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Verfassungsreferendum in der Türkei
Abstimmung in Deutschland beendet

Präsidialsystem, ja oder nein? Seit dem 27. März konnten die 2,4 Millionen in Ausland lebenden Türken über die in der Türkei geplante Verfassungsänderung abstimmen. Jetzt sind die Wahllokale geschlossen - und die Wahlkuverts werden zur Auszählung in die Türkei geschickt.

Von Susanne Lettenbauer | 10.04.2017
    Ein Türke steht am 27.03.2017 in München (Bayern) in einem Wahllokal in der Wahlkabine.
    Bis Sonntag konnten türkische Bürger in Deutschland am türkischen Verfassungsreferendum teilnehmen. (dpa / Peter Kneffel)
    Demonstrativ, erst kurz vor der endgültigen Schließung des Wahllokals in der Münchner Arnulfstrasse tritt Abbas Eryilmaz gestern abend eine Minute vor 21 Uhr an die Wahlurne. Der Münchner AKP-Funktionär hält lange seinen Stimmzettel hoch, lächelt in die Kameras. Am Revers seines eleganten Anzugs - der rote Halbmond.
    Die siegessichere Geste des Erdogan-Anhängers wirkt trotzig. Die Partystimmung gestellt. Denn die Wahlbeteiligung ist niedrig in München. 44,2 Prozent. Das ergibt die Stimmenauszählung, die kurz danach beginnt. "Ich habe mehr Stimmen erwartet, muss ich ehrlich sagen", meint die Wahlbeobachterin Ayshe Weishe von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei CHP. Sie verfolgte in den vergangenen zwei Monaten jeden Tag an Tisch 8 die Stimmabgabe: "Die Beteiligung ist bisschen niedrig, das finde ich sehr schade, das ist gerade schade für die Demokratie, je mehr Menschen ihre Stimme abgeben, desto ehrlicher wird das Ergebnis sein und wir hoffen, dass die Demokratie gewinnen wird, hoffen wir es."
    Weite Wege bis zum Wahllokal
    Nur zwei Wahllokale für ganz Bayern, das habe Wähler abgeschreckt, meinen Kritiker vor dem Wahllokal. Die Mehrheitspartei AKP habe kostenlos Busse bereitgestellt, die Oppositionsparteien waren für ihre Fahrten auf Spenden angewiesen. Die prokurdische HDP wurde für die Wahlkommission gar nicht erst zugelassen. Außerdem hätten zahlreiche Wahlberechtigte nicht wählen können, weil sie in der Türkei registriert seien. Darauf hingewiesen wurden sie aber vorab nicht.
    Weishe: "Die Beteiligung ist deswegen nicht so stark, es sind viele, die nicht kommen konnten in diesen zwei Wochen. In der Woche arbeiten sie, am Wochenende ist auch viel los."
    Wahlkommission unter besonderer Beobachtung
    Während draußen getanzt und Tee ausgeschenkt wird, herrscht im Wahllokal Konzentration. Auf den zehn Wahltischen liegen khakigrüne Wahlkuverts gestapelt, sie werden von den vier Mitarbeitern pro Tisch mehrmals gezählt: "Diese Wahlkuverts werden dann in Säcke reingetan und diese Säcke werden dann geknotet und darauf kommt so eine Art Stempel", erklärt Ayhan Yilmaz, der die Wahl für die Münchner Initiativgruppe Interkulturelle Bildung und Begegnung beobachtet. Fast jeden Tag von 9 bis 21 Uhr. Sein Eindruck: Es laufe alles ordnungsgemäß, keine Randale, aber: "Es kam schon vor, dass ein Parteienvertreter der AKP so Hinweise gegeben hat und wenn die Wahlbeobachter das dann mitbekommen, das gab es, dann haben sie widersprochen und eine schriftliche Notiz gemacht."
    Die Verantwortlichen der Wahlkommission wissen, dass sie gerade in Deutschland unter Beobachtung stehen. Die diplomatischen Spannungen aufgrund der Wahlkampfauftritte türkischer Spitzenpolitiker in Deutschland sind noch nicht vergessen. Die Bedeutung der ausländischen, deutschen und Münchner Wählerstimmen für den Ausgang des Referendums kennt jeder hier nur zu genau.
    Stimmen werden in der Türkei ausgezählt
    Zweifel an der Wahl sollen deshalb gar nicht erst aufkommen, betont dieses Mitglied der Wahlkommission: "Wie Sie wissen, werden die Stimmen ja nicht hier in Deutschland ausgezählt, sondern erst am 16. April um Mitternacht gemeinsam mit den anderen Stimmen in der Türkei. Vorher werden sie hier in einem speziellen Raum gelagert unter Kontrolle der Kommission und dann von einem Flugzeug abgeholt.
    Genau das lässt die türkischen Wähler, die sich vor dem Infostand der Nein-Sager versammeln, zweifeln. Ihnen wäre lieber, die Stimmen würden in Deutschland ausgewertet: "Wir haben Bedenken, dass es nicht sauber läuft, also auf jeden Fall gehören Beobachter hingeschickt in die Türkei, bis jetzt ist nichts demokratisch gelaufen, alle Medien sind unter seiner Kontrolle." "Wir warten auf die nächste Woche. 16. April, was passiert da in der Türkei, zum Beispiel in der Osttürkei, da mache ich mir Sorgen, da ist alles blockiert, zum Beispiel die HDP hat keinen Wahlraum."
    AKP-Vertreter geben keine Interviews
    Am Infostand der Regierungspartei AKP verweigert man jedes Interview. Die Anweisung sei von ganz oben gekommen, sagen die überwiegend jungen Frauen. Der Arm von AKP Europachef Mustafa Yeneroglu - kürzlich Talkshowgast bei Maybrit Illner - reicht bis nach München.
    Gegen 23 Uhr werden die letzten weißen Säcke versiegelt, der Münchner Generalkonsul kontrolliert die Protokolle der zehn Wahltische. Danach fahren sie die Säcke gemeinsam zum Konsulat. Die Wahlbeobachter bleiben bei den Stimmzetteln bis diese am 16. April endgültig ausgezählt werden.