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Ventile für Venedig

Technik. - Mit der Flut kam vergangenen Sonntag auch das Hochwasser nach Venedig. Der Markusplatz und viele andere berühmte Orte in der Lagunenstadt standen vorübergehend bis zu 40 Zentimeter unter Wasser. Zwar sind die Einheimischen bestens an das feuchte Medium angepasst, dennoch sorgt Hochwasser für Einnahmeausfälle und schwere Schäden. Das soll sich aber bald ändern, nämlich durch eine eigens konstruierte Flut-Drossel in der Lagune.

    In diesen Tagen fahren Venedigs Gondoliere ihre Kundschaft nicht nur zum, sondern - wenn gewünscht - auch über den Markusplatz hinweg. Möglich macht dies das regelmäßig wiederkehrende Hochwasser. Der Trend geht dabei in Richtung höher und öfter. Betrug die Zahl an Hochwassertagen vor zehn Jahren noch 80, lag sie im vergangenen Jahr schon bei 140. Und am vergangenen Mittwoch wurde die diesjährige Rekordmarke von 137 Zentimetern Wassersäule erreicht - weitere Steigerung nicht ausgeschlossen, schätzt das städtische Hochwasseramt. Jedes Jahr, so schreiben die Experten in ihrem ersten "Acqua alta"-Bericht überhaupt, steige das Wasser der Lagune mehr an und suche Venedig öfter heim. "Von Triest bis Brindisi nahmen wir die Adria unter die Lupe: den Grund, das Wasser und das Klima. Das gibt uns ein Gesamtbild, dass uns erklärt, wovon die Hochwasser in der Lagune beeinflusst werden und wie die Schäden für Venedig in Zukunft sein könnten", berichtet der venezianische Geologe Carlo Manin

    Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass Venedig der Boden quasi unter den Pfählen weggezogen wird. Dafür sorgen tektonische Bewegungen, die durch die Verkeilung der afrikanischen unter die eurasische Erdplatte entstehen. Die Folge ist, dass sich der Meeresboden jedes Jahrzehnt um einen Zentimeter absenkt. Bereits das stellt ein großes Problem für die Lagunenstadt dar, erheben sich doch viele ihrer Gebäude nur um 30 Zentimeter aus dem Wasser. Jeder verlorene Zentimeter bedeutet dabei größere statische Schwierigkeiten, die durch Hochwasser noch verschärft werden. "Die Untersuchung zeigt, dass nicht nur der durch die Klimaveränderung erzeugte Anstieg des Meeresspiegels für die Hochwasser verantwortlich ist, sondern überdies auch das Absinken des Meeresgrundes in der Adria", so Manin. Bis 1960 sei das Mittelmeer aufgrund der Erderwärmung um rund 1,8 Millimeter pro Jahr angestiegen. Danach aber habe sich dieser Wert geändert - mit erheblichen Folgen für das Hochwasser.

    So fiel zwischen 1960 und 1990 der Wasserspiegel des Mittelmeers um drei Zentimeter, stieg aber in den letzten 14 Jahren erneut an - und zwar doppelt so schnell wie vor 1960. Das habe unabsehbare Folgen für Venedig, unterstreicht Manin. Die dritte Komponente schließlich, die Venedig versinken lassen könnte, ist die Ausbeutung unterirdischer Trinkwasserreserven. Dadurch aber gibt das Erdreich nach und die Lagune sinkt in weiten Teilen ab. "Um es mit ganz einfachen Worten zu sagen: im besten Fall wird der Wasserspiegel des Mittelmeeres in den nächsten 20 Jahren um mindestens zehn Zentimeter ansteigen - Im schlimmsten Fall um 90 Zentimeter. Schon ein mittlerer Wert von nur 50 Zentimetern hätte verheerende Folge für Venedigs historische Bauten. Wenn dann auch noch die ständigen Hochwasser hinzukommen, dann ist es um die Stadt geschehen", orakelt der Geologe düster. In ihrer Studie raten die Fachleute daher zur schnellen Realisierung des Projekts Moses: dabei sollen gigantische Schleusentore die Eingänge in die Lagune immer dann verschließen, wenn Hochwasser im Anzug ist. Allerdings ist das ambitionierte Vorhaben mit 400 Millionen Euro auch außerordentlich kostspielig.

    [Quelle: Thomas Migge]