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Verdacht erhärtet

Biologie. - Nanoröhrchen können ähnlich gefährlich sein wie Asbestfasern, wenn sie in Brust und Lunge gelangen. Das ist das Ergebnis einer Studie, an der insgesamt zehn Autoren mitgewirkt haben. Dickwandige Nanoröhrchen überdauern danach im Körper und lösen Entzündungen sowie Geschwulste aus, fanden die Forscher im Tierversuch heraus.

Von Volker Mrasek |
    Dem Fachjournal "Nature Nanotechnology" war die neue Studie eine eigene Pressekonferenz wert. Drei der insgesamt zehn Autoren lud sie dafür nach London ein. Ihre Warnungen sind nun auch im Internet abrufbar.

    Im Tierversuch wiesen die Forscher nach, dass Nanoröhrchen in der Bauch- und Brusthöhle im Prinzip genauso wirken wie Asbest-Fasern: Sie lösen zunächst Entzündungen und dann Geschwulste aus. Ken Donaldson, Professor für Respiratorische Toxikologie an der Universität Edinburgh in Schottland:

    " Es gab verschiedene Experimente, bei denen Nanopartikel in die Lungen von Ratten eingebracht wurden und man sich anschaute, ob sie dort zu Gewebeveränderungen führen. Aber niemand ist bisher der Vermutung auf den Grund gegangen, ob Nanoröhren wie Asbest-Fasern wirken. Unsere Studie ist die erste Untersuchung dieser Art. Sie zeigt in der Tat: Dickwandige Nanoröhren sind lang und dünn, sie überdauern im Körper - und verhalten sich damit genauso wie Asbest-Nadeln. "

    Im Detail gingen die Forscher so vor: Sie injizierten die Nanoröhrchen direkt in das sogenannte Mesothel der Mäuse. Das ist die Deckzellschicht, die Bauch- und Brusthöhle auskleidet. Man kann auch von Bauch - und Brustfell sprechen. Im Fall von Asbest ist das ein ganz kritisches Zielgewebe. Dort lösen die Fasern Geschwulste aus, auch Granulome genannt. Und Jahrzehnte später Mesotheliome - Brustfellkrebs:

    " Granulome entstehen, wenn der Körper es nicht schafft, mit etwas klarzukommen. Und im Fall von Asbest-Fasern wissen wir: Aus einem Granulom in der Brusthöhle entsteht am Ende eine Krebsgeschwulst. "

    Zur Kontrolle testeten die Wissenschaftler und seine Kollegen auch noch Kohlenstoff-Partikel und kurze Nanoröhrchen. Sie führten zu keinen pathogenen Veränderungen in der Körperhöhle der Mäuse. Die neue Studie begreift Ken Donaldson aber nur als einen Anfang:

    " Wir wissen nicht, ob lange Nanoröhrchen tatsächlich bis ins Brustfell gelangen, wenn man sie einatmet. Und wir wissen auch noch nicht, ob sie wirklich Krebs auslösen. Aber was wir, glaube ich, gezeigt haben, das ist: Wenn sie dorthin gelangen, dann sind sie gesundheitsschädlich. "

    Es sei auf jeden Fall mehr Forschung auf diesem Feld nötig, hieß es jetzt in London. Und es erging ein Appell an die Industrie. Sie produziert Nanoröhren inzwischen routinemäßig und in großen Mengen. Schon heute steckt das Material in Auto-Karosserien, Fahrradrahmen und Tennisschlägern.

    Andrew Maynard, Experte für Nanotechnologie beim Woodrow Wilson International Center in der US-Hauptstadt Washington:

    " Wir dürfen annehmen, dass es Arbeitsplätze gibt, an denen man den Nanoröhrchen ausgesetzt ist und sie einatmet. Die Folgen könnten so gravierend sein, dass man die Sache auf jeden Fall genauer überprüfen sollte. Und dann ist auch noch die Frage: Was passiert mit den Nanoröhrchen, wenn die Produkte später einmal verschrottet werden und auf dem Müll landen? Werden sie dann vielleicht frei? Auch das müssen wir abklären. "

    Laut Maynard kann heute jeder Nanoröhrchen über das Internet bestellen, wenn er möchte, und damit experimentieren. Oft werde das Material als "synthetischer Graphit" bezeichnet. Von einem Risiko beim Einatmen sei keine Rede.

    Dies müsse sich ändern, meinen die Forscher. Die Nanotechnologie sei verheißungsvoll, doch sollte man nicht den Fehler wie beim Asbest machen und ihre Gesundheitsrisiken außer Acht lassen.