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Verfassungsänderung in Russland
Putins Machterhalt gesichert

Eine große Mehrheit der russischen Bürger hat offiziellen Zahlen zufolge in einer Volksabstimmung für zahlreiche Verfassungsänderungen gestimmt. Präsident Wladimir Putin hat damit erreicht, was er wollte: Er könnte jetzt bis 2036 im Amt bleiben. Es gab aber auch Protest.

Von Thielko Grieß | 02.07.2020
Russlands Präsident Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin (Imago/ ITAR-TASS)
Am letzten Tag der Volksabstimmung ließ sich auch die politische Führung des Landes in Wahllokalen sehen. Das Staatsfernsehen zeigte, wie Präsident Putin in einem Moskauer Wahllokal seinen Pass vorzeigte, dann einen desinfizierten Stift nahm, er kurz der Kamera seinen Rücken zudrehte und dann seinen Stimmzettel einwarf. Ähnlich der Premierminister, Michail Mischustin:"Heute bestimmen wir die Zukunft Russlands. Ich habe für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes abgestimmt, für die Bewahrung seiner Geschichte, Traditionen und Werte."
Sogar die Zentrale Wahlkommission, eigentlich auf Unparteilichkeit verpflichtet, veröffentlichte schon am Nachmittag einen ersten Trend – während die Wahllokale in den meisten Zeitzonen noch geöffnet waren.
Wladimir Putin während seiner Rede bei der Miltärparade zum Kriegsende am 24. Juni 2020
Volksabstimmung in Russland - Putin für die Ewigkeit
Wladimir Putin will sich weitere Amtszeiten als Russlands Präsident sichern - per Verfassungsänderung. Gut 110 Millionen Wahlberechtigte können ihre Stimme abgeben. Putin verspricht auch höhere Sozialausgaben. Seine Gegner sprechen von einem Staatsstreich.
Einseitige Darstellung der Verfassungsänderung
Und so ließ auch Wenjamin Kondratjew keinen Zweifel offen, wie er abgestimmt hatte. Kondratjew ist Gouverneur der Region Krasnodar, die im Süden des europäischen Teils Russlands liegt, zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus.
"Die Verfassungsänderungen stellen die Möglichkeit dar, das Land stabil zu halten, sich entwickelnd zu halten. Die Möglichkeit, dass unser Land eine starke Macht bleibt. Und die Möglichkeit, dass es in unserem Land einen starken Präsidenten gibt."
Ob die offiziellen Zahlen zu Wahlbeteiligung und Zustimmung so stimmen, kann nicht überprüft werden. Vor dem Hintergrund einer einseitigen Darstellung der Verfassungsänderungen in der Öffentlichkeit, einer hochgradigen Mobilisierung von Wählern, die unter Druck gesetzt werden konnten und der Unmöglichkeit, eine einwöchige Abstimmung in Wahllokalen auch nur annähernd unabhängig zu kontrollieren, muss man von Einflussnahme ausgehen.
Russland, Moskau: Ein Wähler, der einen Mundschutz und Handschuhe zum Schutz vor dem Coronavirus trägt, wirft seinen Stimmzettel in einem Wahllokal in eine Wahlurne.
Die offiziellen Zahlen zur Wahlbeteiligung können nicht überprüft werden (Alexander Zemlianichenko/AP/dpa)
Anteil der Ja-Stimmen könnte niedriger sein
Dafür sprechen auch Nachwahlbefragungen von NGOs und der Oppositionspartei Jabloko, die in Moskau und Sankt Petersburg Wählerinnen und Wähler befragten. Alle drei kommen zu dem Ergebnis, dass der Anteil von Ja-Stimmen niedriger liegen könnte als offiziell behauptet.
"In Moskau ist der Wähler freier. Er hängt nicht so stark vom Willen seines Arbeitgebers ab. Wenn sie ihn bei einer Stelle rausjagen, findet er eine andere. Das ist Moskau", sagt der Politologe Dmitrij Oreschkin im unabhängigen Sender Doschd.
"Wenn Du in Pensa lebst, einer ärmeren Stadt, und sie Dich dort rauswerfen, hast Du Dein Leben auf lange Sicht verkorkst. Also: Die Verfassungsänderungen werden bei uns im Grunde von den Provinzen unterstützt und den sogenannten Wahl-Sultanaten."
Die Wahl-Sultanate sind die muslimischen Teilrepubliken im Kaukasus, wie zum Beispiel Tschetschenien. Loyal zu Moskau stimmten aber auch andere Regionen ab, darunter die annektierte Krim und die dortige Hafenstadt Sewastopol.
Russlands Präsident Putin beim Blick durch ein Fernglas bei einer Militärübung be Orenburg am 20. September 2019
Verfassungsänderung in Russland - Der Plan des Autokraten
Russlands Präsident Putin hatte im Januar schon alles eingefädelt, um seine Machtposition zu sichern. Per Verfassungsänderung will er nach 2024 erneut zur Wahl antreten. Nun musste er wegen der Coronakrise das dafür notwendige Referendum verschieben.
"Nicht einmal Stalin hat die Sowjetunion so lange regiert"
Am Nachmittag und Abend versammelten sich in der russischen Hauptstadt auf dem innerstädtischen Puschkinplatz einige hundert Demonstranten. Sie wendeten sich gegen die Verfassungsänderungen, insbesondere gegen die Möglichkeit für den amtierenden Präsidenten, bei Wahlen weiterhin antreten zu dürfen und bis 2036 weiter zu regieren.
"Diese Zahl für sich, 2036, ist furchtbar", meint Wjatscheslaw. "Wenn Sie in die Geschichte schauen, nicht einmal Josef Stalin hat die Sowjetunion so lange regiert. Also, die Erkenntnis, dass meine Töchter dann weit über 30 sein werden, wenn Putin immer noch regiert, hat mich erschreckt."Die Polizei griff auf dem Puschkinplatz nicht ein.
Der russische Präsident Putin steht während der Militärparade in Moskau vor einem Mikrofon.
Verfassung: Wie umgehen mit Kaiser Putin? Int. Michael Georg Link (FDP) Der FDP-Bundestagsabgeordnete Link hat Zweifel am Ergebnis des russischen Verfassungsreferendums geäußert. Weder Vertreter der OSZE noch des Europarates seien eingeladen worden und damit vor Ort gewesen, sagte der stellvertretende Vorsitzende der deutsch-russischen Parlamentariergruppe.
Wird die Mehrheit für die Verfassungsänderungen nun bestätigt, treten sie umgehend in Kraft. Russland hat dann eine in großen Teilen umgeschriebene Verfassung. Der Präsident, der die Abstimmung trotz Corona-Pandemie und ökonomischer Krise angesetzt und durchgesetzt hatte, wird sich in seinem Kurs bestätigt sehen.