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Vereinzelung in der globalisierten Welt

Der Auftakt ist gelungen, auf überraschende Weise. "Electronic City" von Falk Richter ist ja ein eher mäßiges Stück. Da wird das Thema Globalisierung an einem derart an den Haaren herbeigezogenen Beispiel verhandelt, dass man es gar nicht ernst nehmen mag. Electronic City steht für moderne Hotels, Appartementsiedlungen und Flughäfen - die überall auf der Welt gleich aussehen. Dort treffen sich Tom und Joy - er ein gestresster Manager auf Dienstreise, sie Aushilfsverkäuferin an der Prete-à-Manger-Theke eines Flughafens. Beide haben natürlich die Orientierung verloren, weil sie von ihren Arbeitgebern mal hier und mal dort eingesetzt werden und weil alles, wie gesagt, so gleich aussieht. Klischee, Klischee. Natürlich fehlt den beiden menschlicher Kontakt, natürlich geraten sie erst heftig aneinander, um sich dann richtig zu verlieben. Die Story würde wunderbar als Vorabendserie funktionieren, aber fürs Theater ist sie eigentlich zu mager.

Oliver Kranz |
    Man kann das Stück eigentlich nur spielen, wenn man es irgendwie aufwertet. Matthias Hartmann hat das bei der Uraufführung in Bochum mit einer technisch beeindruckenden Videoperformance getan, Tom Kühnel versucht es an der Schaubühne, mit einem ziemlich radikalen Konzept: Er lässt die Geschichte nicht real ablaufen, sondern als Spiel im Spiel. Drei junge Filmemacher sitzen an einem Tisch auf der sprichwörtlichen grünen Wiese und fantasieren sich ein Drehbuch zusammen. Das Stück erhält einen völlig neuen Sinn. Es geht nicht mehr um Globalisierung, sondern darum, wie Globalisierung in unserer Gesellschaft dargestellt wird. Die Klischees des Stücks wirken nicht mehr peinlich, sondern illustrieren ein Problem: die Gesellschaft ist denkfaul geworden. Es gibt eine Tendenz alles zu vereinfachen. Debatten, die sich nicht ins Format von Soap Operas pressen lassen, finden kaum noch statt.
    Schon dieser Zugriff ist wunderbar. Aber Tom Kühnel geht noch weiter. Bei ihm sind auch die Filmemacher eine Projektion - Menschen, die spielen, dass sie einen Film drehen. Es gibt also eine dreifache Brechung: Film im Film im Theater. Man weiß manchmal nicht, ob ein Darsteller einen Satz für sich selbst spricht oder als Figur oder als Darsteller. Aber die Verwirrung ist vom Regisseur gewollt. Im Leben begegnet man ja auch öfter Leuten, von denen man nicht weiß, welche Rolle sie gerade spielen.
    Ein besonderes Lob verdienen die beiden Hauptdarsteller - Jule Böwe als Joy und Bruno Cathomas als Tom. Die beiden zeigen sehr deutlich, wie groß der Abstand zwischen ihnen und ihren klischeebeladenen Figuren ist. Cathomas flieht einmal sogar von der Bühne. Es ist immer klar: hier wird etwas erzählt, und die, die die Geschichte erfinden, biegen sie nach ihren Bedürfnissen zurecht. Die elektronische Stadt erweist sich als großer Bluff.
    Das Stück war der Auftakt einer Werkstattreihe, die sich - wie schon erwähnt - mit der Art auseinandersetzen soll, wie wir heute leben. Die zweite Premiere dieser Reihe ist ein Stück, das Falk Richter während der Proben zu "Electronic City" geschrieben hat. Es heißt "Unter Eis" und wird im Februar Premiere haben. Wie es damit weiter geht, erklärt Jens Hillje, der als Schaubühnen-Dramaturg, die Werkstatt betreut:

    Die Proben haben jetzt begonnen. Außerdem arbeiten wir an Texten für Zusatzveranstaltungen rund um das Thema Amok, die wir im März präsentieren werden. Münden wird das alles im April in ein Stück mit dem Titel "Hotel Palestine". Das ist skizziert als ein Text über eine Gruppe von Menschen, die sich in einem Hotel im Mittleren Osten trifft, während eines Sandsturms im Krieg - ein versprengter Haufen von Journalisten und Soldaten.
    Es soll also ein Bogen geschlagen werden - von Tom und Joy, die orientierungslos in der Electronic City umherirren, zu Journalisten in einer Kriegssituation im Mittleren Osten. Kleiner geht's offenbar nicht. Falk Richter, der die meisten Stücke beisteuert, wird im Februar auch inszenieren. Man wird sehen, wie's wird. Die gestrige Premiere von "Electronic City" war jedenfalls nur ein Erfolg, weil der Regisseur Tom Kühnel das Stück vom Kopf auf die Füße gestellt hat.