Archiv


Verdrängte Verbannung

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges begannen viele derer, die ihre Heimat und ihre Angehörigen verloren hatten irgendwie einen Neuanfang. In der Fremde, meist mittellos. Doch für die, die zur Zwangsarbeit verschleppt waren ging mit dem Ende des Krieges nicht das Ende ihres Martyriums einher. Die Menschen die nach Sibirien vertrieben wurden blieben dort auch noch nach Ende des zweiten Weltkrieges, viele blieben für immer dort.

Von Jan-Uwe Stahr und Wojtek Mroz |
    Unser Städtchen, im Sommer grün und stickig, im Herbst braun und in der Sonne funkelnd wie Bernstein, wird plötzlich über Nacht weiß. Das ist Ende November, Anfang Dezember. Der Winter 39/40 kommt früh und ist hart. Eine frostige, eiskalte Hölle. Vom Friedhof, auf dem meine Großmutter liegt, robben wir zu den Büschen, von denen aus wir die Transporte beobachten können, die auf den Abstellgleisen stehen. In den Waggons sind Menschen, die jederzeit weggebracht werden können. Wohin? Die Erwachsenen sagen, nach Sibirien. Ich weiß nicht, wo das liegt, doch bei der Art und Weise wie sie dieses Wort aussprechen, kann einem schon beim Gedanken an Sibirien angst und bange werden.

    Zu Zeiten Stalins wurden zahlreiche Zwangsarbeiter- und Internierungslager in Sibirien errichtet. Nach Angaben ehemaliger Häftlinge arbeiten 1947 rund 5 Millionen Verbannte und Kriegsgefangene in den Lagern, viele von ihnen sahen ihre Heimat nie wieder, sie sind in Sibirien verhungert, erfroren oder erlagen einer Infektionskrankheit.
    Die Hafenstadt Szczecin (Stetschin), das ehemalige Stettin, war nach Kriegsende für abertausende Polen nicht nur der erste Hafen, sondern die erste Stadt, die sie im Westen erreichten. Auch für Edward Daszkiewicz, (Daschkiewitsch) der 1944 im sibirischen Kasachstan geboren wurde. Er studierte in Szczecin Schiffbau, später in Krakau Giessereitechnik. Nach der Wende ging er in die Politik, wurde er Abgeordneter im Sejm. Heute arbeitet Daszkiewic als Manager in einer grossen Chemiefabrik am Stettiner Haff. Und ist Vorsitzender einer Organisation, die sich um Landsleute kümmert, die im Krieg nach Sibirien verschleppt wurden.

    Edward Daskzkiewicz, 60 Jahre alt, Manager für Strategie und Entwicklung, steht am Hafen und singt. "Als ich dieses Lied vor kurzem in Kasachstan gesungen habe, fingen die alten polnischen Frauen dort an zu weinen", erzählt er auf dem Weg in sein Büro. Das Lied hat er als Kind von seiner Grossmutter gelernt. Ein altes Lied aus ihrer ostpolnischen Heimat.
    Das Verwaltungsgebäude der Chemiefabrik ist noch aus den siebziger Jahren. Es riecht nach Kantinenessen. Und nach scharfen Putzmitteln. Edward Daszkiewicz bittet in sein Büro. Dunkelbraune Holztäfelung verschluckt das Tageslicht. Neben dem Schreibtisch steht ein Gummibaum. An der Wand: Luftbilder der Chemiefabrik und eine Bildmontage vom Stettiner Haff..

    "Eine Brücke über die Odermündung - das ist mein Zukunftsprojekte" Daszkiewicz zeigt auf das Bild an der Wand. Eine direkte Ost West-Verbindung sei wichtig für die weitere Entwicklung der Chemiefabrik, sagt der Strategiemanager und zupft sich an seinem mächtigen Schnauzbart. "Aber nebenbei kümmere ich mich auch noch um die Vergangenheit". Daszkiewicz geht zum Aktenschrank, holt einen dicken Ordner hervor. Packt ihn auf den Schreibtisch. Post, die er als Vorsitzender der "Sibirak" bekommt. Einem Verband der polnischen Sibirienvertriebenen.

    Dazkiewicz´ kräftige Finger ziehen vorsichtig einen Brief aus dem Ordner. Er ist auf einer alten Schreibmaschine getippt.

    Hier ist ein Beispiel: Edek – die Leute schreiben mir per Du. Ich schicke Dir hier die Kopie von einem anderen Kollegen und ich bitte um Deine Hilfe. Er hat seine Unterlagen schon 1997 eingereicht aber sie wollen ihn nicht als Sibirak anerkennen. Er hat keine Dokumente mehr, nur Zeugen. Der Mann ist enttäuscht. Schau mal ob Du da was machen kannst.

    Jahrelang haben die "Sibirienleute" um ihre Anerkennung gekämpft. Dass sie ebenso behandelt werden, wie Kriegsveteranen. Die vom polnischen Staat eine kleine Extra-Rente bekommen, Vergünstigungen bei öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Kuren. Daszkiewizc nimmt einen anderen, handgeschriebenen Brief aus dem Ordner.. Eine Kopie. Das Original ist an den polnischen Präsidenten gerichtet.:

    Sehr geehrter Herr Präsident! Wir wohnen in Kasachstan, wohin wir aus Polen verbannt wurden. Meine Mutter ist in Lublin geboren. Bitte helfen sie uns sechs Familienmitgliedern die polnische Staatsangehörigkeit zu geben. Und sie Herr Edward Daszkiewicz bitten wir auch um Hilfe. Wir Polen in Kasachstan sind überzeugt davon, dass Sie uns helfen können.

    Daszkiewic legt den Brief beiseite. "Es leben noch immer verschleppte Polen in Sibirien", sagt er. Manche der verschleppten Ostpolen wurden nach dem Krieg in dem riesigen Land einfach vergessen. Die Familie Daszkiewicz kehrte 1946 zurück. Wurde, wie die meisten, auf ehemals deutschen Gebieten angesiedelt. Edward war damals zwei Jahre alt. Seine Eltern starben schon bald. Wie so viele der Zwangsarbeiter waren sie an Tuberkulose erkrankt. Doch das ganze Elend der Sibirienleute wurde in Polen einfach totgeschwiegen. Bis zum Ende des Kommunismus. Da beschloss Edward Daszkiewicz für die "Sibirak" zu kämpfen. Wurde Politiker und Mitbegründer des Vertriebenen-Verbandes. Einiges konnte seitdem erreicht werden. Aber auf eine staatliche Entschädigung für das verlorene Eigentum, so wie sie die deutschen Vertriebenen bekommen haben, warten die verschleppten Ostpolen noch immer.

    Die Regierung verspricht immer, dass sie was bekommen. Aber es bleibt immer nur bei Vorschlägen. Ausser Wohnungen haben die Leute nichts bekommen. Die Sibirienleute sind arm dran, im Vergleich zu den deutschen Vetriebenen.

    Auch der Verband der Sibirienleute bekommt keinerlei staatliche Unterstützung. Rund 60tausend Mitglieder gibt es noch. Aber von Jahr zu Jahr werden es weniger. Eines schmerze ihn ganz besonders, sagt Daszkiewic und blickt bedrückt auf seine großen Hände. Noch immer hat es keine echte Versöhnung gegeben. Mit den neuen Besitzern der alten Heimat.

    Wir glauben das wir uns mit den Leuten versöhnen sollten, die uns damals vetrieben haben. Wir wollten einen Versöhnungskongress organisieren. Aber das hat nicht geklappt. Das lag nicht allein am Geld. Wir brauchen dafür auch die Leute von der anderen Seite. Aber die sind nicht da. Ich finde, das ist schlimm.