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Verdrängte Identität

Die Spiele von London sind politisch nicht so aufgeladen wie die in Peking vor vier Jahren. Und trotzdem hat es schon vor der Eröffnung diplomatischen Streit gegeben. In der Regent Street, im Zentrum von London, wo mehr als 200 Flaggen hängen, wurde am Mittwoch die Fahne Taiwans abgenommen. Damit haben die Briten dem Druck von China nachgegeben. Die Volksrepublik betrachtet Taiwan nicht als eigenständigen Staat, sondern als ihre abtrünnige Provinz.

Von Ronny Blaschke | 28.07.2012
    Es ist fast Mitternacht, als der Gewichtheber Shih-Chieh Chen die Sportler Taiwans ins Olympiastadion von London führt. Vor seinem mächtigen Körper schwenkt er eine weiße Flagge, verziert mit einer Sonne und den olympischen Ringen. Eine Flagge, die es offiziell nicht gibt, die es aber bei Olympia seit 1984 geben muss. Dutzende Staatsgäste haben schon in die Kameras gewunken, die Minister aus Taiwan sind nicht auf der Stadionleinwand zu sehen. Der taiwanesische Fernsehjournalist Paul Tsai bezeichnet das als Zensur.

    "Das ist ein typischer Fall. Wenn wir in einem internationalen Rahmen unsere Identität erwähnen, hat China etwas dagegen, dann müssen wir unsere Wurzeln verleugnen. Das macht uns sehr traurig, aber wir müssen es akzeptieren, sonst würden wir rausgeschmissen werden. Das ist wirklich unfair."

    Nach dem chinesischen Bürgerkrieg 1949 ruft Mao Zedong die Volksrepublik aus, die unterlegenen Nationalisten flüchten nach Taiwan und bezeichnen ihre Insel als Republik China. Bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki wollen beide Rivalen China repräsentieren, Taiwan zieht letztlich zurück. Vier Jahre später in Melbourne hissen die Organisatoren für Taiwan die Flagge der Volksrepublik. Pekings Vertreter sind so wütend, dass ihre Sportler bis 1980 Olympia fernbleiben müssen.

    "Und die Chinesen haben sich durchgesetzt damals. Auch die Amerikaner haben nachgegeben, sonst hätte es einen riesigen Streit im IOC gegeben."

    Walther Tröger, bis 2009 Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, erinnert an den Machtzuwachs Chinas in den siebziger Jahren. Damals wird Taiwan aus vielen Vereinigungen ausgeschlossen. Das IOC wählt für das Olympische Komitee Taiwans 1979 einen Fantasienamen: Chinese Taipei, ausgerichtet an der Hauptstadt Taiwans. Viele politische, religiöse und gesellschaftliche Organisationen übernehmen diese Bezeichnung, um Peking nicht zu verärgern.

    1984 in Los Angeles nehmen zum ersten Mal Sportler aus China und Taiwan an Sommerspielen teil. Die Taiwanesen unter falschem Namen, falscher Flagge und mit einer falschen Hymne. Für sie ist Sport eine wichtige Bühne, um auf ihre Benachteiligung aufmerksam zu machen. Deshalb werden Chu Mu-Yen und Chen Shih-Hsinn besonders verehrt. Die Taekwondo-Kämpfer haben 2004 die ersten Goldmedaillen für ihr Land gewonnen. Der Journalist Paul Tsai und der Sportfunktionär Walther Tröger.

    "Die Beziehungen zwischen China und Taiwan werden immer besser, wirtschaftlich und politisch. Die Chinesen freuen sich über unseren Besuch auf dem Festland. Aber wirklich sicher können wir uns noch nicht fühlen. Denn hin und wieder gibt es dann doch Spannungen."

    "In der Regel sprechen die chinesischen Delegierten sehr gern mit den Taiwan-Delegierten, die haben sogar enge Verbindungen inzwischen. Also echte, richtige Feindschaften gibt es außer in der Israel-Frage nicht, in der Israel-Frage natürlich."

    Mit pathetischen Worten wurde Olympia in London als Frieden stiftende Feier eröffnet. Sportler und Funktionäre aus China und Taiwan pflegen enge Beziehungen, doch auch in der alten Demokratie Britanniens leiden sie nun unter dem Konflikt ihrer Politiker. Wenzel Michalski von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

    "Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf freie politische Meinungsäußerung. Und wenn das Olympische Komitee das verbietet, dann benimmt es sich genauso wie Staaten zum Beispiel wie Saudi Arabien oder Weißrussland."