Donnerstag, 25. April 2024

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US-Experte Grünzweig zu Impeachmentverfahren
Trump "auf Dauer daran hindern, ein öffentliches Amt auszuführen"

Die Debatte in den USA über ein Impeachmentverfahren gegen Präsident Donald Trump verdeutliche, dass ein Angriff auf das Kapitol nicht tragbar sei, sagte der Amerikanist Walter Grünzweig im Dlf. Ein solches Verfahren könne Trump auch in der Zukunft von Ämtern "fernhalten", es berge aber auch Risiken.

Walter Grünzweig im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.01.2021
US-Präsident Donald Trump spricht auf einer Demonstration in Washington, D.C.
Ein Impeachmentverfahren gegen Donald Trump wird derzeit in den USA diskutiert (imago images / ZUMA Wire)
Am 20. Januar wird Joe Biden in sein neues Amt als Präsident der USA eingeführt. Donald Trump wäre dann nicht mehr amtierender Präsident. Dennoch wird in den USA nach dem Angriff seiner Sympathisanten auf das Kapitol gerade ein Amtsenthebungsverfahren – ein Impeachment – diskutiert. Man könne mit einem solchen Verfahren Trump künftig von öffentlichen Ämtern ausschließen, sagte Walter Grünzweig, Professor für Amerikanische Literatur und Kultur an der Technischen Universität Dortmund, im Dlf. Das müsste separat vom Senat beschlossen werden.

Friedbert Meurer: Herr Grünzweig, wie viel Sinn würde das jetzt machen, ein Impeachment-Verfahren?
Walter Grünzweig: Na ja, ich glaube, das macht auf doppelte Weise Sinn, ich glaube, da spielen so zwei Ebenen rein: einerseits eine symbolische Ebene. Da wird klargemacht, dass ein solcher Angriff auf die zentralen Institutionen des Landes nicht tragbar ist. Und das erwarten, glaube ich, auch viele nach diesen Fernsehbildern, so eine Art Hygienemaßnahme. Diese physische Attacke auch auf den architektonischen Ort der demokratischen Demokratie, der hat irgendwo einen Schock bewirkt. Und das kann vielleicht dadurch gelöst oder gelindert werden. Gleichzeitig ist es natürlich auch möglich dadurch, ihn auf Dauer daran zu hindern, wieder ein öffentliches Amt auszuüben.
Meurer: Das ist tatsächlich möglich, dass man dann ein…
Grünzweig: "Disqualification to hold an Office", wie das auch heißt. Das muss dann separat vom Senat beschlossen werden. Und dazu braucht man dann auch nurmehr eine einfache Mehrheit und nicht die Zweidrittelmehrheit, die man für die Verurteilung und die Entfernung Trumps aus dem Amt braucht.

Trump "einfach fernzuhalten für die Zukunft"

Meurer: Mal angenommen, irgendwann haben die Republikaner wieder die Mehrheit im Senat oder im Repräsentantenhaus, könnte das dann einfach nicht umgeworfen werden in ein paar Jahren?
Grünzweig: Nein, das glaube ich nicht. Das wäre dann schon auf Dauer. Ich glaube es überhaupt nicht, dass Trump – ob jetzt das gemacht wird oder nicht – sehr viel Zukunftsaussichten hat für 2024. Das wird sich ohnehin ändern. Aber ich könnte mir vorstellen, dass präventiv das jetzt versucht wird. Und das der Grund für das Impeachment-Verfahren dazu eigentlich ist, ihn auch einfach fernzuhalten für die Zukunft.
Meurer: Sehen Sie auch nur den Hauch einer Chance, dass eine Zweidrittelmehrheit im Senat gibt? Dann müssten 17 Senatoren der Republikaner, hat man ausgerechnet, für das Impeachment, für die Anklage stimmen.
Grünzweig: Ja, genau. Man braucht ja 67 Senatorinnen, und nach den Siegen in Georgia haben die Demokraten jetzt 50, das heißt, sie brauchen noch 17. Das ist nicht sehr leicht, aber auch nicht unmöglich. Und ich glaube, das hängt ein bisschen von der Entwicklung der Republikanischen Partei in den nächsten Wochen ab. Wenn Sie sich überlegen, unter dem Eindruck der Vorfälle haben sich von den 13 Senatorinnen, die eigentlich gegen Biden stimmen wollten am Mittwoch, dann in der Nacht sieben entschieden, das doch nicht zu tun, es sind nur sechs über geblieben. Da hat sich innerhalb von kürzester Zeit schon was geändert, und das könnte auch weitergehen. Die Senatorinnen werden ja nur alle sechs Jahre gewählt und sind daher etwas freier in ihrem Denken und Handeln. Aber ich glaube, es wird trotzdem nicht leicht, über den Schatten zu springen.
Eine Gruppe von Anhängern des noch amtierenden Präsidenten Donald Trump dringt in das Kapitol in Washington ein, den Sitz des US-Kongresses 
Historiker: "Das Gerede von einem Bürgerkrieg verunklart die Situation"
Der Sturm auf das Kapitol in Washington war nach Ansicht des Historikers Volker Depkat noch kein Bürgerkrieg, wohl aber ein beispielloser Gewaltausbruch eines amerikanischen Mobs. Dass ein amtierender Präsident "seine Leute von der Kette lässt", habe es so noch nicht gegeben, sagte Depkat im Dlf.
Meurer: Was geht jetzt in deren Köpfen wohl vor? Man schaut, wie die Entwicklung bei den Republikanern ist, welche Rolle wird Trump spielen, das wägen Senatoren jetzt für ihre eigene Zukunft ab. Oder wie sehen Sie das?
Grünzweig: Ich glaube, dass die selber sehr besessen davon sind, dass sie vor allem in zwei Jahren noch Trumps Unterstützung brauchen. Insbesondere die Mitglieder des Repräsentantenhauses, die ja alle wieder 100 Prozent zur Wiederwahl anstehen. Die haben natürlich große Angst, dass sie da Schwierigkeiten kriegen, wenn Trump sich gegen sie, auf sie einschießt.
Meurer: Glauben Sie, dass Trump in zwei Jahren noch eine große Rolle spielt?
Grünzweig: Ich persönlich glaube es nicht, aber ich glaube, wichtig ist, dass die momentan dran glauben. Es haben ja weit über 100, einmal sogar über die Hälfte der republikanischen Repräsentantenhausmitglieder gegen Biden gestimmt am Mittwoch dann. Und das nach dem Skandal am Kapitol.

Republikaner "müssen sich wahrscheinlich neu finden"

Meurer: Was glauben Sie, Herr Grünzweig, in welche Richtung wird sich die Republikanische Partei bewegen?
Grünzweig: Na ja, das ist schwierig. Die müssen sich wahrscheinlich neu finden und reflektieren über ihre Situation. Ich warne immer davor, angesichts dieser Situation mit europäischem Kopfschütteln zu reagieren. Die US-Parteien sind nicht so straff organisiert – wenn Sie sich vorstellen, dass ein Bernie Sanders, der eigentlich ja nie richtiger Demokrat war, dort Kandidat werden konnte und sich bewerben konnte –, das ist wesentlich offener. Trump hat die halt einfach übernommen. Und vielleicht müssen sie versuchen, tatsächlich in europäischem Sinne ihr Parteiensystem etwas zu straffen und auch die Struktur der Parteien etwas zu straffen. Ich glaube, das könnte jetzt auch auf sie zukommen.
Meurer: Letzten Endes klingt das alles nach, ich sage mal, die Basis spricht dann doch ein deutliches Wort mit, wie die Reise weitergeht. Haben Sie eine Vorstellung, wie die Basis, ich glaube, 74 Millionen Amerikaner, die Donald Trump gewählt haben …
Grünzweig: Ja, 75 Millionen.
Meurer: Oder sogar 75 Millionen…
Grünzweig: Aber ich hab das jetzt aufgerundet.

Trump-Unterstützer "brauchen einen Weg zurück"

Meurer: Wie sehen die jetzt Trump?
Grünzweig: Das ist wirklich die große Frage. Die sind ja nicht identisch mit den Karnevalsfiguren, die da ins Kapitol geklettert sind. Ich glaube zwar, dass diese Social-Media-Blase schon dazu beiträgt, dass sich breitere Gruppen radikal beeinflussen lassen, aber dieser Satz, den ich jetzt oft gehört habe, "das sind wir nicht – that’s not us", so sind wir nicht und so weiter, wird schon weithin, also auch unter diesen 75 Millionen akzeptiert. Es ist natürlich trotzdem so, dass die jetzt vier Jahre lang ziemlich beeinflusst wurden. Und sie brauchen irgendwie auch einen Weg, einen Weg zurück. Und man muss versuchen, den zu ebnen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Impeachment-Verfahren da sehr hilfreich sein wird.
Politologe: "Trump wird jeden Tag seine Leute aufputschen"
Der Politikwissenschaftler Christian Hacke sieht den Sturm auf das Kapitol in Washington als Auftakt für den Widerstand von Donald Trump und seinen Anhängern gegen die Präsidentschaft von Joe Biden. Es gebe dagegen nur ein Mittel, sagte Hacke im Dlf: Biden müsse liefern.
Meurer: Ist das ein Fehler der Demokraten, wenn sie es tun?
Grünzweig: Das ist auch schwierig. Wenn man das nicht tut, dann kriegt die Demokratische Partei Schwierigkeiten. Und dann heißt es wieder, ah ja, man nimmt es nicht ernst und so.
Meurer: Aber es könnte von der anderen Seite als unfair empfunden werden, oder was glauben Sie?
Grünzweig: Ja, das kann sein, ja. Ich glaube, dass die Meinungseliten oder die, die von diesen 75 Millionen, das als als solches empfunden werden, dass die sich auch überlegen müssen, wie sie dem Volk, unter Anführungszeichen, gegenüberstehen. Warum wählen diese Leute, warum haben sich diese Leute dazu hingerissen, für Trump zu wählen. Und warum haben sie sich so entschieden? Ich glaube, das ist schon eine wichtige Frage, die man sich stellen muss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.