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Türkische Opposition in Deutschland
Werben für ein Nein zur Verfassungsänderung

In der Türkei würden sie verhaftet, in Deutschland können Vertreter der prokurdischen HDP aber noch auftreten und auch dafür werben, beim türkischen Verfassungsreferendum mit Nein zu stimmen. Sie befürchten, dass es das Ende des türkischen Vielvölkerstaates wäre. Einen Boykott der Abstimmung halten sie nicht für sinnvoll.

Von Anke Petermann | 16.03.2017
    Anhänger und Sympathisanten der kurdischen Partei HDP demonstrieren in Berlin gegen die Verhaftung ranghoher Parteimitglieder in der Türkei.
    Anhänger und Sympathisanten der kurdischen Partei HDP bei einer Demonstration in Berlin.Viele werben jetzt für ein Nein beim Verfassungsreferendum. (imago / Seeliger)
    Gegen die Hauptrednerin Tugba Hezer Öztürk, Nationalkongress-Abgeordnete aus dem kurdischen Van, liegt in der Türkei ein Haftbefehl vor – Terrorunterstützung wird ihr unter anderem vorgeworfen. Lebenslänglich droht ihr. Dass die schmale 28-Jährige nicht schon inhaftiert ist – nur dem Zufall zu verdanken, dass sie im richtigen Moment im Ausland war und ihre Dienstreise prophylaktisch verlängert hat. Nichts zu verlieren hat die Politikerin der prokurdischen HDP - sie wird deutlich, spricht vom Ende des Vielvölkerstaats, der Horrorvision einer faschistischen Alleinherrschaft und sagt:
    "Hayir." - Nein zu all dem. Die 60, 70 Zuhörer im Saal eines deutsch-griechischen Lokals applaudieren Tugba Hezer Öztürk oft. Unter den vielen Frauen, die sich an der Diskussion beteiligen, keine mit Kopftuch. "Eine Frau wird gar nichts mehr zusagen haben, deshalb müssen wir darum kämpfen, dass das nicht passiert."
    Die beiden vom Vorstand der Alevitischen Gemeinde Karlsruhe haben gerade begonnen, auch in der Fußgängerzone gemeinsam mit kurdischen Migranten-Organisationen für die Ablehnung der Verfassungsreform zu werben. Ein Dilemma, gibt Ceren Akbaba zu. Denn: "Menschen, die sich mit Verfassungsschutz auskennen, haben viele Jahre darauf gepocht, dass sich die türkische Verfassung ändert, weil es ja die vom Militärputsch 1980 ist. Das heißt, sie müsste eigentlich wirklich mal geändert werden, aber das, was wir am 16. April wahrscheinlich erleben werden, geht natürlich in eine ganz falsche Richtung."
    Karlsruhe kann Projektpartnerschaft mit Van nicht pflegen
    In die einer totalen Ermächtigung von Präsident Erdogan?
    "Also, ich sehe da eine symbolische Ermächtigung, denn die Macht hat er schon."
    Jetzt gelte es nur noch, eine demokratische Legitimation dafür vorzutäuschen, meinen die meisten im Saal. Echt könne die nicht sein, dafür wurden zu viele Oppositionelle und Journalisten mundtot gemacht. Karlsruhe kann seine Projektpartnerschaft mit der kurdischen Stadt Van nicht pflegen, Oberbürgermeister Frank Mentrup von der SPD solidarisiert sich mit abgesetzten Kommunalpolitikern im Osten der Türkei.
    "Die Telefone sind tot, das Internetseiten abgeschaltet und die ganze kommunale Verwaltung dort unter die Leitung eines Statthalters gestellt, sodass es auch keine demokratischen Strukturen mehr gibt."
    Mit Blick auf die drittgrößte Oppositionsfraktion im Nationalkongress präzisiert Tugba Hezer Öztürk:
    "13 unserer Abgeordneten sind inhaftiert, mehrere unserer Co-Bürgermeister sind inhaftiert und können sich nicht äußern zu den Sachen, können keinen Wahlkampf betreiben oder können überhaupt nicht zum Referendum sprechen."
    Den 16-jährigen Sebastian Kittel schockiert zu hören, "wie viele Menschen doch diskriminiert und eingesperrt wurden und Erdogan auf eine Art und Weise für ein Präsidialsystem kämpft, was überhaupt nicht mit demokratischen Werten vereinbar ist. Gerade in Europa wissen wir, wie wichtig Demokratie für den Erhalt des Friedens ist, und von daher ist es auch mir persönlich ein Anliegen, die Demokratie in der Türkei zu erhalten und damit den Frieden in Europa."
    Boykott wäre ein Blankoscheck
    Kein rein innertürkisches Problem, meint auch Karin Binder, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. 1,4 Millionen Menschen in Deutschland sind beim türkischen Verfassungsreferendum wahlberechtigt, betont Hezer Öztürks parlamentarische Patin zum Schutz vor Verfolgung.
    "All die Menschenrechte, Grundrechte, die wir haben, werden selbstverständlich von der türkischen Regierung mit Füßen getreten, und das soll dann noch hier in Deutschland verbreitet werden. Da halte ich dagegen, und deshalb mache ich diese Veranstaltungen."
    Am Ende der dreistündigen Diskussion fragt jemand, ob es nicht besser wäre, die Abstimmung über eine Verfassungsänderung nach Erdogans Gusto zu boykottieren. Tugba Hezer Öztürk glaubt, dass der Präsident das als Blankoscheck nutzen würde. Zum Abstimmen und Nein-Sagen sieht die HDP-Politikerin keine Alternative. Allerdings:
    "Unser Tagesthema ist es, wie können wir die Demokratie wieder fortschreiten lassen, wie können wir die Demokratie wieder auferrichten", übersetzt die Berlinerin Jiyan Durgun die junge kurdische HDP-Politikerin, die ihre Flucht lieber Dienstreise nennt, damit ihr die Regierung nicht die türkische Staatsangehörigkeit entzieht.