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Verkehrswissenschaftler
"Eine Maut würde zuverlässig aus dem Stau führen"

Mit einer intelligenten Maut ließe sich der Verkehr besser lenken und so Staus verhindern, sagt Heiner Monheim, Verkehrswissenschaftler der Universität Trier, im DLF. Das in Deutschland diskutierte Modell der Vignette löse dagegen keine Probleme.

Heiner Monheim im Gespräch mit Rainer Brandes | 28.12.2013
    Die Autobahn 2 im Abendlicht, dahinter ein Windrad
    Die Große Koalition will eine Pkw-Maut einführen, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Jürgen Zurheide: Was ist von dieser gemeinschaftlichen Kritik von Grünen und ADAC an der Pkw-Maut zu halten? Und was müsste man insgesamt in der Verkehrspolitik ändern? Mein Kollege Rainer Brandes hat darüber mit dem Verkehrsexperten Heiner Monheim gesprochen, und er hat ihn als Erstes gefragt, der ADAC will also lieber die Mineralölsteuer erhöhen als die Pkw-Maut einführen. Damit würde Benzin noch teurer. Ist das den sinnvoll, Herr Monheim?
    Heiner Monheim: Benzin wird sowieso teurer, mit oder ohne Maut, aber es ist nicht sinnvoll, weil der eigentliche Sinn einer Maut wäre – das ist aber in Deutschland im Moment nicht in der Debatte –, nach Tageszeit, nach Verkehrsdichte zu variieren, nach Fahrzeugtyp zu variieren. Solche intelligenten Mautmodelle hat vor 35 Jahren mal Singapur eingeführt und damit viel erreicht. Die skandinavischen Länder haben Mauten, die als verkehrspolitisches Lenkungsinstrument genutzt werden, nicht nur als Cashcow, um Geld in die Kassen zu kriegen, sondern um einfach auch raus aus dem Stau zu führen. Maut würde zuverlässig aus dem Stau führen.
    Rainer Brandes: Wenn es solche Konzepte zu einer intelligenten Maut, wie Sie es sagen, gibt, warum werden die in Deutschland dann nicht eingesetzt?
    Monheim: Ja, weil wir keine wirklich seriöse Diskussion darüber führen. Das war ganz lange ein Tabuthema, also weder die Londoner Citymaut-, noch die skandinavischen Citymaut-Modelle sind in Deutschland ernsthaft diskutiert worden, und die Holländer waren als erstes europäisches Land kurz davor, übrigens unter der Führerschaft des holländischen ADAC, in den Niederlanden heißt der ANWB. Der Chef des ANWB war Präsident der niederländischen Mautkommission. Und das sollte eine Hightech-Intelligenzmaut sein, die würde also je nach Verkehrslage, je nach Tageszeit, je nach Empfindlichkeit der Straße variiert sein, im Stau würde man besonders viel bezahlen, und das war eigentlich ein toll entwickeltes Mautmodell.
    Brandes: Und wer verhindert diese Diskussion dann in Deutschland?
    Monheim: Ja, also Autothemen sind bei uns immer sehr emotional besetzt, über so was darf man nicht wirklich offen und vorbehaltlos diskutieren, und die Vignette, die bei uns eben diskutiert worden ist, die Vignette ist ein extrem unintelligentes Mittel. Wir brauchen also was, wo es nicht einen festen Preis gibt, sondern wo die Preise variabel sind, wie gesagt, nach Tageszeit unterschiedlich, nach Straßentyp unterschiedlich, und es muss allerdings eine Maut sein, die auf allen Straßen gilt, also es hilft auch nichts, dass wir eine reine Autobahnmaut einführen, dann haben wir große Verlagerungsprobleme, sondern es muss eine fahrleistungsabhängige, intelligente Pkw-Maut und Lkw-Maut für alle Fahrzeugtypen sein. Und dann kann man hervorragend steuern. Sie können dann eben schmutzige Autos teurer machen, saubere Autos billiger. Sie können schnell fahren teuer machen und, ich sage mal, verhalten fahren belohnen. Sie haben alle Möglichkeiten, an allen Schräubchen Feintuning zu machen. Und das will Verkehrspolitik nicht. Verkehrspolitik wird bei uns immer mit dem Hammer gemacht und nicht mit dem Stilett.
    Brandes: Nun sagen die Grünen ja, sie würden eigentlich lieber, statt einer Pkw-Maut einzuführen, die Lkw-Maut ausweiten, eben auch auf alle Straßen, so wie Sie das sagen. Wäre so etwas sinnvoll?
    Monheim: Also es ist in jedem Falle sinnvoll, die Lkw-Maut auszuweiten. Bisher kriegen die Kommunen von der Lkw-Maut keinen einzigen Cent. Aber die kommunalen Straßen werden am schlimmsten kaputt gefahren von den Lkws. Wenn Sie sich mal Bürgersteige in den Städten angucken - die Bürgersteigplatten werden permanent kaputt gefahren von 40-Tonnern, die den Supermarkt beliefern, und zack, sind mal wieder für 70.000, 80.000, 100.000 Mark Schäden entstanden. Die Kommunen sind bettelarm im Moment, können das alles nicht mehr regeln. Und deswegen brauchen wir eine Maut, die fahrleistungsabhängig ist, ein Großteil der Fahrleistung wird im Innerorts-Bereich gebracht, und deswegen müssen die Kommunen selbstverständlich von dem Geld was kriegen, und deswegen müssen Kommunalstraßen auch bemautet werden, und deswegen brauchen wir eine Diskussion. Ich verstehe da auch nicht die kommunalen Spitzenverbände, die bei dem Thema auch ziemlich ein Brett vor dem Kopf haben.
    Also wir müssen das ganz vorbehaltlos angehen. Da kann man ja mal einen weltweiten Vergleich machen: Wo gibt es welche Mautmodelle, wie funktionieren die, wo erreicht man sehr viel? Und dann wird man merken, dass es kein Mittel gibt, was so intelligent Verkehr lenken und steuern kann – letztlich ist eine Maut ein wichtiges Element im Verkehrssystemmangement. Und ja, vielleicht wird ja diese Legislaturperiode dazu führen, dass wir das Brett vom Kopf reißen.
    Brandes: Das heißt, da sehen Sie eine Chance darauf, dass es tatsächlich zu so etwas kommen kann in Deutschland?
    Monheim: Das Thema ist jetzt auf der Agenda. Also bisher war das ein Tabuthema, und jetzt ist es auf der Agenda, und alle werden sehr schnell merken, dass das, was sich die Koalitionsvereinbarung vorgenommen hat, dass das zu wenig ist, dass man damit zu wenig erreicht. Und es darf nicht nur eine reine Inkassofrage sein. Also wir brauchen einfach Geld, und wo kriegen wir das Geld? Vom Autofahrer. Nein, das muss mehr sein. Es muss eine wirkliche Lenkungswirkung haben. Wir haben viel zu viel Autoverkehr, wir müssen raus aus dem Stau, und da ist eine Maut ein sehr gutes Mittel.
    Zurheide: Das war der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim von der Universität Trier.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.