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Verantwortlich ist der Stalker, nicht das Opfer

Stalking-Opfer brauchen Rat und Hilfe, darüber besteht kein Zweifel. Wird es ganz schlimm – häufig erst dann – wenden sie sich an die Polizei. Mittlerweile haben die Polizeidirektionen eigens Mitarbeiter angestellt, die sich der Beratung von Stalking-Opfer widmen.

Von Mirko Smiljanic | 17.01.2012
    Werner Adamek, Opferschutzbeauftragter im Polizeipräsidium Köln, ist ein Mann mit stabiler Psyche. Tag für Tag spricht er mit verzweifelten Männern und Frauen – in der Regel sind es mehr Frauen – die seit Wochen und Monaten Opfer von Stalkern sind: 100 Anrufe pro Tag, SMSe und Emails ohne Ende, unangekündigte Besuche von Ex-Partnern, die auch schon mal am frühen Morgen vor der Wohnungstür stehen, ... wer Werner Adamek kontaktiert, ist ein Stalking-Opfer durch und durch. Umso befremdlicher ist, dass Adamek vor allem Frauen erst einmal klar machen muss:

    "Sie ist Opfer, sie muss das nicht akzeptieren, sie muss nicht Verantwortung für das Handeln des Täters übernehmen. Und wenn jetzt mal irgendwelche Konsequenzen mal daraus entstehen sollten, der Täter könnte vielleicht sagen, wenn Du dieses oder jenes machst, dann bist Du an irgendetwas Schuld. Bitte, es muss ganz klar sein, das Opfer ist nicht dafür verantwortlich, was ein anderer Mensch macht, was der Täter macht, das müssen wir als Basis mal geklärt haben."

    Viele Ratsuchende fühlen sich im tiefsten Innern mitverantwortlich an der Situation. Habe ich etwas falsch gemacht? Muss ich dem Täter vielleicht helfen? Kann ich mich gegen diese übermächtige Belästigung überhaupt wehren?

    "Der Stalker versucht Macht auszuüben, das ist das Eigentliche, der Kern der Tätigkeit. Und weil ihm das einigermaßen gelingt, zucken ja die Opfer zurück und sind in einer Position, wo sie denken, wenn ich jetzt was mache, dann mache ich was verkehrt. Machen sie auch in der Sicht des Täters, aber nur in dessen Sicht."

    Die Bestimmung der eigenen Position ist entscheidend: Wo stehe ich? Wo steht der Täter? Welche Rechte habe ich? Das sind zu Beginn der Beratung von Stalkingopfern die zentralen Fragen. Erst, wenn die Opfer verstanden haben, dass sie Opfer sind, schneidet Werner Adamek mögliche rechtliche Schritte an:

    "Man kann natürlich Strafanzeige erstatten, man kann einen Beschluss erwirken, nur muss man immer wissen, Strafanzeigen schützen erst einmal nicht, das ist die Realisierung des Strafanspruches des Staates, davon hat das Opfer erst einmal nichts. Wovon das Opfer etwas hat, ist ein zivilrechtlicher Beschluss, das heißt, das Opfer kann bei Gericht beantragen, der Stalker Sowieso darf in Zukunft nicht mehr anrufen, zur Wohnung kommen, dies oder jenes machen, man kann da ganze Listen entwickeln."

    In einem dritten Schritt schließlich geht es um praktische Dinge: das Austauschen der Zylinderschlüssel, das Beantragen neuer Telefonnummern, E-Mail-Konten und so weiter. Ist auch das erledigt, wird es spannend, denn kein Stalker, das lehrt die Erfahrung der Polizei, hält sich an Beschlüsse. Dann muss das Stalking-Opfer den Beschluss vor Gericht durchsetzen.

    "Das ist dann der Moment, da beginnen dann doch mal die meisten Stalker, zurückzuzucken. Und selbst, wenn sie das nicht tun, insbesondere weil sie nicht leistungsfähig sind, das heißt, sie haben kein Geld, sie können das gar nicht bezahlen, dieses Ordnungsgeld, dann können sie ersatzweise in Ordnungshaft genommen werden. Und da ist dann meistens Schluss mit lustig, das ist der Moment, in dem die Stalker dann doch zurückzucken."

    Das ist kein leichter Weg, aber ein gangbarer. Vorausgesetzt, die Stalking-Opfern haben verstanden: Ja, ich bin ein Opfer.