den Daten der Labor-Schöpfer nicht so recht trauen wollte, kündigten die Geschmähten für die am Dienstag in Tampa zu Ende gegangene Frühjahrstagung der US-amerikanischen Physikalischen Gesellschaft weitere, aufschlussreichere Informationen an. Aber mit dem, was die Brookhavener Forscher fanden, hatten sie selbst nicht wirklich gerechnet. Als Zeitmaschine zurück zum Urknall nutzen die Physiker einen Ringbeschleuniger namens RHIC - den so genannten Relativistic Heavy Ion Collider. Erst diese Atomschleuder ermöglicht es, Goldatome mit bislang nie erreichter Gewalt aufeinander zu schießen, so dass bei den Kollisionen höchst exotische Teilchen entstehen können. Wenn die Atome aus zwei mal 200 Protonen und Neutronen ineinander fahren, entsteht ein wahrhaft höllischer Feuerball von zwei Trillionen Grad Celsius Hitze, berichtet Sam Aronson vom Brookhaven National Laboratory. Doch dabei handelt es sich nicht wie erwartet um ein gasähnliches Produkt, sondern eher um ein Fluid: "Diese Flüssigkeit war sehr heiß und existierte nur für extrem kurze Zeit. Danach sind die Teilchen in alle Richtungen davon gespritzt." Daher repräsentierten die Messungen bei dem Experiment nur ein Überbleibsel dieser Flüssigkeit. "Doch aus der Verteilung der Bruchstücke könne auf die ehemalige Struktur dieser Flüssigkeit geschlossen werden.

    Um die Uhr so weit zurückzudrehen, bedarf es eines beträchtlichen Aufwandes. Insgesamt arbeiten an RHIC rund 1000 Wissenschaftler in vier Großvorhaben, die sich über den Ring des Beschleunigers verteilen. In jeder dieser Stationen prallen Goldatome aufeinander und schaffen dabei apokalyptische Zustände und kuriose Partikel. Entsprechend umfangreich ist denn auch die Ausbeute an wissenschaftlichen Publikationen. In vier verschiedenen Aufsätzen erörtern die Physiker im Fachblatt "Nuclear Physics" auf insgesamt 350 Seiten ihre Entdeckungen. Dabei verblüfft jedoch die Fachwelt, dass dabei vermieden wird, das so genannte Quark Gluon Plasma als entdeckt zu formulieren. Dazu Bill Zajac von der Columbia Universität. "Wenn Sie sich unsere vier Publikationen anschauen, werden sie sehen, dass jede der vier Arbeitsgruppen es vermieden hat, dem neuen Zustand einen Namen zu geben. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass der Begriff "Quark Gluon Plasma" die Besonderheit dessen, was wir jetzt sehen, nicht erfasst. Wir sehen zwar, dass die Quarks und Gluonen nicht mehr zu kleinen Atomkernen verbunden sind, aber wir sehen jetzt auch, dass sie eine Art Flüssigkeit bilden."

    Dass die Wissenschaftler statt des erhofften Bären eine andere, nicht minder wertvolle Trophäe vorweisen können - auch wenn diese noch namenlos ist - bedeutet indes nicht, dass damit auch das Ende der Arbeit erreicht wäre. Neue Rätsel gibt etwa die extrem geringe Viskosität der Ursuppe auf, die eine so genannte "ideale" Flüssigkeit charakterisiert. Damit liegt jetzt der heiße Ur-Feuerball auf dem Feld der Kosmologen, die ihn jetzt irgendwie in ihre Modelle einfügen müssen.

    [Quelle: Jan Lublinski]