Freitag, 19. April 2024

Archiv


Verengte Perspektive auf "Das Amt"

Das Buch "Das Amt" hat einen Historikerstreit zur Rolle des Auswärtigen Amtes im Dritten Reich ausgelöst. Eine Mitschuld sei gegeben, dennoch sei es falsch, die Behörde grundsätzlich als "verbrecherische Organisation" zu verurteilen, erklärt der Historiker Götz Aly.

Götz Aly im Gespräch mit Karin Fischer | 02.12.2010
    Karin Fischer: Wenn es einen neuen Historikerstreit in Deutschland gibt, dann macht er sich an der Frage fest, ob das Auswärtige Amt, ob deutsche Diplomaten Mit-Wisser oder Mit-Wirker am Holocaust waren. Der Historiker Daniel Körfer sagte in der "FAZ", starke Verstrickung ja, vorauseilende Zuarbeit, wie das Buch "Das Amt" suggeriere, nein. Auch Hans Mommsen bemängelte massive Fehler. Es sei falsch, sagte er in dieser Sendung, zu behaupten, das Auswärtige Amt sei bereits im September 1941 in den Holocaust eingeschaltet gewesen. Mommsen bemängelt vor allem den Gesamteindruck, als ob das Auswärtige Amt die entscheidende oder wichtige treibende Kraft in der Durchsetzung des Holocaust gewesen sei.
    Es geht vielleicht also nicht so sehr um die Fakten, die zum großen Teil ja schon bekannt waren, sondern um deren Bewertung, und die fällt manchen zu eindeutig aus. Daniel Körfer sprach von der "Arroganz der späten Geburt". Den Historiker Götz Aly habe ich gefragt, wie er diese Bewertung des Buchs über das Amt als verbrecherische Organisation bewertet.

    Götz Aly: Also den Begriff "verbrecherische Organisation" halte ich für ganz falsch. Der geht auch in die Irre. Das Problem ist: wir machen so eine Institutionsuntersuchung nach der anderen in Deutschland, mal ist es die Dresdner Bank, mal ist es eine Stadtverwaltung, dann ist es das Auswärtige Amt, und immer sagen wir dann am Schluss, die waren zentral dabei. Klar ist, dass die Zentrale in Berlin – das war Hitler, das war insbesondere die SS und der SD und das ganze Reichssicherheits-Hauptamt -, dass die die Federführung bei dem Verbrechen Holocaust, Endlösung der Juden-Frage, hatten. Und klar ist eben auch, dass sehr, sehr viele Leute in sehr, sehr vielen deutschen Institutionen diesem großen Verbrechen zugearbeitet haben. Und das Verdienst des Buches über das Auswärtige Amt ist es, dass es diese Amtslüge, dieses Märchen, das Auswärtige Amt hätte sozusagen fein und diplomatisch mit sehr vielen Adeligen in seinem Personal sich anders verhalten als gewöhnliche deutsche Institutionen. Diese Lüge ist nun beendet durch dieses Buch, das ist auch alles. Jede darüber hinausgehende Aussage erscheint mir falsch.

    Fischer: Genaue Arbeit und gute Präsentation seien kein Widerspruch, so haben Sie das Buch vor einem halben Monat bewertet. Heißt das, Sie revidieren sich dahingehend jetzt?

    Aly: Nein, überhaupt nicht. Das Buch ist in vielen Passagen sehr gut gearbeitet. Es ist ja von ganz unterschiedlichen Leuten gemacht. Aber die Behauptung, die insbesondere von Eckart Conze vertreten worden ist, das Auswärtige Amt als verbrecherische Institution, das halte ich für ganz falsch.

    Fischer: Wir müssen uns ja nicht an diesem Begriff festmachen. Ich glaube, dass es um Daten geht, Wannseekonferenz, die Entscheidung über den Massenmord an den Juden fiel aber früher, nämlich im Herbst _41, und die Frage lautet vielleicht eher, verengt man den Fokus unzulässig, wenn man eben behauptet, das Auswärtige Amt sei maßgeblich auch am Völkermord beteiligt, obwohl, wie Sie ja gerade auch ausgeführt haben, so viele Institutionen daran natürlich auch maßgeblich beteiligt waren?

    Aly: Wissen Sie, diese Verengung nehme ich auch vor. Wenn ich ein bestimmtes Buch schreibe über eine bestimmte Institution, sagen wir mal über das Finanzministerium, oder über den Umsiedlungsapparat Himmlers, dann sage ich natürlich, weil das vorher noch keiner so genau gemacht hat, das waren sehr, sehr wichtige Leute. Aber in der Gesamtschau muss man das hinterher revidieren, beziehungsweise in ein größeres Bild integrieren, und das ist nun in der Aufregung – das ist ja auch ein Teil, das ist ja einfach öffentliche Wahrnehmung. Und ich sehe darin auch ein zentrales Problem, das die Deutschen damit haben. Sie versuchen immer wieder – und das seit 1945 -, den Täterkreis derer, die verantwortlich sind für dieses unvorstellbare Verbrechen, Ermordung der europäischen Juden, möglichst klein zu halten beziehungsweise weit von sich wegzuschieben. Wissen Sie, mit Diplomaten des Auswärtigen Amtes ist niemand so richtig verwandt oder bekannt. Aber man muss doch immer fragen, was haben meine Großeltern, was haben meine Urgroßeltern, was haben in meinem Fall der Vater, was haben die gemacht, wie waren die daran beteiligt, und man muss sich klar machen, dass es sich um ein Verbrechen handelte, das in der gesamten deutschen Gesellschaft – und zwar egal zu welcher Schicht man gehörte – eine ganz breite Beteiligung da war.

    Fischer: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Götz Aly. Aber das bedeutet doch, na klar, auch das Auswärtige Amt, wie praktisch jede Institution im Dritten Reich, hat am Holocaust mitgewirkt und dieses Buch liefere nichts Neues?

    Aly: Nein. Das bedeutet, das Auswärtige Amt hat daran mitgewirkt, und das Problem war doch immer, dass das Auswärtige Amt - Schon wenn Sie in das Archiv gegangen sind des Auswärtigen Amts, da hing dann natürlich auch der Kopf des Archivdirektors, der im Dritten Reich da zuständig war und die Ablage gemacht hat und der nach dem Krieg wieder eingestellt worden ist, nachdem er entnazifiziert worden ist. Dieses Bild hing da, auch wenn Sie ins Archiv gegangen sind. Das war ungeheuerlich, wie man da behandelt wurde und wie selektiv auch die Auskünfte gegeben worden sind. Das hat sich sehr negativ vom Bundesarchiv und von anderen deutschen Archiven unterschieden, ist aber, sobald das Amt nach Berlin umgezogen ist und offensichtlich auch unter der neuen Führung, sehr viel besser geworden beziehungsweise haben die mit dem Bundesarchiv gleichgezogen. Und ich halte es übrigens für ganz unglaublich, dass Herr Frei, der "Das Amt" mit herausgegeben hat, gesagt hat, man habe die Hilfe der Archivare, die das Buch unterstützt hätten, nicht angegeben, um sie zu schützen vor ihren Vorgesetzten heute. Das halte ich für eine Denunziation, die man nicht hinnehmen darf.

    Fischer: So weit der Historiker Götz Aly mit Einschätzungen zum Streit um das Buch "Das Amt".

    Historikerstreit um Rolle des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit - Die Studie "Das Amt und die Vergangenheit" und ihre Bewertung