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Viel Preis, kein Ehr'

Als vor fünf Jahren zum erstmals der Theaterpreis "Faust" vergeben wurde, sparte man nicht mit Häme. Aber der Preis hat sich etabliert, vielleicht auch, weil er eben nicht von Kritikern, vom Publikum oder einer Jury vergeben wird sondern von den Theatern selbst.

Von Karin Fischer | 28.11.2010
    Man muss sich das mal vorstellen: Ein Saal bis oben hin voll mit Theater-Verantwortlichen, Theater-Verrückten, Theater-Vermögenden – und die aktuelle Spardebatte wird ans Moderatoren-Team delegiert?!

    "Wir haben Sie auch befreit von der üblichen Büffet-Belästigung im Anschluss an so eine Preisverleihung. Sie haben vorher jeweils so blaue Bons bekommen, die können Sie einlösen, jeder bekommt eine Wurst. – An die Vegetarier ist auch gedacht, sie bekommen Naturdarm ohne Wurstfüllung."

    Samuel Finzi und Wolfram Koch sind begnadete Schauspieler, und sie boten ein beeindruckendes Spektrum an parodistischen Kleinst-Szenen und ziemlich überdrehten Einlagen bis hin zur Persiflage von Gottschalks Saalwette. Auch die Kulturhauptstadt bekam ihr Fett weg:

    "Wie sagte Gott, als er das Ruhrgebiet erschaffen hat: Essen ist fertig!, ha, ha, ha."

    Das Publikum war amüsiert, aber oft auch unter Niveau bespaßt, die launige Loghorroe der beiden ließ den Rest umso langweiliger wirken, und wieder wurde das Hauptproblem sichtbar: Die Branche, die hier sich und ihre Künstler feiert, lenkt an diesem Abend der Auszeichnungen konsequent von ihnen ab. Ihre künstlerische Arbeit verschwindet hinter der Form und scheitert am Zwang zur Unterhaltsamkeit, an der "Fernsehtauglichkeit". Es war mal wieder an Bundestagspräsident Norbert Lammert, das Wichtige zu formulieren:

    "Theater sind systemrelevant, anders, aber gewiss nicht weniger als Banken oder Parlamente. Salopp formuliert: Der Kunst kann der Staat egal sein, dem Staat die Kunst nicht, und die Kultur schon gar nicht."

    Die ausgezeichneten Landesbühnen bespielen qua Kulturauftrag die Theater-Provinz. Jeder Abend ist eine Meisterleistung an Logistik und kultureller Zuversicht. Schauspieler Bernd Moss und Bühnenvereinspräsident Klaus Zehelein mit beeindruckenden Zahlen und Geschichten:

    "Bruchsal, Bad Bergzabern, Bad Wimpfen, Bad Rappenau. Warum bespielen diese 24 Landesbühnen fast 1000 Städte und Gemeinden mit über drei Millionen Zuschauern? Warum bemüht sich eines der kleinsten Landestheater, das mecklenburgische Theater Parchim, mit 39 MitarbeiterInnen für 39.000 Besucher an 33 verschiedenen Orten Theater zu spielen?"

    Die anderen Preise im Schnelldurchgang: Im Tanz wurde multikulturelles Zukunftsdenken geehrt, mit der Choreografin Constanza Macras und dem Tänzer Richard Siegal im Team von Gintersdorfer/Klassen. Markus Bothe gewann in der Sparte Kinder- und Jugendtheater, der Preis für die beste Ausstattung ging nach Köln für Thomas Dreißigackers und Maria Roers aufregenden Wohncontainer in "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen". In der Sparte Musiktheater wurde Eva-Maria Westbroek für ihre lodernd expressive Münchner "Jenufa" und Claus Guth für seine Frankfurter Regie der "Daphne" ausgezeichnet. Im Schauspiel gewannen Paul Herwig für seine einfühlsame Hauptrolle im Münchner "Kleiner Mann, was nun?", und Sophie Rois für ihre komische Mehrfachrolle in "Mädchen in Uniform" am Hamburger Schauspielhaus. Dass sich die Landesbühne Niedersachsen Nord Wilhelmshafen auf der Liste für die beste Regie wiederfand, darf als Sensation gewertet werden, es gewann aber Roger Vontobel mit seinem Dresdener "Don Carlos". Das geht alles in Ordnung, und wie immer gilt: schon die Nominierung ist der halbe Preis.

    Der Preis fürs Lebenswerk ging an den Bühnenbildner und Regisseur Wilfried Minks, der in den 50er Jahren in Ulm den "weißen Raum" erfand und dann das "Bremer" Theaterwunder mitgestaltete. Laudator Thomas Oberender:

    "Die Künstler dieser Generation haben Deutschland von einer merkwürdigen Starre befreit. Es waren nicht die 68er, die das Theater der jungen Bundesrepublik revolutionierten, sondern die Generation davor, Minks, Hübner, Zadek. Plötzlich war im "Bremer Stil", den Minks maßgeblich mit geprägt hat, das Jetzt auf der Bühne, und zwar mit Wumm."

    So ein Wumm hätte auch dem Abend gut getan. Fürs nächste Jahr wünschen wir uns: mehr Wumm, weniger dumm.