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Venedig und das Osmanische Reich

Der Perser-Teppich war in bürgerlicher Zeit ein zentrales Statussymbol. Mit der islamischen Kultur tut man sich zur Zeit allerdings etwas schwer. Und so verdeckt der Ärger mit dem Islamismus manch schöne Kooperation zwischen den Welten, wie sie zur Zeit in Venedig gezeigt wird. "Venedig und das Osmanische Reich" heißt die Ausstellung im Dogenpalast.

Von Thomas Migge |
    Eine Fahrt über den Canal Grande genügt, um zu begreifen, warum diese Ausstellung unbedingt in Venedig gezeigt werden muss: Sie gehört einfach hierher und ermöglicht es den Besuchern, vor Ort jener Geschichte und jenen Geschichten nachzuspüren, über die die Bilderschau im Dogenpalast so anschaulich informiert. Da ist zum Beispiel der Palazzo Giovanelli aus dem 15. Jahrhundert, mit einer Fassade, die arabisch angehauchte gotische Spitzbogenfenster zeigt. Oder der Fondaco dei Turchi aus dem 13. Jahrhundert, die venezianische Niederlassung ottomanischer Kaufleute, die ab dem 11. Jahrhundert regen Handel mit der Dogenrepublik führten. Der Fondaco: ein Architekturtraum aus tausend und einer Nacht. Eine filigrane Marmorarbeit, die in ihrer Eleganz an Haremsgebäude in Istanbul erinnert. Die Fahrt mit dem Boot führt auch an der Ca d'Oro aus dem 15. Jahrhundert vorbei: ein Palazzo aus polychromem Marmor, einem Steinteppich gleich, mit einer Fensterfront, die aussieht wie eine Filmkulisse für "Der Dieb von Bagdad". Venedig, weiß der Philosoph und Bürgermeister der Lagunenstadt Massimo Cacciari, symbolisiert wie keine andere europäische Stadt die vielseitigen Beziehungen zwischen Abendland und Morgenland:

    "Das muss man deutlich sagen, angesichts der Probleme, die wir heute mit der islamischen Welt haben und die diese Welt mit uns hat, dass es eine Zeit gab, vom 9. bis zum 18. Jahrhundert, in dem zwischen dem ottomanischen Weltreich und einer kleinen Seerepublik enge Beziehungen bestanden, über alle kulturellen Unterschiede hinweg. Von diesen Beziehungen kann man etwas für die Zukunft lernen."

    Der Besucher der Ausstellung ³Venedig und der Islam² im Dogenpalast erfährt gleich am Eingang, dass nicht wenige Venezianer des späten Mittelalters und der Renaissance arabisch sprachen. Nicht nur venezianische Kaufleute, sondern auch Politiker und Intellektuelle. Andrea Gritti zum Beispiel, von Beruf Doge und von Tizian auf einem Porträt verewigt, das in der Ausstellung zu sehen ist, lebte einige Jahre in Konstantinopel . Der mittelalterliche Stadtpolitiker sprach fließend türkisch und fungierte als angesehener Mittelsmann zwischen zwei Welten. Wer spricht heute schon türkisch, geschweige denn arabisch? Auch diejenigen Politiker, die sich heute um gute Beziehungen zur islamischen Welt bemühen, sprechen nicht die Sprache der anderen Seite. In Venedig war das bis zum Untergang der Seerepublik 1797 anders. Die Beziehungen zwischen dem Stadtstaat und der islamische Welt waren so intensiv, dass sich 1479 Sultan Mohammed II. von einem christlichen Maler, dem Venezianer Gentile Bellini, porträtieren ließ. Das berühmte Gemälde ist einer der Höhepunkt der Ausstellung im Dogenpalast.
    Massimo Cacciari:

    "Ausländerfeindliche, intolerante Positionen gegenüber den vermeintlich Ungläubigen hätten für die Handelsmacht Venedig gefährlich werden können. Der Seehandel der Stadt war auf das Mittelmeer beschränkt und da gaben im östlichen Mittelmeer die Ottomanen den Ton an. Was lag also näher, als gute Beziehungen zu suchen? Die Dogen haben sich nie, wie das übrige katholische Europa, dem Islam gegenüber als Herren aufgespielt."

    Die Ausstellung zeigt anhand von hunderten von Kunstobjekten, wie sich beide Welten gegenseitig beeinflussten. Gezeigt werden kunstvoll verzierte Bronzebehälter aus dem Orient, Goldschalen mit islamischen Inschriften, Glasbehälter, Lampen, Waffen und andere Gegenstände, von denen man auf den ersten Blick nicht sofort weiß, aus welcher Kultur sie stammen. Der Besucher staunt, wenn er erfährt, dass die Tür aus vergoldetem Holz mit Edel- und Halbedelsteinen ein Werk venezianischer Kunsthandwerker des 16. Jahrhunderts ist, bestimmt für einen Palazzo am Canal Grande, und nicht aus einem Palast in Konstantinopel oder Bagdad stammt. Wie sehr sich beide Kulturen in der venezianischen Kunst vermischten, gegenseitig beeinflussten, zeigen vor allem viele Gemälde aus Renaissance und Barock, mit zahlreichen islamischen Themen. Eine Darstellung des heiligen Markus siedelte 1518 der Maler Giovanni Mansueti sogar im islamisch dominierten Alexandrien an. Seit dem 16. Jahrhundert kann man in Venedig von einer ottomanischen Mode in der bildenden Kunst und im Möbeldesign sprechen. Teppiche für Paläste musste aus der ottomanischen Welt stammen oder man galt als ³out², weiß der Kunsthistoriker Lorenzo Bianco:

    "Wichtig ist zu wissen, dass es neben kriegerischen Auseinandersetzungen, zum Beispiel mit Soliman dem Prächtigen im 16. Jahrhundert, immer Handelsbeziehungen gab. Der Kommerz litt so gut wie nie. Das machen auch die Nebenausstellungen deutlich. In verschiedenen Palästen Venedigs und vielen Kirchen werden muslimisch inspirierte Kunstwerke ausgestellt, die sonst nur in Magazinen lagern und die man jetzt endlich sehen kann."

    Truhen mit Dekorationen, die eindeutig der islamischen Ikonographie entstammen. Gemälde Tiepolos an verschiedenen Altären, auf denen immer wieder Männer mit Turban gezeigt werden, die sogar mit reichen Venezianern an einem Tisch sitzen. Genau das ist besondere Reiz der Ausstellung ³Venedig und der Islam²: sie ist nicht nur auf die Ausstellungsräume im Dogenpalast beschränkt, sondern setzt sich auch am Canal Grande, auf Plätzen und in Gassen, in Palästen und in Kirchen fort.