Schon dieser Zugriff ist wunderbar. Aber Tom Kühnel geht noch weiter. Bei ihm sind auch die Filmemacher eine Projektion - Menschen, die spielen, dass sie einen Film drehen. Es gibt also eine dreifache Brechung: Film im Film im Theater. Man weiß manchmal nicht, ob ein Darsteller einen Satz für sich selbst spricht oder als Figur oder als Darsteller. Aber die Verwirrung ist vom Regisseur gewollt. Im Leben begegnet man ja auch öfter Leuten, von denen man nicht weiß, welche Rolle sie gerade spielen.
Ein besonderes Lob verdienen die beiden Hauptdarsteller - Jule Böwe als Joy und Bruno Cathomas als Tom. Die beiden zeigen sehr deutlich, wie groß der Abstand zwischen ihnen und ihren klischeebeladenen Figuren ist. Cathomas flieht einmal sogar von der Bühne. Es ist immer klar: hier wird etwas erzählt, und die, die die Geschichte erfinden, biegen sie nach ihren Bedürfnissen zurecht. Die elektronische Stadt erweist sich als großer Bluff.
Das Stück war der Auftakt einer Werkstattreihe, die sich - wie schon erwähnt - mit der Art auseinandersetzen soll, wie wir heute leben. Die zweite Premiere dieser Reihe ist ein Stück, das Falk Richter während der Proben zu "Electronic City" geschrieben hat. Es heißt "Unter Eis" und wird im Februar Premiere haben. Wie es damit weiter geht, erklärt Jens Hillje, der als Schaubühnen-Dramaturg, die Werkstatt betreut:
Die Proben haben jetzt begonnen. Außerdem arbeiten wir an Texten für Zusatzveranstaltungen rund um das Thema Amok, die wir im März präsentieren werden. Münden wird das alles im April in ein Stück mit dem Titel "Hotel Palestine". Das ist skizziert als ein Text über eine Gruppe von Menschen, die sich in einem Hotel im Mittleren Osten trifft, während eines Sandsturms im Krieg - ein versprengter Haufen von Journalisten und Soldaten.
Es soll also ein Bogen geschlagen werden - von Tom und Joy, die orientierungslos in der Electronic City umherirren, zu Journalisten in einer Kriegssituation im Mittleren Osten. Kleiner geht's offenbar nicht. Falk Richter, der die meisten Stücke beisteuert, wird im Februar auch inszenieren. Man wird sehen, wie's wird. Die gestrige Premiere von "Electronic City" war jedenfalls nur ein Erfolg, weil der Regisseur Tom Kühnel das Stück vom Kopf auf die Füße gestellt hat.