Freitag, 29. März 2024

Archiv

Videoschau Pluriversale VI
Alte Linke und neue Rechte

ls Vorschau und Begleitprogramm zum Festival Pluriversale VI mit aktueller politischer Kunst, ist in Köln die Videoschau "Enigmatische Mehrheiten" zu sehen. Das internationale Portfolio zeigt schwankende Stimmungen, mediale Hysterie und Szenen, die misstrauisch machen.

Von Peter Backof | 04.04.2017
    Die Videoprojektion "La Liberté Raisonée" von Cristina Lucas. Diese zeigt das politische Symbolbild schlechthin: Die Freiheit erkämpft sich ihren Weg, nach dem berühmten Gemälde von Eugene Delacroix.
    Die Videoprojektion "La Liberté Raisonée" von Cristina Lucas. Diese zeigt das politische Symbolbild schlechthin: Die Freiheit erkämpft sich ihren Weg, nach dem berühmten Gemälde von Eugene Delacroix. (Stefanie Görtz)
    Zumindest akustisch ist die Schau "Schwankende Mehrheiten" nicht ganz zur Echokammer verkommen. Von den großen Videoprojektionen läuft immer nur eine laut, sodass das plurale Nebeneinander einen nicht überfordert. Der Hingucker ist "La Liberté Raisonée" von Cristina Lucas nach dem berühmten Gemälde von Eugene Delacroix – Französische Revolution, wehende Trikolore - Sie sehen es direkt vor sich? Die künstlerische Leiterin Ekaterina Degot.
    "Es gibt ein Ende. Und das Ende ist tragisch. Wir sehen, was dieses Volk mit dieser Freiheit eigentlich macht."
    Geschichtliche Narrative
    Jede Revolution frisst ihre Kinder? Nein, nicht so binsenweise. Es wird, in dieser Weiterdrehung der Ikone zur Szene, heftig geknüppelt, die Revolutionskinder sind aktualisiert zum Hassmob. Inhaltlich ist sie in dieser Ausstellung sofort da, die Echokammer omnipräsenter Begriffe und Schlagwörter, die mediale Hysterie, der Kampf um Deutungshoheiten.
    "Ich finde Narrative faszinierend, eine Geschichte zu erzählen über unsere Zeit. Das ist, was Kuratoren machen. Künstler auch. Und dann kommt das Publikum und schafft auch einen Narrativ."
    Alle sind Akteure, Agenten. Es gibt keine objektive Geschichtsschreibung, das erzählen Filme von sieben internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Wenn man also Ferhat Özgürs Momentaufnahme der Feierlichkeiten - in Istanbul - zur Eroberung derselben Stadt, Konstantinopels, durch die Osmanen sieht - so ein "nationales" Event, das es überall auf der Welt gibt – dann ist auch das gleich gefärbt, man deutet es als Kundgebung pro oder kontra Präsidialsystem in der Türkei.
    "Ich bin mit der Frage in die Menge gegangen: Was wäre, wenn Konstantinopel nie erobert worden wäre? Na dann wäre es wahrscheinlich so wie Venedig oder irgendeine europäische Touristenstadt! - Die Leute sagen mir aber auch: Unser schönes Istanbul: Und das soll es nie gegeben haben?"
    Ferhat Özgür wollte wissen: Wer ist diese Menge, die da zusammenkam. Er selbst blieb dabei neutraler Dokumentator. Das war auch die Bedingung für eine Drehgenehmigung. Man kann diese Menschenmenge nicht ideologisch klar einteilen, in Dafür oder Dagegen, Links oder Rechts, die Lehre zog Özgür aus der Arbeit.
    Denkmalgeschützte Bunker
    Dieselbe Geschichte erzählt Chulayarnnon Siriphol über Thailand. Eine Menge jubelt und protestiert, kostümiert mit Spaß-Rasseln, wie eine fiktive Szene aus irgendeinem Absurdistan: Wofür oder wogegen sind die eigentlich? So geht es weiter über die Schweiz wieder zurück nach Deutschland. Wie ein Gespenst geht dieser Metatrend um den Globus, den Ekaterina Degot so beschreibt:
    "Das 19. Jahrhundert ist noch hier. Viele Sachen, die wir benutzen –Telefon und alles– kommen aus dem 19. Jahrhundert. Und auch unsere Politik. "Nation", "Staat", Konflikte, im Middle East zum Beispiel, Türkei auch: Die kommen von dieser Zeit. Und es gibt keine Antwort. Das war für uns wichtig. Es gibt Fragestellungen."
    "Ist der Wunsch in der Mitte schon angekommen nach Schutz?"
    Fragt zum Beispiel Anne Arndt aus Köln. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit "Ein-Mann-Bunkern": Das sind mannsgroße Schutzzellen aus Stahlbeton, die im zweiten Weltkrieg gebaut wurden, von den Nazis, aber auch in Frankreich. Wenigen ist bewusst, dass es so etwas überhaupt gibt.
    "Ich finde es schlimm, sie unkommentiert stehen zu lassen, als Freiwild im öffentlichen Raum."
    Es könnte ja jemand daher kommen und diese ambivalenten Ein-Mann-Bunker als "Mahnmale der Schande" deuten. Anne Arndt aktualisiert anders: Man kann die Zellen auch als Schutzzellen deuten: Einfach mal telefonieren, im öffentlichen Raum, ohne sich überwacht zu fühlen.
    Was nimmt man mit, aus dieser Videoschau, die – absolut aktuell – viel Gesprächsstoff liefert? - Na, vielleicht das: Gelassener zu werden, da man sich ohnehin nicht entziehen kann. Was kümmert es die Amsel, was irgendein Präsident twittert?