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Versöhnung oder der Verhöhnung?

Vor 50 Jahren hatte Diktator Francisco Franco in der Nähe von Madrid eine enorme Basilika in einen Fels hauen lassen - als Zeichen seines Triumphes im spanischen Bürgerkrieg. Das "Tal der Gefallenen", wie das Gebiet um das Bauwerk auch bezeichnet wird, ist zunehmend in die Kritik geraten. Dennoch wird dem Despoten dort noch immer jährlich eine Gedenkfeier gewidmet.

Von Hans-Günter Kellner |
    Das 150 Meter hohe Granitkreuz auf einem Felsen der Madrider Sierra de Guardarama ist weithin sichtbar. Durch einen großen Bogen tritt der Besucher in die in den Stein gehauene, mehr als 250 Meter lange Basilika. Neben dem Altar liegt Francisco Franco begraben, zu Lebzeiten der "Generalísimo", Spaniens Diktator. Anselmo Álvarez, Abt des Klosters, empfängt seine Besucher in einem kleinen Nebenzimmer. Durch ein großes hohes Fenster fällt das Licht der Abendsonne. Die Gottesdienste zum Gedenken an Franco seien eine katholische Tradition, sagt der Abt.

    "Gibt es irgendeinen Grund, Franco von dieser Tradition auszunehmen? Die Kirche betet für alle ihre Toten, wer es auch sei. Zur Zeit der Christenverfolgung betete sie sogar für ihre Verfolger, die römischen Kaiser. Das geschieht seit den Anfängen des Christentums. Man kann da keine Ausnahmen machen. Wir dürfen nicht zwischen Guten und Bösen unterscheiden. Das kann nur das jüngste Gericht."

    Bis zu 6000 Franco-Anhänger besuchen die jährliche Messe. Nach dem Gottesdienst stellen sie vor der Basilika Fahnen auf, singen mit ausgestrecktem rechten Arm faschistische Kampflieder. Spaniens Parlament hat inzwischen politische Veranstaltungen jeglicher Art im Tal der Gefallenen verboten. Anselmo Alvarez hält die Maßnahme für unnötig.

    "Es stimmt zwar, eine halbe Stunde lang haben da ein paar Leute Schilder aufgestellt und irgendein Lied gesungen. Eine halbe Stunde, während eines ganzen Jahres! Das ist ein vollkommen unpolitischer Ort. Ausgerechnet letztes Jahr sind es wegen dieser Debatte wieder mehr geworden. Aber nach einer Stunde war wieder alles vorbei."

    Doch in den Katakomben der Basilika liegen auch mindestens 30.000 Opfer von Krieg und Repression, darunter auch zahlreiche des Franco-Regimes. Viele der Nachfahren finden es unerträglich, dass ihre Angehörigen dort bestattet sind. Sie fordern eine Exhumierung der Gebeine. Nachdem Spaniens Regierung auf diese Forderung bis heute nicht reagiert hat, hat nun das Parlament beschlossen: Jeder Angehörige hat ein Recht darauf. Doch der Abt ist skeptisch:

    "Die Regierung und das Parlament haben da einen Wunsch ausgesprochen. Aber es fehlt der zweite Teil: Zu überprüfen, ob das technisch überhaupt möglich ist. Die Basilika ist sehr feucht. Gebeine wurden umgebettet, weil Steine aus dem Gewölbe herausbrechen. Die Kisten, in denen sie gebracht wurden, sind auseinandergefallen. Wir haben nichts dagegen. Aber die Regierung muss zuvor den Zustand der Gebeine und der Basilika überprüfen."

    Der 76-jährige große hagere Abt bemüht sich, unpolitisch zu bleiben, aber er verwaltet einen Ort, den der ehemalige Diktator schaffen ließ, um die eigene Größe zu demonstrieren. Der Abt spricht hingegen von einer Gedenkstätte zur Versöhnung der Spanier, einer Versöhnung, zu der er sich besonders befähigt sieht, aufgrund seiner eigenen Geschichte:

    "In dieser Basilika liegt auch mein Vater. Er belieferte ein Kloster in Madrid mit Milch, weshalb "die Roten" ihn ermordeten. Aber im Bürgerkrieg starb auch meine Schwester - bei einem Fliegerangriff Francos auf Madrid. Und ein Onkel von mir war politischer Kommissar der Republik. Er floh nach dem Krieg nach Frankreich, wurde dort verhaftet und starb schließlich im Konzentrationslager in Mauthausen."

    Anselmo Álvarez lebt seit der Einweihung des Monuments im Jahr 1959 in der Abtei, zunächst als Mönch, jetzt als Abt. Für ihn ist das Tal der Gefallen mit dem Kloster, der Basilika und dem monumentalen Kreuz ein heiliger Ort. Doch viele Spanier sehen darin vielmehr eine faschistische Gedenkstätte, die die Opfer eher verhöhnt als tröstet. Der Abt versteht diese Debatte um Vergangenheitsbewältigung nicht, wo doch in den 70er-Jahren die Spanier nach vorne blicken wollte, nicht zurück, wie er sagt. Er fordert, das Tal der Gefallenen solle bleiben, wie es ist:

    "Es gibt kaum einen geeigneteren Ort für die Opfer beider Seiten. Darum sollte die gesamte Gesellschaft diesen Ort respektieren. Als Mahnmal für den schlimmsten Teil unserer Geschichte, diese tiefe Feindschaft, diesen Kampf zwischen Spaniern. Wir brauchen diese Erinnerung, um dies niemals zu wiederholen. Das ist Teil unserer Geschichte, weshalb die Gesellschaft diesen symbolträchtigen Ort bewahren sollte. Mit allen negativen und positiven Symbolen, die es hier gibt."