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Vater der Klassik

Während Mozart in Armut starb, saß Haydn an der Tafel des Fürsten Esterhazy. Aber anders als Mozart wird Joseph Haydn eigentlich nur von denen geliebt, die ihn kennen, den Musikern. Immerhin feiert sein Heimatland Österreich jetzt "Papa Haydns" Jubeltag mit zahlreichen Konzerten und Ausstellungen.

Von Frieder Reininghaus |
    Der Kulturbetrieb hat seine gravitätische Eigendynamik. Nicht anders als die Artillerie. Die betrifft bekanntlich (und trifft ggf.) Freund und Feind. So war es ganz unvermeidlich, dass auch der Violinist, Kapellmeister und Komponist Joseph Haydn den Mechanismen der Jubiläumsinszenierungen unterworfen wird. Sogar ihn, den fernen, oft recht spröden Experten, den bauernschlauen Untertan und fein kalkulierenden Experimentator, hat es heuer erwischt.

    Dass einige Theater einzelne der zahlreichen Opern Haydns anbieten, wäre sogar zu begrüßen, wenn sie dies in aktuell brisanten und Nachdenklichkeit fördernden Inszenierungen täten. Auch gegen die flächendeckende Reproduktion der Streichquartette durch Landesrundfunkanstalten lässt sich nur einwenden, dass eine solche Wiederholungstat nicht ganz notwendig erscheint. Die Archive in dieser Rubrik sind schon bestens gefüllt; andernorts klaffen Löcher und Lücken (aber hinsichtlich deren Plombierung dürfte das Einvernehmen nicht so groß sein).

    Das Rheingau Musikfestival hat ungenierter als andere die musikalischen Jubilare des Jahres 2009 im kalorienreichen Dreierpack vorgestellt: Plakatiert werden Händel-, Mendelssohn- und Haydn-Kugeln in goldenem Stanniolpapier. Guten Appetit auch weiterhin! Dass das lange Zeit direkt vorm "Eisernen Vorhang" zurückgebliebene Eisenstadt touristisch ein wenig vom frisch verputzten und geweißelten Nimbus des Tonkünstlers profitieren will, der da drei Jahrzehnte lang in einem unters Schloss geduckten Haus an seinen Partituren saß (wenn er nicht drüben in der Sommerresidenz Estoras am Ende des Neusiedler Sees seinen Dienst zu verrichten hatte) – auch das ist naheliegend. Doch vom enzyklopädistisch geprägten Geist offenbart sich im Frühsommerlicht nicht mehr als an trostlos verregneten Dezembertagen, an denen man sich schon fragte, wie und warum und woher dieser Haydn ausgerechnet hier "original" wurde.

    Das mag man sich auch im noch geduckteren Geburtshaus an der Straße nach Hainburg fragen. Dort verrät eine Sammlung von reproduzierten Dokumenten des Lebens und seines Umfeldes wenigstens noch einiges von den harten Lebensbedingungen kleiner Handwerker unterm Regiment des Grafen Harrach. Selbst wenn die Örtlichkeiten, an denen sich der produktive Geist einst aufrichtete, sich im Lauf von mehr als zweihundert Jahren nicht notwendigerweise verändert hätten, könnten sie keine "Aussagekraft" hinsichtlich der Genese und Geltung von Kunst entwickeln
    Die Selbstcharakterisierung als "original" war übrigens so originell wie genial. Haydns Ort, der eigentliche, ist nicht die Pussta und ist nicht Wien, wo er ja schließlich auch noch eine Menge angeliefert und in weitestgehendem Einvernehmen mit seinem Schöpfer das Zeitliche gesegnet hat – Haydns Ort ist die Musik. Nirgendwo anders ist er noch "lebendig", nicht einmal ein bisschen.

    Joseph Haydn ist kein Komponist "zum Anfassen", schon gar nicht zum Reinbeißen. Aber er war bereits zu Lebzeiten ein "interessanter Fall" – auch für die Phrenologen, als man ihn am Tage nach seinem Ableben auf dem Hundsthurmer Fried¬hof beisetzte. Bereits am 4.6. wurde die Leiche nächtens exhumiert, vom bereits stark verwesten Rumpf der Kopf getrennt, dieser vom Gefängnisverwalter Nepomuk Peter präpariert und Dr. Gall zu Forschungszwecken ausgehändigt. Auf der Suche nach Genialität und anderen abnormen Eigenschaften nahm der Kopfjäger eine Menge (auch prominenter) Schädel unter die Lupe. Haydns leeres Denkgehäuse erlebte eine wahre Odyssee, wurde von Geheimdiensten gejagt und von hochschwangeren Sängerinnen gekonnt versteckt, mit Duplikaten vertauscht etc. Auf abenteuerlichen Wegen gelangte es schließlich – ein Staatsvertrag war hierzu notwendig – ins Seitenschiff der Haydn-Kirche, in das Fürst Paul Esterházy 1932 die übrigen Knochen hatte einlagern lassen. So hat Haydn immerhin seinem Mitjubilar Friedrich Schiller etwas voraus, dessen Schädel immer noch verschwunden ist. Auch in dieser Hinsicht meinte es sein Schöpfer schließlich gut mit ihm.