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Videokunst, Disco-Keller und Loveparade

Nach der Wende eroberten die Kreativen die neue Mitte Berlins: Klubs, Galerien, Cafés, Events wie die Loveparade oder die ersten Versuche der Videokunst. Eine Ausstellung und ein Bildband erinnern an eine Zeit, als Hipster noch nicht Hipster hießen und Techno noch in den Kinderschuhen steckte.

Von Florian Fricke | 01.08.2013
    In den Jahren nach der Wende, als Hipster weder Umhängetaschen noch Vollbärte trugen und noch nicht mal Hipster hießen, eroberten sie die neue Mitte Berlins im Ostteil der Stadt. Sie drangen ein in leer stehende verfallende Häuser, die auf ihr weiteres Schicksal warteten und legten los. Eine Bar entstand, eine Galerie, einen Klub, was auch immer. Fotograf Martin Eberle war dabei.

    "Entscheidend war diese Idee, selber was zu machen, ohne dieses ständige 'ja geht nicht, weil es ist ja kein Geld da, oder weil', sondern einfach 'cool, war haben diesen Raum und los geht' s.'"

    Martin Eberle war in der Stammmannschaft der Galerie berlintokyo, einem wilden Veranstaltungsraum für Kunst aller Art in der Nachbarschaft der Hackeschen Höfe. Im Rahmen der Ausstellung "Wir sind hier nicht zum Spaß" im Kunstraum Kreuzberg im Haus Bethanien stellte er seinen Bildband "Galerie berlintokyo" vor.

    Nach dem Dokumentarfilm "Berlin – Sexy an Eis" und Büchern über die frühe Technoszene sind Ausstellung wie Bildband weitere Versuche der letzten Zeit, die wilden Berliner 90er-Jahre wieder erlebbar zu machen.

    Kurator Paul Paulun hat für die Ausstellung eigens ein vierkanaliges 90-minütiges Hörspiel produziert, für das er 33 Zeitzeugen befragt hat. Es gibt Beispiele der damals noch ziemlich minimalistischen Videokunst, die sich langsam ihren Weg in Bars und Klubs bahnte. Regelrecht anrührend sind obskure Exponate wie ein Stück Absperrband von einer Loveparade oder Mitgliedsmarken längst vergessener Klubs. Kategorisieren ließen sich diese Läden nur sehr schwer, auch die Galerie berlintokyo nicht, in denen Ausstellungen im zweiwöchigen Wechsel liefen.

    "Dann hast du die Schublade 'ach, das ist ja so ein Studenten-Disco-Keller' aufgemacht. Bumm, nächste Woche war es das nicht mehr. Dann hast du die Schublade aufgemacht 'Ja, die meinen das ja alle nur ironisch. Eigentlich verarschen die uns.' Hat auch nicht gestimmt. 'Die nageln nur irgendwas aus dem Supermarkt an die Wand.' Hat auch nicht gestimmt. Du bist in den Keller runtergekommen und hast nicht gewusst, was dich erwartet."

    In Eberles Fotografien schauen uns schöne unverkrampfte Menschen an, alles wirkt unbeschwert spielerisch. Natürlich lauert in der Ausstellung der Nostalgieverdacht an jeder Ecke, gerade jetzt, wo Berlin droht, zwischen Spekulanten und Billigtouristen zerrieben zu werden. Aber Martin Eberle weiß genau, dass sich diese Zeit nicht wiederholen lässt.

    "Wir knallen jetzt hier irgendwas an die Wand und dann stellen wir eine Band auf und mache dies und jenes" - das war damals großartig, aber das passt heute gar nicht mehr in die Zeit rein.