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Verschobene Operationen, Verluste in Millionenhöhe

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder haben nach rund dreimonatigen Streiks einen Kompromiss erzielt. An den Universitätskliniken herrscht seitdem wieder fast normaler Betrieb. Aber es wird noch Wochen, wenn nicht Monate dauern, bis verschobene Operationen nachgeholt sind. Und an den Kliniken wird sich nach diesem Arbeitskampf einiges ändern.

Von Mikro Smiljanic |
    Der Mammutstreik an Deutschlands Universitätskliniken war etwas ganz Besonderes: Notfälle wurden behandelt - keine Frage - Verschiebbares aber verschoben. Und wenn es hart auf hart kam, machten die Mediziner auch schon mal ganze Abteilungen dicht. Trotzdem gab es bei den Patienten selbst in der Schlussphase des Arbeitskampfes durchaus differenzierte Positionen.

    " Es gibt sicherlich Patienten, die gesagt haben, dass sie das verstehen, andere Patienten, die dringende Eingriffe hatten, die hatten dafür weniger Verständnis, Operationen mussten dann aufgeschoben werden, was natürlich sehr unangenehm ist, abgesehen davon können, wir die Situation aber nicht ändern. Wir können aber davon ausgehen, dass wir eine große Zahl von Patienten verloren haben, die haben sich andere Kliniken gewand, um sich dort behandeln zu lassen, ob wir die dann wieder kriegen, ist dann noch die Frage,..."

    …sagt Professor Michael Lenze, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Bonn, und schneidet eine erste gravierende Folge des Streiks an. Universitätskliniken sind Einrichtungen der Maximalversorgung, personell und technisch also teuer ausgestattet. Die Uniklinik Köln beispielsweise hat 1.500 Betten mit jährlich 50.000 stationären Patienten. Zusätzlich werden über 150.000 ambulant versorgt. Wenn die Patientenzahlen sinken, führt das zu dramatischen Einnahmeverlusten - sagt Professor Klaus Lackner, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Köln.

    " Für das erste Quartal liegt das in einer Größenordnung 1,5 bis 2 Millionen, wir müssen aber davon ausgehen, dass es Nachwirkungen gibt, so dass wir im 2. Quartal mit einem höhern Verlust rechnen. "

    Womit die Uniklinik Köln fast noch günstig weg kommt. Michael Lenze aus Bonn sieht trotz aller Unsicherheit weit höhere Defizite auf sich zukommen.

    " Das ist im Moment schwer zu beziffern, aber es wird schon eine zweistellige Millionensummer heraus kommen. Jetzt muss man schauen, wie man diese Defizite wieder aufholt, ob uns das gelingen wird durch die normale Arbeit, in dem wir mehr Fälle machen als vorher, es ist ja schon fast ein halbes Jahr vorbei, bleibt abzuwarten, wenn das nicht der Fall ist, muss man andere organisatorische Maßnamen treffen. "

    Wenn Ärzte länger arbeiten, klettert natürlich auch ihr Stresspegel. Genau den wollten sie aber durch den Streik senken: Weniger Überstunden war eine ihrer Forderung. Also bleiben nur noch die von Michael Lenze angeschnittenen "organisatorischen Maßnahmen" - Ein weites Feld mit weit reichenden Konsequenzen.

    " Wir brauchen sicherlich mehr Ärzte, wenn man den Forderungen des Marburger Bundes nachgibt und den Betrieb wieder so aufnehmen will, wie er vorher war. Das wird aber nicht gehen, weil ja überhaupt nicht erkennbar ist, dass mehr Geld ins System kommt, sondern, die Entwicklung, die durch den Streik verstärkt eingeleitet wird, ist die, dass wir in Zukunft sortieren, welche Tätigkeiten müssen Ärzte ausführen und welche können wir an weniger qualifizierte Mitarbeiter im nichtakademischen Bereich delegieren. Sie werden also immer weniger Ärzte in den Krankenhäusern sehen, weil sie einfach zu teuer sind, und die Arbeitsfelder der Ärzte werden auf immer exklusivere Bereiche konzentriert. Dadurch wird das Gesicht sich in Krankenhäusern als Streikfolge erheblich verändern. "

    Verkehrte Welt: Der Streik soll ein entspanntes Arbeiten aller Klinikmitarbeiter möglich machen, bewirkt unter Umständen aber das Gegenteil.

    " Es kommt ein wenig drauf an, wie die Absprachen sein werden und auch die maximalen Arbeitszeiten von Ärzten festgelegt werden, insbesondere in Bezug auf die Bereitschaftsdienststunden, das ist ja im Moment völlig unklar, darüber wird auch im Moment gar nicht gesprochen, das muss man sehen, aber wird darauf hinauslaufen, dass Ärzte im Prinzip nicht sehr viel weniger arbeiten als früher, sie werden dafür nur besser bezahlt. "

    Eine weitere Folge des Streiks betrifft Forschung und Ausbildung. Für Medizinstudenten fielen reihenweise Praktika und Kurse aus, die jetzt irgendwie in den ohnehin überquellenden Studienplan gequetscht werden. Gleiches gilt für Wissenschaftler, die ihre Forschungen für Wochen ganz oder teilweise einstellen mussten und ihre Zeitpläne möglicherweise nicht einhalten können. In einem Punkt ist Michael Lenze aber optimistisch: Zu einem Imageproblem der Ärzte führt der Streik wahrscheinlich nicht.

    " Ob das einen Imageverlust macht, wage ich zu bezweifeln, es hängt ein wenig davon ab, der Streik ausgedehnt wird auf die kommunalen Krankenhäuser. "