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Viel Meloche, wenig Broche
Jiddische Geschichte(n) erzählen jüdische (Religions-)Geschichte

Wer dies liest, hat Massel. Denn hier wird Tacheles geredet. Mit Chuzpe schauen wir uns die Wurzeln des Jiddischen an. Und zwar mit Professor Hans Peter Althaus. Der erforscht die Geschichte des Jiddischen in Deutschland. Und ohne Schmus: Es sind mehr jiddische Begriffe als man denkt, die den deutschen Wortschatz bereichert haben.

Hans Peter Althaus im Gespräch mit Benedikt Schulz | 07.09.2015
    Szene aus "Golem": Eine Frau und ein Mann halten ein Schild mit der Aufschrift "Golem1" - alles ist als Schattenriss zu sehen.
    Inszenierung des Stummtheaters "Golem" - der Auftakt für das Festival "Yiddish Summer" im Jahr 2015 in Weimar (dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert)
    Benedikt Schulz: Wer Tacheles redet, spricht Klartext. Wem etwas nicht ganz koscher vorkommt, ist misstrauisch. Und wer malochen geht, hat einen ziemlich harten Job. Sie hören das schon – das sind alles Begriffe aus einer Sprache, die in Deutschland niemand mehr spricht, aber deren Wörter überall auftauchen. Die Rede ist vom Jiddischen. Diese Sprache, die in Teilen Osteuropas sehr vereinzelt noch gesprochen wird, die war jahrhundertelang die Sprache der europäischen Juden. Deshalb ist die Geschichte des Jiddischen in Deutschland natürlich eng verknüpft mit der Geschichte des Judentums in Deutschland an sich.
    Wie Juden in Deutschland gelebt haben, das hat Einfluss darauf genommen, welche Begriffe des Jiddischen Einzug ins Deutsche gehalten haben und damit den deutschen Wortschatz bereichert haben. Wir begeben uns also auf Schatzsuche – und zwar mit Hans Peter Althaus, Sprachwissenschaftler aus Trier und Verfasser des Buches "Chuzpe, Schmus und Tacheles: Jiddische Wortgeschichte(n)". Ich grüße Sie.
    Hans Peter Althaus: Guten Tag.
    Schulz: Fangen wir an. Woher stammt dieser Schatz, Herr Althaus?
    Althaus: Die Wörter, die Sie eben genannt haben, stammen aus dem Jiddischen, aus der Verkehrssprache der mitteleuropäischen Juden. Diese Verkehrssprache hat als Alltagssprache neben der heiligen Sprache, dem Hebräischen, existiert. Das Hebräische war die Sprache der Schriften.
    Und für die Alltagssituationen brauchte man Kenntnis in den jeweils umgebenden Sprachen, die aber in einer besonderen Weise gesprochen wurden, aufgenommen wurden, weil es sich um eine abgegrenzte Bevölkerungsgruppe handelt, die sehr viel Kontakt untereinander hatte und die natürlich auch in ihren Alltag hinein ihre Religiosität mitgenommen hat. Aus diesem Grunde gibt es im Jiddischen - als eine Komponentensprache - verschiedene Elemente.
    Die Grundstruktur ist deutsch. Es gibt ein relikthaftes Romanisch. Man vermutet, dass die Juden sie aus Oberitalien mitgebracht haben. Es gibt dann den starken hebräischen Anteil im Jiddischen. Und es gibt nach der Weiterwanderung eines Teils der mitteleuropäischen Juden nach Osteuropa auch slawische Elemente.
    Schulz: Wie ist dann der Weg zustande gekommen von jiddischen einzelnen Begriffen ins Deutsche?
    Althaus: Aus dem Kontakt, aus dem sprachlichen Kontakt und auch dem persönlichen Kontakt entstand natürlich ein Übergang, eine Kenntnis der jeweils anderen Sprache. Und so sind Hebraismen ins Deutsche gekommen – einige haben Sie vorhin schon genannt. Es sind aber auch kurioserweise deutsche Worte aus dem Jiddischen wieder bekannt geworden in der Reliktsprache der deutschen Juden und auch in der Sprache der Christen.
    Schulz: Nennen Sie doch mal eine Zahl. Wie viele Wörter sind das denn, die vom Jiddischen ins Deutsche gegangen sind und vielleicht heute noch verbreitet sind?
    Althaus: Bei den deutschen Juden haben sich ungefähr etwas über Tausend in der Alltagssprache gehalten. In der heutigen Öffentlichkeit sind es nur wenige Duzend. Dazwischen – etwa nach 1945, vielleicht schon '44, '43 – hat es eine Tabuisierung der jiddischen Wörter gegeben. Und zwar deswegen, weil man sie während der nationalsozialistischen Herrschaft zur Agitation und zur Diffamierung benutzt hat. Ich kann ein Wort nennen, dass aus dem Jiddischen stammt, das im Jiddischen selber aber nicht vorkommt: Das ist Mauscheln.
    Das ist abgeleitet von einem Namen. Moses, hebräisch Mosche, in der aschkenasischen – das heißt in der westlichen – Aussprache "Mausche", in der östlichen Aussprache "Moischee". Dieses Wort, dieser Namen "Mausche" in der Verkleinerungsform heißt dann "Mauschel", der kleine "Mausche", der kleine Moses. "Mauscheln" hieß ursprünglich – von Christen gesagt: Sich verhalten wie ein kleiner Jude. Und das wird davon abgeleitet: reden wie ein kleiner Jude, handeln wie ein Jude, schließlich: dunkle Geschäfte machen. Ich will jetzt ausdrücklich sagen: Nicht wie ein Jude, aber in der antisemitischen Agitation ist es so gedacht gewesen. Und am Ende hieß es betrügen.
    Schulz: Aber es ist ein Wort, dass heute noch verbreitet ist. Es ist den meisten Menschen gar nicht bewusst, dass sie ein Wort benutzen, man mauschelt ja auch – was eigentlich einen antisemitischen Hintergrund hat.
    Althaus: Ganz genau. Aber das Merkwürdige ist: Diese Ausdrücke sind nach 1945 gar nicht mehr verwendet worden. Der Romanist Viktor Klemperer, der hat gesagt, man müsste alle diese belasteten Ausdrücke wie rituell unreine Gegenstände in der Erde vergraben und alle Zeit nicht benutzen. Das hat offenbar aus einer gewissen Scham heraus die deutsche Sprachgemeinschaft mit den jiddischen Wörtern getan. Und sie sind – wenn ich das richtig beobachtet habe – erst im Laufe der 60er und frühen 70er-Jahre wieder in die Sprache zurückgekehrt.
    Schulz: Wie kommt das?
    Althaus: Das ist schon schwer zu sagen. Eine Vermutung, die ich habe, ist, dass das Aggressionspotenzial, das mit diesen Wörtern verbunden war, aufgenommen worden ist, erneut in der politischen Auseinandersetzung. Man hat solche Ausdrücke beispielsweise auf Flugblättern von Studenten gefunden. Woher aber die Kenntnis gekommen ist, kann man nicht sagen.
    "Das Religiöse blieb im jüdischen Bereich"
    Schulz: Sie haben gesagt, es gibt ein paar Dutzend Begriffe, die auch heute noch oder wieder gebräuchlich sind, muss man denn ja fast schon sagen. Mir ist aufgefallen, dass aber aus dem Bereich des Religiösen – Sie haben in dem Buch ja ein ganzes Kapitel den religiösen Begriffen und Ausdrücken gewidmet – dass aus diesem Bereich heutzutage sehr wenige Worte im alltäglichen Gebrauch sind. Woran liegt das? Liegt es daran, dass es über die jüdische Religion im Deutschen wenig Austausch gab?
    Althaus: Naja, das war ja eine Religionsgemeinschaft, die abgeschlossen war, die als Heilige Schrift das Hebräische hatte. Das war ja zunächst mal für Christen nicht zugänglich. Dort, wo es einen engen Kontakt zwischen Juden und Christen gegeben hat, etwa in kleinen Randstädten, auch in Dörfern in Hessen, da sind manche dieser Ausdrücke auch in die Dialekte der Bevölkerung übergegangen. Dort, wo die Juden bis ins 18. Jahrhundert im Getto für sich gelebt haben, was natürlich der Kontakt nicht so eng, konnte auch gar nicht so eng sein. Und das Religiöse blieb im jüdischen Bereich, beispielsweise Brismile für Beschneidung oder Broche für Segen.
    Viel Meloche, wenig Broche – hat man gesagt – viel Arbeit, wenig Segen. Manches davon musste einfach nicht über den jüdischen Bereich hinaus in andere Bereiche bekannt werden. Man hat die Feste gekannt, Hanukkah oder Passah oder Purim. Man hat den wöchentlichen Ruhetag Schabbat, jüdische Schabbes, gekannt.
    Das sind Beispiele dafür, dass auch solche religiösen Ausdrücke weiter verbreitet worden sind. Das ist schon sehr früh ins Griechische gekommen – als Sabbaton, auch ins Lateinische – sabbatum, und von da ins Deutsche, letztlich ist es das Wort, das wir im Wochentag Samstag haben. Also ein Beispiel dafür, dass sich solche religiösen Ausdrücke natürlich über die Religionsgemeinschaft hinaus verbreitet haben. Aber von der großen Fülle ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt gewesen.
    Jiddisch liegt im Trend
    Schulz: Wer spricht denn heutzutage noch Jiddisch oder wieder Jiddisch? Es gibt ja teilweise richtige Modewellen, zum Beispiel in New York, wo Jiddisch wieder bewusst gelernt wird.
    Althaus: Das Jiddisch als Sprache der mitteleuropäischen Juden hat sich verbreitet mit dem Weggang eines Teils dieser Juden nach Osteuropa. In einer Völkerwanderung, wie man sie heute ja auch wieder hat. Von dort sind Juden, Jiddisch sprechende Juden, Ost-Jiddisch sprechende Juden in einem nördlichen und einem südlichen Dialekt am Ausgang des 19. Jahrhunderts wieder über Westeuropa nach Nordamerika zurück und ausgewandert.
    Im 20.Jahrhundert mit den schlimmen Ereignissen, die wir alles kennen, haben sich Juden auf die Flucht begeben und wo immer sie hinkommen konnten, haben sie ihre Muttersprache gesprochen. Das war beispielsweise in Mexiko der Fall oder in Buenos Aires, auch in Schanghai, in Südafrika.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich dann die überlebenden Juden in vielen Bereichen – wie ja auch schon früher – sprachlich an die jeweiligen Sprachen angeglichen. Und das Jiddische ist als Sprache der älteren Generation mehr und mehr in den Hintergrund gerückt. Nun gibt es eine Gegenbewegung schon seit etlichen Jahren – in Amerika etwa auch von dem Sprachwissenschaftler Uriel Weinreich gefördert, indem man die Verkehrssprache der Jiddischen auch für die Gegenwart hat tauglich machen wollen. Nun haben Sie eben gesagt, es wird Mode, die Sprache der Großeltern, der Ur-Großeltern, wieder zu erlernen.
    Das ist nun in vielen Ländern auch der Fall. Auch in Deutschland übrigens gibt es jüdische und vor allen Dingen auch christliche Studierende, die das Jiddische an Volkshochschulen oder auch an Universitäten wieder erlernen aus den eben genannten Gründen, aber auch weil es sich um eine sehr schöne, klangreiche Sprache als eine Nebensprache oder Nachsprache des Deutschen handelt und weil sie eine reiche Literatur besitzt. In New York etwa gab und gibt es natürlich Publikationen.
    Auch in Israel gibt es Gruppen, die das Jiddische ganz besonders heute wieder fördern. Das sind die ultraorthodoxen Juden, die sich in der Öffentlichkeit und auch privat der Profanisierung des Hebräischen verweigern, die das Hebräische also als heilige Sprache für den religiösen Bereich erhalten wollen und die deswegen in der Alltagskommunikation das Jiddische bevorzugen. Man kann vermuten, dass dieser Bereich gerade in Israel erhalten bleiben wird.
    Schulz: Hans Peter Althaus, Sprachwissenschaftler aus Trier, Verfasser des Buches "Chuzpe, Schmus und Tacheles: Jiddische Wortgeschichte(n)". Mit ihm habe ich mich ein bisschen auf Schatzsuche begeben und ein bisschen die Geschichte der Jiddischen aufgerollt. Ich danke Ihnen ganz, ganz herzlich!
    Althaus: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.