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Verbaler Nebel

Formale und inhaltliche Wortmonster prämiert eine Jury als Unwort des Jahres. Horst Dieter Schlosser, der Sprecher der Jury des Unworts des Jahres, gab das Ergebnis für 2009 bekannt: betriebsratsverseucht.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 19.01.2010
    Unsere Sprache ist ja so unwortverseucht! Die Medien, die ganze öffentliche Kommunikation: Unwörter, wohin man blickt! Da ist es ein großes Glück, dass der berühmte Frankfurter Professor Schlosser, von dem man außer Unwort-Unsinn sonst allerdings wenig hört, in jedem Januar seit 19 Jahren unser kritisches Bewusstsein gründlich schärft.

    Dieser Lückenfüller des Kulturkalenders ist der Unkarl Unkraus unserer Zeit: unwitzig, uninformiert und stilistisch unbedarft. Mal geißelt er einen Begriff, der selber kritisch-satirischen Charakter hatte – wie einst das "sozialverträgliche Frühableben", mal schreibt er ohne jede Quellenprüfung dem Bundesinnenminister ein Wort – nämlich "Begrüßungszentren" – zu, das dieser nie gesagt hatte, und mal ereifert er sich über eine Formulierung wie die "Ich-AG", die zwar salopp, aber keineswegs "inhuman" und "sachlich grob unangemessen" war.

    Diesmal kommt das Adjektiv "betriebsratsverseucht" in die Vitrine, ein Wort, dem wir von morgens bis abends auf Schritt und Tritt begegnen. Es ist schon fast ein Universalbegriff des politischen Diskurses der Gegenwart geworden. Oder etwa nicht? Das Wort sei in der ARD-Sendung "Monitor" am 14. Mai vergangenen Jahres verwendet worden, ließ Schlosser heute mitteilen. Dort habe ein Mitarbeiter einer Baumarktkette berichtet, der Begriff werde von Abteilungsleitern benutzt, wenn ein Mitarbeiter zwischen einer Filiale mit Betriebsrat und einer ohne Betriebsrat wechseln wolle. Donnerwetter, Unwortalarm! Das Fernsehen hat über jemanden berichtet, der behauptet, das Wort gehört zu haben.

    So lächerlich die Unwortklauberei von Schlosser und seinem Verein ist, so bedenklich ist die dahinter stehende Vorstellung von Sprache. Denn die bösen Unwörter sollen gesammelt, angeprangert und verfemt werden, damit das, was sie bezeichnen, verschwinde. So funktioniert die Ausdruckskultur der politischen Korrektheit: Es gibt kein Humankapital, kein Tätervolk und keine Gotteskrieger (alles Unwörter der letzten Jahre), wenn wir sie nicht so nennen.

    Aus diesem Geist kommt jener Soft-Speak-Nebel, der unsere öffentliche Kommunikation in zunehmendem Maß durchseucht. Das schlimmste Sprachproblem in Politik und Medien sind gerade nicht jene Derbheiten, an denen ein Professor Schlosser Anstoß nimmt, sondern die Tatsache, dass man Dinge und Haltungen verschleiert, weil der Mut zur drastischen Begrifflichkeit fehlt. Gerade die angeblichen Unwörter leisten in der politischen Auseinandersetzung wertvolle Dienste. Das Unwort des Jahrzehnts heißt deshalb: Unwort.