Für den politischen Theoretiker Niccolo Macchiavelli war derjenige ein schlechter Staatsmann, der erst dann ein drohendes Übel erkennt, wenn es sich zeigt. Ein guter Instinkt und der Mut zur Vision gehören folglich zum Rüstzeug des politisch tätigen Menschen. In den Fürstenstaaten der frühen Neuzeit genauso wie in den demokratisch verfassten Gesellschaften der Gegenwart. Die Sorge für die Zukunft ist damit die ureigenste Aufgabe der Politik, glaubt der Tübinger Philosoph Otfried Höffe. Für die Demokratie gilt das umso mehr.
"Die Ansprüche, die wir an eine Demokratie stellen sind besonders hoch. Allerdings beginnen sie mit dem ersten Leitmotiv: Politik muss drohende Übel rechtzeitig erkennen. Ich möchte gerne ein zweites Leitmotiv dazu stellen: Sie muss auch rechtzeitig Chancen, die sich darbieten, ergreifen, sie muss sich auch für Innovationen und für Kreativität offenhalten."
Die Frage bleibt, ob das in einem Land wie der Bundesrepublik in ausreichendem Maß geschieht. Seit Jahren wird etwa über eine grundlegende Reform des Sozialstaates gestritten, ebenso über eine neue und nachhaltige Energie- und Umweltpolitik. Der große Wurf lässt noch immer auf sich warten, von Legislaturperiode zur Legislaturperiode. Von einer Krise der Demokratie aber will Otfried Höffe nicht sprechen. Auch wenn immer neue Umfragen eine wachsende Demokratieverdrossenheit der Wähler in Deutschland belegen wollen. Aus der Sicht des Philosophen bewährt sich die demokratische Ordnung stabil über alle Krisenzeiten hinweg.
"Wir sollten nicht vergessen: Über alle berechtigten Feinkritiken hinweg sollte man sehen - im Großen und Ganzen funktioniert es ja. Unsere Sozialversicherungen werden weltweit hochgeschätzt. Und viele arme Amerikaner, die Bewohner der Favelas in Südamerika oder die chinesischen Wanderarbeiter wären froh, sie würden so gut behandelt. Oder die Energieversorgung. Uns ist es eben nicht passiert, trotz der schwierigen Situation mit den Lieferungen von Russland über die Ukraine nach Europa, dass wir wirklich frieren mussten."
Ebenso funktioniert die liberale Rechtsordnung, die Grundlage einer jeder Demokratie, betont Ottfried Höffe. In seinem Buch "Ist die Demokratie zukunftsfähig?" skizziert er in pointierten Abschnitten die heutigen Rahmenbedingungen demokratischer Politik, untersucht mögliche Strategien der Zukunftsgestaltung und gibt eine Einführung in die politische Theorie seit der griechischen Antike. Nach der Auffassung des Tübinger Philosophen zielt die augenblickliche Krisenwahrnehmung eher auf die politische Klasse. Deren Angehörige hätten im machtpolitischen Streit ein wichtiges, zukunftsweisendes Feld aus dem Blick verloren hätten: das Wohl des Staates. Ein schwerer Vorwurf.
"Die politische Klasse könnte ihre Aufgaben zum Teil besser erfüllen. Angefangen damit, dass sie die zum Teil kleinlichen Unterschiede zwischen den Parteien nicht einmal ein bisschen in den Hintergrund zu drängen vermag, um zu sagen: Bestimmte Aufgaben haben tatsächlich den pathetischen Rang des Gemeinwohls. Und darüber dürfen wir uns nicht streiten, sondern wir streiten uns dann über die Feinheiten, über die Mittel. Und wenn wir uns dort streiten, dann sollten wir den Gegner nicht unbedingt zum Feind erklären."
Ein wenig klingt das nach einer philosophisch grundierten Ruckrede für die gewählten Repräsentanten des Volkes. Zum Gewinn des Lesers erreicht Otfried Höffe in seiner Studie über die Zukunftsfähigkeit der Politik nur gelegentlich dieses Niveau. Der Tübinger Philosoph fragt vielmehr nach den Bedingungen einer klugen und nachhaltigen Zukunftsgestaltung. Er untersucht sogenannte vorpolitische Institutionen wie die Familie und ihre Bedeutung für ein Engagement in der Demokratie. Und er sucht nach möglichen geeigneten visionären Leitbildern für die Zukunft - eingedenk der Tatsache, dass diese nun einmal aufgrund ihrer Natur unbekannt und unberechenbar bleibt. Am wichtigsten ist für Otfried Höffe die Idee einer Weltrechtsordnung: Dafür zu sorgen, Menschen- und Bürgerrechte unfassend durchzusetzen.
"Die Aufgabe besteht darin, die Vorzüge der Demokratie - und dazu gehören das Recht, die Grund- und Menschenrechte, eine freie Öffentlichkeit - dass wir diese Vorzüge nicht auf dem Altar der wirtschaftlichen Globalisierung opfern. Sie müssen in den internationalen Beziehungen zum Tragen gebracht werden. Und das geschieht, in dem wir zu Hause, im kommunalen Bereich, sicherlich in den einzelnen Bundesländern und auf der Ebene der Bundesrepublik, ein wenig auch in Europa - obwohl sich da auch einige Defizite auftun, dass wir diese Dinge, die wir gewohnt sind und die wir für selbstverständlich halten, natürlich auch von der globalen Ordnung erwarten."
Das klingt sehr viel leichter, als es tatsächlich ist. Max Webers Formel von der Politik als dem langsamen Bohren harter Bretter dürfte bei der Suche nach einer Gestaltung dieser Weltrechtsordnung sehr viel realistischer sein. Und doch bleibt die Demokratie für den Philosophen Otfried Höffe ein lohnendes Projekt, in Anlehnung an Immanuel Kants noch immer aktuelle Überlegungen zum Ewigen Frieden. Wichtig ist aber auch eine funktionierende Zivilgesellschaft. Ohne sie bleibt die Vision nicht mehr als eine Utopie.
"Es war unverantwortlich und kurzsichtig, dass wir Staaten, die über Jahrhunderte Rechts- und Sozialverhältnisse haben, innerhalb kurzer Zeit, unter anderem durch das Stürzen eines Diktators in Demokratien transformieren könnten. Unter anderem fehlt dort so etwas wie eine Bürgergesellschaft, die über Parteien, über Religionsgrenzen hinweg viele Formen von Einheit schafft."
Insgesamt bietet Otfried Höffes Buch über die Zukunftsfähigkeit der Demokratie wenig neue Argumente. Vieles, von dem er schreibt, wurde schon anderswo ausführlich diskutiert: eine zunehmende Übermacht des Staates, die Gefahren einer ausschließlich auf wirtschaftliche Interessen ausgerichteten Politik, das Loblied auf die Europäische Einigung und ihre Vorbildrolle für die Welt. Dennoch ist die Lektüre lohnend, auch wenn der Leser gelegentlich über Wortungetüme wie "Zukunftsdiskont" oder "basale Säkularisierung" hinwegsehen muss. Die Gelassenheit, mit der Otfried Höffe die liberale Demokratie gegen alle ihre Zweifler verteidigt, ist wohltuend, gerade in einer Zeit der vielfach beschworenen Krisen. Der Titel des Buches entpuppt sich als rhetorische Frage - und man weiß von Anfang an, dass der Philosoph Otfried Höffe ein entschiedenes Ja zur Antwort gibt. Darin liegt der Wert seines Buches. Die Demokratie ist zukunftsfähig. Sie muss sich freilich den Herausforderungen der Zukunft stellen.
Otfried Höffes Buch "Ist die Demokratie zukunftsfähig?" ist heute im Verlag CH Beck München erschienen. 321 Seiten kosten 14,95 Euro.
"Die Ansprüche, die wir an eine Demokratie stellen sind besonders hoch. Allerdings beginnen sie mit dem ersten Leitmotiv: Politik muss drohende Übel rechtzeitig erkennen. Ich möchte gerne ein zweites Leitmotiv dazu stellen: Sie muss auch rechtzeitig Chancen, die sich darbieten, ergreifen, sie muss sich auch für Innovationen und für Kreativität offenhalten."
Die Frage bleibt, ob das in einem Land wie der Bundesrepublik in ausreichendem Maß geschieht. Seit Jahren wird etwa über eine grundlegende Reform des Sozialstaates gestritten, ebenso über eine neue und nachhaltige Energie- und Umweltpolitik. Der große Wurf lässt noch immer auf sich warten, von Legislaturperiode zur Legislaturperiode. Von einer Krise der Demokratie aber will Otfried Höffe nicht sprechen. Auch wenn immer neue Umfragen eine wachsende Demokratieverdrossenheit der Wähler in Deutschland belegen wollen. Aus der Sicht des Philosophen bewährt sich die demokratische Ordnung stabil über alle Krisenzeiten hinweg.
"Wir sollten nicht vergessen: Über alle berechtigten Feinkritiken hinweg sollte man sehen - im Großen und Ganzen funktioniert es ja. Unsere Sozialversicherungen werden weltweit hochgeschätzt. Und viele arme Amerikaner, die Bewohner der Favelas in Südamerika oder die chinesischen Wanderarbeiter wären froh, sie würden so gut behandelt. Oder die Energieversorgung. Uns ist es eben nicht passiert, trotz der schwierigen Situation mit den Lieferungen von Russland über die Ukraine nach Europa, dass wir wirklich frieren mussten."
Ebenso funktioniert die liberale Rechtsordnung, die Grundlage einer jeder Demokratie, betont Ottfried Höffe. In seinem Buch "Ist die Demokratie zukunftsfähig?" skizziert er in pointierten Abschnitten die heutigen Rahmenbedingungen demokratischer Politik, untersucht mögliche Strategien der Zukunftsgestaltung und gibt eine Einführung in die politische Theorie seit der griechischen Antike. Nach der Auffassung des Tübinger Philosophen zielt die augenblickliche Krisenwahrnehmung eher auf die politische Klasse. Deren Angehörige hätten im machtpolitischen Streit ein wichtiges, zukunftsweisendes Feld aus dem Blick verloren hätten: das Wohl des Staates. Ein schwerer Vorwurf.
"Die politische Klasse könnte ihre Aufgaben zum Teil besser erfüllen. Angefangen damit, dass sie die zum Teil kleinlichen Unterschiede zwischen den Parteien nicht einmal ein bisschen in den Hintergrund zu drängen vermag, um zu sagen: Bestimmte Aufgaben haben tatsächlich den pathetischen Rang des Gemeinwohls. Und darüber dürfen wir uns nicht streiten, sondern wir streiten uns dann über die Feinheiten, über die Mittel. Und wenn wir uns dort streiten, dann sollten wir den Gegner nicht unbedingt zum Feind erklären."
Ein wenig klingt das nach einer philosophisch grundierten Ruckrede für die gewählten Repräsentanten des Volkes. Zum Gewinn des Lesers erreicht Otfried Höffe in seiner Studie über die Zukunftsfähigkeit der Politik nur gelegentlich dieses Niveau. Der Tübinger Philosoph fragt vielmehr nach den Bedingungen einer klugen und nachhaltigen Zukunftsgestaltung. Er untersucht sogenannte vorpolitische Institutionen wie die Familie und ihre Bedeutung für ein Engagement in der Demokratie. Und er sucht nach möglichen geeigneten visionären Leitbildern für die Zukunft - eingedenk der Tatsache, dass diese nun einmal aufgrund ihrer Natur unbekannt und unberechenbar bleibt. Am wichtigsten ist für Otfried Höffe die Idee einer Weltrechtsordnung: Dafür zu sorgen, Menschen- und Bürgerrechte unfassend durchzusetzen.
"Die Aufgabe besteht darin, die Vorzüge der Demokratie - und dazu gehören das Recht, die Grund- und Menschenrechte, eine freie Öffentlichkeit - dass wir diese Vorzüge nicht auf dem Altar der wirtschaftlichen Globalisierung opfern. Sie müssen in den internationalen Beziehungen zum Tragen gebracht werden. Und das geschieht, in dem wir zu Hause, im kommunalen Bereich, sicherlich in den einzelnen Bundesländern und auf der Ebene der Bundesrepublik, ein wenig auch in Europa - obwohl sich da auch einige Defizite auftun, dass wir diese Dinge, die wir gewohnt sind und die wir für selbstverständlich halten, natürlich auch von der globalen Ordnung erwarten."
Das klingt sehr viel leichter, als es tatsächlich ist. Max Webers Formel von der Politik als dem langsamen Bohren harter Bretter dürfte bei der Suche nach einer Gestaltung dieser Weltrechtsordnung sehr viel realistischer sein. Und doch bleibt die Demokratie für den Philosophen Otfried Höffe ein lohnendes Projekt, in Anlehnung an Immanuel Kants noch immer aktuelle Überlegungen zum Ewigen Frieden. Wichtig ist aber auch eine funktionierende Zivilgesellschaft. Ohne sie bleibt die Vision nicht mehr als eine Utopie.
"Es war unverantwortlich und kurzsichtig, dass wir Staaten, die über Jahrhunderte Rechts- und Sozialverhältnisse haben, innerhalb kurzer Zeit, unter anderem durch das Stürzen eines Diktators in Demokratien transformieren könnten. Unter anderem fehlt dort so etwas wie eine Bürgergesellschaft, die über Parteien, über Religionsgrenzen hinweg viele Formen von Einheit schafft."
Insgesamt bietet Otfried Höffes Buch über die Zukunftsfähigkeit der Demokratie wenig neue Argumente. Vieles, von dem er schreibt, wurde schon anderswo ausführlich diskutiert: eine zunehmende Übermacht des Staates, die Gefahren einer ausschließlich auf wirtschaftliche Interessen ausgerichteten Politik, das Loblied auf die Europäische Einigung und ihre Vorbildrolle für die Welt. Dennoch ist die Lektüre lohnend, auch wenn der Leser gelegentlich über Wortungetüme wie "Zukunftsdiskont" oder "basale Säkularisierung" hinwegsehen muss. Die Gelassenheit, mit der Otfried Höffe die liberale Demokratie gegen alle ihre Zweifler verteidigt, ist wohltuend, gerade in einer Zeit der vielfach beschworenen Krisen. Der Titel des Buches entpuppt sich als rhetorische Frage - und man weiß von Anfang an, dass der Philosoph Otfried Höffe ein entschiedenes Ja zur Antwort gibt. Darin liegt der Wert seines Buches. Die Demokratie ist zukunftsfähig. Sie muss sich freilich den Herausforderungen der Zukunft stellen.
Otfried Höffes Buch "Ist die Demokratie zukunftsfähig?" ist heute im Verlag CH Beck München erschienen. 321 Seiten kosten 14,95 Euro.