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Vergrabene Bücher

Die amerikanischen Bibliotheken stecken in der Krise: Die Büchereien müssen sparen. Bibliothekare werden entlassen. Zugleich gibt es eine Art Gegenbewegung. Neue, revolutionäre und futuristische Ideen werden verwirklicht - zum Beispiel ein Buchbunker an der University of Chicago.

Friederich Mielke im Gespräch mit Katja Lückert |
    Katja Lückert: Ab heute treffen sich knapp 4.600 Bibliothekare aus Deutschland und zahlreiche Gäste aus dem Ausland beim Deutschen Bibliothekartag in Berlin. Diskutiert werden dort in diesen Tagen die Entwicklungen in Bibliotheken als Kultur- und Bildungsorten. Amerika, Friederich Mielke, sei ein Land ohne Bibliotheken. So war kürzlich zu lesen in der New York Review of Books. Ist das eigentlich nur eine journalistische Polemik, oder kann man wirklich von einer Krise sprechen?

    Friederich Mielke: Nun gut, das ist nicht nur Polemik. Die öffentlichen Büchereien werden also von den Kürzungen betroffen, die Bibliothekare werden zusätzlich entlassen. Detroit zum Beispiel schließt seine städtischen Büchereien. Auch die Schulbibliotheken – Amerika hat sehr schöne Schulbibliotheken – leiden unter diesem Haushaltsdruck und auch die Universitätsbibliotheken haben Probleme, weil Fachzeitschriften und wissenschaftliche Publikationen sehr teuer geworden sind. Also grundsätzlich kann man schon sagen, dass die amerikanischen Bibliotheken in einer Krise stecken.

    Lückert: Sie haben ja die drei Felder jetzt schon unterschieden: öffentliche, private, Universitätsbibliotheken, die ja auch häufig von privaten Sponsoren leben. Geht es denen dann auch so schlecht, oder ist das sozusagen ortsabhängig?

    Mielke: Na ja, das meiste wird ja nicht so sehr privat finanziert. Die Schulbibliotheken kommen von dem Gemeindeetat, die öffentlichen Büchereien werden auch vom städtischen und gemeindischen Etat bezahlt und die Universitätsbibliotheken zum großen Teil auch, es sei denn, sie haben natürlich die großen Privatuniversitäten wie Chicago oder Harvard, da ist natürlich sehr viel privates Geld. Aber grundsätzlich betrifft das alle drei Bibliotheksformen. Ja, Amerika ist in der Krise.
    Dennoch interessant: Es werden immer mehr Menschen in Amerika beobachtet, die in diese Bibliotheken hineingehen, in die öffentlichen Leihbibliotheken zum Beispiel. Seit 1978 gehen 15 Prozent mehr Amerikaner in die Bibliotheken, in denen sich immer noch 80 Prozent dieser Amerikaner Bücher entleihen und nur 20 Prozent das Internet nutzen. Also noch ist die Bibliothek oder die öffentliche Bücherei nicht abgeschafft.

    Lückert: Gerade ist die Book Expo in New York zu Ende gegangen. Amerika ist ein wenig Vorreiter in Sachen E-Book. Erleben Sie das auch so?

    Mielke: Ja, auf jeden Fall. Selbstverständlich! Die Digitalisierung ist im vollen Gange. Sie sehen zum Beispiel: die Harvard University Library, eine der größten Bibliotheken der Welt, digitalisiert ihren gesamten Buchbestand, das ist schon sehr spannend, und über Mausklick und Wikipedia und so weiter wird natürlich sehr viel heute digital erreicht. Dennoch: Das Buch ist nicht tot und die Bibliotheken leben weiter und die Mehrheit der Amerikaner glaubt, dass die Bibliotheken das elektronische Informationszeitalter überleben werden.

    Lückert: Wie verändert sich also die Bibliothekslandschaft zurzeit in Amerika? Gibt es Tendenzen, dort die kleinen öffentlichen Bibliotheken, in denen man zwischen den Regalen noch durchwandern konnte, zu ersetzen durch zentrale größere Institutionen, oder wie sieht das aus?

    Mielke: Ja, auf der einen Seite ist dort ein gewisser Schrumpfungsprozess im Gange, das ist richtig. Auf der anderen Seite gibt es was ganz Revolutionäres. Zum Beispiel die University of Chicago hat gerade 3,5 Millionen Bücher unterirdisch vergraben, also einen Buchbunker in die Erde hineingelegt. Das ist also futuristisch, ultramodern. Da liegen also die Bücher in ungefähr 35.000 Metallkästen, da werden sie nach Umfang und Größe gespeichert und dann elektronisch abgerufen und über einen Roboter, der die Bücher dann elektronisch steuert, nach oben gebracht. Das ist eine futuristische Idee, sozusagen Bücher zu beerdigen im wahrsten Sinne des Wortes. Das Ganze wurde von Helmut Jahn, dem berühmten deutschen Architekten, entworfen, ein großer Raum mit einer Glaskuppel, da sitzt man also wunderbar an diesen Büchertischen und unter sich, 15 Meter tief runter in der Erde, liegen 3,5 Millionen Bücher. Das Ganze hat 82 Millionen Dollar gekostet, wurde auch stark privat subventioniert, ist natürlich etwas ganz neues, das nicht unbedingt jetzt Schule machen wird. Zum Beispiel die Syracuse University plant, fünf Millionen Dollar zu investieren in einen neuen Buchspeicher, und die University of Denver will 32 Millionen Dollar investieren für die Renovierung ihrer Bibliothek. Also es ist so eine Art Gegenbewegung: Auf der einen Seite leiden die Bibliotheken, auf der anderen Seite entsteht etwas Neues, etwas Revolutionäres, Futuristisches, und das ist die tatsächliche Veränderung in der amerikanischen Bibliothekenlandschaft.

    Lückert: Friederich Mielke über amerikanische Bibliotheken im Wandel der Zeiten.