Sonntag, 12. Mai 2024

Archiv


Vielseitige Drüse

Biotechnologie. - Zu den embryonalen Stammzellen, den klassischen und unbeschränkten Alleskönnern tauchen immer mehr unterschiedlich leistungsfähige Alternativen auf. Jüngste Kandidaten sind Zellen der Thymusdrüse, die von Schweizer Forschern ohne großen Aufwand in Hautzellen verwandelt werden konnten. Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange berichtet im Gespräch mit Monika Seynsche.

Von Michael Lange | 19.08.2010
    Seynsche: Herr Lange, wie haben die das denn gemacht?

    Lange: Ja, sie haben die Zellen aus der Thymusdrüse von Ratten genommen, Thymusdrüse, muss man sagen, besitzt jedes Säugetier: Das ist eine Drüse, die vor allem im Immunsystem eine wichtige Rolle spielt. Sie haben diese Zellen dann in der Kultur vermehrt, das heißt, sie haben dieses kleine Organ genommen, haben das in eine Kulturschale gelegt und haben es dann zum Wachstum gebracht. Dabei haben sie Stoffe verwendet, die man eigentlich benutzt, um Hautzellen im Labor zu züchten. So dass es diesen Thymuszellen etwa so vorkam, als seien sie in einer Haut. Und dann wurden sie verpflanzt in eine Rattenhaut. Die Rattenhautzellen wurden abgeschabt, und an dieser Stelle wurden dann diese Thymuszellen, diese ehemaligen Thymuszellen verpflanzt. Nach ein paar Wochen wieder nachgeschaut und die Thymuszellen waren tatsächlich zu Hautzellen geworden. Der Weg war wahrscheinlich so, dass zunächst aus den Thymuszellen in der ZellKultur Stammzellen geworden sind und auf der Haut der Ratte wurden dann die verschiedenen Hautzellen daraus. Also Unterhaut, Oberhaut und tatsächlich auch Haarfollikelzellen, da sind die Forscher aus Lausanne ganz besonders stolz drauf.

    Seynsche: Warum haben sie denn überhaupt Thymuszellen genommen, und wo ist überhaupt die Thymusdrüse?

    Lange: Ja, beim Menschen liegt sie im Brustkorb, oberhalb des Herzens. Bei der Rate, das habe ich auch erfahren, etwas weiter Richtung Hals. Also, diese Drüse ist zwar sehr klein, aber sie ist besonders aktiv. Sie kann besonders viel. Das liegt daran, dass sie aus drei embryonalen Blättern, wie Wissenschaftler sagen, besteht. Also, es gibt im Grunde genommen drei Zelltypen: Ektoderm, Mesoderm und Endoderm, das sind drei Hauptzelltypen im Embryo. Und die Thymusdrüse ist der einzige Bereich des Körpers, in dem tatsächlich Zellen aus allen diesen drei Keimblättern vorhanden sind. Das heißt, Sie hatten schon die Ahnung, diese Zellen, die können besonders viel. Und die Hautzellen sind Ektoderm-Zellen, also ein ganz bestimmter Zelltyp. Aber ein bisschen Ektoderm steckt eben auch in den Thymus Zellen drin, und damit scheint diese Verwandlung besonders stark zu sein. Also ein sehr weiter Schritt. Bisher war es nur immer gelungen, Ektoderm zu Ektoderm, Endoderm zu Endoderm, und hier ist ein neuer Zelltyp tatsächlich entstanden. Zunächst im Labor, in der Zellkultur, und dann tatsächlich auch auf der Haut der Ratte.

    Seynsche: Kann man denn daraus schließen, dass alle Zellen diese Möglichkeit haben, sich in jeden anderen Zelltyp zu verwandeln, oder eben nur genau diese Zellen?

    Lange: Das kann man noch nicht sagen. Also im Moment ist es erst einmal so, dass genau dieser Schritt geht. Es scheint tatsächlich eine Besonderheit dieser Thymuszellen zu sein. Also, es ist noch keine allgemein gültige Aussage möglich. Ich habe mit den Wissenschaftlern gerade gesprochen, und sie haben mir erzählt, dass sie versucht haben, diesen Schritt rückwärts zu machen. Man nehme Hautzellen und mache daraus Thymuszellen, das hat sich als sehr schwierig herausgestellt, da sind sie keinen Schritt weitergekommen. Deshalb steht darüber auch nichts in der Veröffentlichung. Also so einfach hin und her, das funktioniert nicht. Aber das ist natürlich der Traum der Wissenschaftler, in diesem Jahr ist es ja erstmalig gelungen, Hautzellen zu Nervenzellen zu machen im Labor, mithilfe von Gentechnik. Jetzt ist es gelungen, ohne Gentechnik aus Thymuszellen Hautzellen zu machen. Und man sieht schon, dieses Verwandeln von Zellen macht langsam Fortschritte, aber man versteht es noch nicht so genau, man muss immer noch auf den Zufall und auf die Hilfe der Natur vertrauen. Und bis das natürlich Transplantationsmethoden für den Menschen sind, da ist es noch ein weiter Weg.

    Seynsche: Das heißt, die Forscher können diese Zellen nicht wirklich steuern, oder?

    Lange: Die können sie noch nicht wirklich steuern. Sie lernen gerade erst diese einzelnen Faktoren kennen. Und wenn sie genau sagen, wenn dieser Faktor genau auftaucht, sage ich der Zelle, werde zu dem. Dann wird das ganze medizinisch relevant. Die Forscher arbeiten zwar schon daran, Thymuszellen für Brandopfer zu verwenden, aber da müssen erst einmal geeignete menschliche Thymuszellkulturen her. Und ob das dann funktioniert, das wird die Zukunft zeigen.