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Verhältnis zu Russland
Finnland zwischen den Stühlen

Finnlands Verhältnis zu Moskau belastet das zu den anderen EU-Staaten. Denn noch immer hat Helsinki traditionell sehr enge Beziehungen zu seinem östlichen Nachbarn. Aber auch mehr und mehr Finnen sehen Moskau als reale Bedrohung. Mit Folgen für die russischsprachige Minderheit.

Von Christoph Kersting | 29.09.2014
    Der finnische Präsident Sauli Niinistö bei einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin.
    Keine leichte Beziehung: Der finnische Präsident Sauli Niinistö bei einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. (AFP / Ivan Sekretarev)
    Russland ist allgegenwärtig im Stadtbild von Helsinki: Majestätisch thront die von Zar Alexander II. erbaute Uspenki-Kathedrale auf einem Felsen unweit des Hafens der finnischen Hauptstadt. Im 19.Jahrhundert gehörte Finnland noch zum Zarenreich, doch seit der finnischen Unabhängigkeit im Jahr 1917 ist die Uspenki-Kathedrale nicht mehr russisch-, sondern finnisch-orthodox - die Messe wird, wie auch an diesem Abend, auf Finnisch gelesen.
    Auch Jonas Pasanen kennt die Geschichte der Kathedrale. Der 22-Jährige genießt mit Freunden die letzten herbstlichen Sonnenstrahlen auf dem Rasen unterhalb der Kirche. Klar, Russlands Rolle im Ukraine-Konflikt, die Unberechenbarkeit Wladimir Putins, all das sei besorgniserregend. Aber die Gefahr, dass Russland erneut wie vor 200 Jahren auch Finnland für sich beanspruchen könnte, sieht Jonas nicht.
    "Die Russen eine Bedrohung für Finnland - nein, das glaube ich nicht. Natürlich ist das oft diskutiert worden in den vergangenen Monaten. Aber das ist doch eher ein Thema, das von den Medien konstruiert wird. Man muss auch unterscheiden zwischen den Russen und der offiziellen Politik. Tatsache ist doch: Finnland würde nicht funktionieren ohne die Arbeitskräfte aus Russland, Estland und anderen Ländern."
    1.300 Kilometer gemeinsame Grenze
    Denn noch immer hat Finnland traditionell sehr enge Beziehungen zu seinem östlichen Nachbarn: Stolze 1.300 Kilometer lang ist die finnisch-russische Grenze, und der Schnellzug von Helsinki benötigt nur drei Stunden ins russische Sankt Petersburg. Die spezifische geopolitische Lage hat Finnland bislang daran gehindert auch NATO-Mitglied zu werden. Die Ukraine-Krise und das Gebaren von Putins "Neurussland" bringen das Thema nun zwangsläufig wieder auf die Tagesordnung.
    So entspannt wie Jonas Pasanen sind daher nicht alle Finnen, Jonas' Freundin Marii zum Beispiel macht sich ernsthafte Sorgen. Man wisse nie, was Putin morgen oder übermorgen einfalle.
    Die Meinung der beiden jungen Leute deckt sich ganz gut mit der aktuellen Stimmungslage im Land. Einer Mitte September veröffentlichten Studie zufolge sehen 43 Prozent der Finnen Russland als reale Bedrohung für ihr Land, im März dieses Jahres hatte sich nur ein Viertel der Befragten so geäußert.
    Das Gebaren Russlands im Ukraine-Konflikt wirft aber auch ein Licht auf das Verhältnis der Finnen zu ihrer eigenen russischsprachigen Minderheit - und umgekehrt. Dass sich da aktuell etwas verändere im Zusammenleben, dass es neue Zwischentöne gebe, das stellt auch Eilina Gusatinskaja immer öfter fest. Die Journalistin wurde in Moskau geboren, ihre Eltern stammen aus der Ukraine und Karelien. Schon seit ihrer Kindheit lebt Eilina in Finnland und ist heute Chefredakteurin der monatlich auf russisch erscheinenden Zeitschrift "Spektr" mit Sitz in Helsinki.
    "Wir haben hier rund 100.000 Russischsprachige in Finnland, ganz wichtig dabei ist: Es gibt nicht die russischsprachige Minderheit hier. Wenn man zum Beispiel in entsprechenden Onlineforen nachliest, wie die Leute sich zur Ukraine äußern, dann sind es jeweils 20 Prozent, die entweder Partei für Kiew ergreifen oder pro-Putin sind. 60 Prozent wollen sich gar nicht äußern, ganz anders als in Estland, wo die meisten Russischstämmigen ganz klar prorussisch sind. Was mich aber hier in Finnland vor allem beunruhigt: Das Verhältnis der finnischen Gesellschaft zu uns verändert sich. Ich würde noch nicht von einer Entfremdung sprechen, aber in so einer Krisensituation wird alles Russische ganz schnell gleichgesetzt mit Putin. Man wird dann das Gefühl nicht los, dass man nicht mehr dazugehört."
    Verbindungen nach Russland gekappt
    Eilina Gusatinskaja, die große Hoffnungen in die Kiewer Maidan-Bewegung gesetzt hatte, fühlt sich entwurzelt. Denn mit seiner neuen Großmachtpolitik habe Putin quasi emotional die Verbindungen zu ihrer alten Heimat Russland gekappt.
    "Die größte Gefahr geht in dieser Krise nicht von Putin aus, sondern von großen Teilen der russischen Bevölkerung. Diese Menschen fühlen sich seit dem Untergang der Sowjetunion erniedrigt und beleidigt und sehen jetzt die Chance, es dem Westen heimzuzahlen. Ich kann deshalb leider nicht zu 100 Prozent sagen: Nein, das alles ist keine Bedrohung für Länder wie Estland und Finnland."