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US-Musiker David Crosby
Produktiv wie nie

David Crosby ist Gründungsmitglied der Byrds und von Crosby, Stills und Nash. Er hat in Woodstock, Monterey und Altamont gespielt, hat harte Drogen genommen, war im Gefängnis, mehrfach pleite. Mit 76 Jahren erlebt er nun eine kreative Blütephase - auch, weil er gerne Blüten raucht.

Von Marcel Anders | 01.10.2017
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    David Crosby ist ein US-amerikanischer Gitarrist, Sänger und Songwriter. (picture alliance / dpa / Jonathan Brady)
    Musik:"Deja Vu"
    David Crosby: "Die Band hatte sich so entwickelt, wie es die meisten Gruppen tun. Nach dem Motto: "Schmeiß die Nebelmaschine an und spiel deine Hits." Aber da waren keine frischen Ideen - und wir mochten einander nicht mehr. Graham Nash hat mich regelrecht gehasst. Und deshalb wollte ich nicht länger Teil davon sein. CSN hat meine Lust an der Musik ruiniert. Und die ist mein Leben."
    David Crosby tat, was er für richtig hielt. Nach 38 Jahren löste er Crosby, Stills und Nash auf, verzichtete auf ein geregeltes Einkommen, auf angenehmen Tour-Komfort und gründete seine eigene, kleine Plattenfirma. Seitdem tingelt er regelmäßig durch vergleichsweise bescheidene Theatersäle in den USA, arbeitet mit seinem Sohn James Raymond und komponiert mehr denn je.
    "Das ist eine faszinierende Sache, Mann. Ich meine, ich war nie sehr produktiv. Mein ganzes Leben nicht. Ich habe zwar gute Songs geschrieben, aber nicht wirklich viele. Und nie so viele wie jetzt. Wenn ich abends zu Hause bin, schalte ich die bunten Glaslampen im Schlafzimmer ein, mache ein Feuer im Kamin, greife zur Gitarre, zünde mit einen Joint an und fange an, zu spielen."
    Musik: "Amelia"
    Eine Routine, die - so Crosby - schon seit vier Jahren anhält und für eine wahre Songflut sorgt. Das erfüllt ihn mit Stolz. Denn selbst, wenn er kommerziell nicht mehr so erfolgreich ist, wie früher: Mit der Qualität seiner Kompositionen ist er zufriedener denn je. Und sie sind Teil seiner großen musikalischen Aufholjagd - für all die Jahre, in denen er arbeitsunfähig war. Durch eigenes Verschulden.
    "Ich habe viel Zeit verschwendet, indem ich zu gedröhnt war. Mit harten Drogen. Nicht mit Marihuana – das ist OK. Aber mit Kokain und Heroin. Ich habe aufgehört, zu schreiben, saß im Gefängnis und war ein komplettes Wrack. Aber jetzt bin ich an einem Punkt, an dem mir nicht mehr viel Zeit bleibt. Deswegen versuche ich die beste Arbeit abzuliefern, die in mir steckt. Ich gebe mir wirklich Mühe."
    Musik:"Sky Trails"
    "Sky Trails" unterstreicht, wie gut David Crosby als Singer/Songwriter ist: Die neuen Stücke des Woodstock-Veterans pendeln leichtfüßig zwischen Folk und Jazz-Rock und wurden mit einer neunköpfigen Band aufgenommen. Darunter auch eine gelungene Coverversion von Joni Mitchells "Amelia". Insgesamt erinnert das überzeugende Spätwerk hier und da an Steely Dan. Was kein Zufall ist. Der jüngst verstorbene Walter Becker und Donald Fagen zählen zu David Crosbys großen Idolen. Und auch textlich weiß der Altmeister Akzente zu setzen. Mit romantischen Liebeserklärungen an seine Frau, einer Hommage an verflossene Weggefährten und spitzen Seitenhieben auf die politische Situation in den USA. Auf das "Toupet-tragende Desaster auf zwei Beinen", wie er Donald Trump bezeichnet, den Einfluss multinationaler Großkonzerne und korrupte Volksvertreter.
    "Unsere Politiker sind entsetzlich. Sie leisten einen inakzeptablen Job. Auch schon vor Trump. Im Kongress gibt es höchstens vier Leute mit Gewissen. Der Rest ist Gesindel, das sich an die Wirtschaft verkauft. Das fing vor langer Zeit an – mit den Eisenbahn- und Ölbaronen. Heutzutage gehört ihnen alles und jeder. Die rufen einfach an und sagen: "Wir brauchen einen netten kleinen Krieg. Und wir haben euch letztes Jahr acht Millionen Dollar gegeben. Also macht mal." Das passiert dann auch. Diese Typen beherrschen das Land."
    Musik:"Capital"
    "Capital" – eine Abrechnung mit Washington als maroder Schaltzentrale der Macht, die von rückgratlosen Lurchen beherrscht wird. Während Crosby denselben Idealen folgt wie in den 60ern, als er Teil der Bürgerrechtbewegung und des Flower Power war. Er steht auch 2017 für Liebe, Frieden und Brüderlichkeit. Seine Mission: Er wettert gegen die Reichen, Gierigen und Skrupellosen. Dass er nach sechs Dekaden noch keine sichtbaren Erfolge vorweisen kann, ärgert ihn. Aber er gibt nicht auf - und sieht seinen Kampf nicht als gescheitert:
    "Das Gefühl habe ich nicht. Denn viele junge Leute kapieren es. Die Missstände in unserem Land beruhen nicht auf ihnen, sondern auf den alten, weißen, reichen Männern. Sie sind es, die den Schaden angerichtet haben. Nicht die Jugend. Die tut niemandem etwas, aber sie kriegt den Stiefeltritt. Sie wird unterdrückt und ausgenutzt, und das kapiert sie mittlerweile auch. Sie ist extrem unzufrieden."
    Musik:"Before Tomorrow Falls On Love"
    Crosby hat Hoffnung - mehr für die Zukunft und die Jugend als für sich selbst. Denn der 76-jährige leidet unter Hepatitis C und Diabetes. Er ist körperlich verlebt, aber geistig hellwach. Mit ungebrochenem rebellischen Spirit ruft er in seinen Songs zum Umdenken, zum Widerstand und zur Rebellion auf. Wie damals, Ende der 60er, aber mit noch mehr Dringlichkeit.
    "Ich warte auf einen wirklich wütenden Song – wie ein zweites "Ohio". Einer, der den Mächtigen in den Hintern tritt. Daran arbeite ich auch selbst. Ich habe schon seitenweise Worte gesammelt. Und ich sage den Menschen im Netz: "Die Tür ist offen - legt los!" Denn wir brauchen eine neue Hymne wie "We Shall Overcome" - nur wütender."