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Virtuelle Skulpturen

Telekommunikation. - Wer heute im Internet etwas zu zeigen hat oder das zumindest glaubt, der scheint ohne wild animierte Bilder und vor allem Hunderte Plugins kaum leben zu können. ''Barrierefreiheit'', also ein ungehinderter Zugang zu Webseiten und Inhalten auch zum Beispiel für Blinde, ist auf vielen Internetseiten kaum mehr als ein Schlagwort. Dass es auch anders geht, das will das archäologische Institut der Universität Göttingen jetzt beweisen.

    Von Andrea Vogel

    Über 1700 Gips-Abgüsse griechischer und römischer Figuren nennt das archäologische Institut der Universität Göttingen sein Eigen - die größte Sammlung weltweit. Was nach einer ziemlich trockenen und staubigen Angelegenheit klingt, ist in Wahrheit eine faszinierende Sache: Jünglinge aus verschiedenen Gegenden und Epochen, Kaiser, Götter und Helden, Hunde und Katzen finden sich hier Seite an Seite.

    Wir haben zum Beispiel eine große Sammlung griechischer Jünglingsfiguren, so genannte Kuroi, da kann man auf den ersten Blick schon sehen, dass es eine Gruppe gibt, die sehr athletisch und muskulös aussieht, und eine andere, die auf uns eher so ein bisschen weichlich und dicklich wirkt. Das waren verschiedene Schönheitsideale: Das Weichliche galt etwas in Ostgriechenland, also in Ionien, in großen Städten wie Milet oder Ephesos, dort hat man solche Skulpturen gemacht, oder Samos, vor allem auf der Insel Samos, während in Athen und im griechischen Mutterland man diesen athletischen Typus bevorzugte.

    Erklärt Doktor Daniel Graepler, Kustos der Sammlung. Für den Nicht-Archäologen ist diese Lehr-Sammlung allerdings nur schwer zu erkunden. Denn die Figuren stehen, unkommentiert und ohne jede Erklärung, dicht gedrängt auf ihren Rollpodesten. Nur für den Unterricht der Studenten werden einzelne von ihnen hervorgeholt und besonders präsentiert, erzählt Graepler:

    Dem Besucher kommt das nicht so entgegen, weil er sie teilweise verdeckt sieht, er darf auch normalerweise nicht selber Hand anlegen und die Sachen verrücken, das wäre zu riskant. Aber an sich sieht das ganz anders aus als in einem normalen Museum, auch ein bisschen kurios vielleicht.

    Darum wird die Sammlung jetzt virtuell zugänglich gemacht: Online im Internet soll bald jeder die Figuren gründlich von allen Seiten betrachten, drehen und wenden und gründlich vergleichen können.

    Für die technische Umsetzung dieser Idee ist Frank Duehrkohp von der Firma Duehrkohp und Radicke zuständig. Ihm ist besonders wichtig, dass diese Ausstellung im Gegensatz zur realen tatsächlich für jeden nutzbar ist, der Zugang zum Internet hat - und nicht nur für Menschen mit der allerneusten Hard- und Software:

    An der Software ist eigentlich überhaupt nichts besonderes, sondern wir versuchen, wirklich Standardsoftware einzusetzen wie Quicktime. Bei 3D wird es etwas schwieriger, da müssen wir einen Quasistandard nehmen. Wir setzen da die Viewpoint-Technologie ein; Viewpoint ist eine Art Player, so was wie der Acrobat Reader, der aber dreidimensionale Inhalte im Web darstellen kann.

    Per Mausklick soll der Besucher durch die Räume der Sammlung fliegen. Ein weiterer Klick auf Skulpturen oder Büsten wird Fenster mit den 3D-Ansichten öffnen.

    Die werden zurzeit in Göttingen angefertigt. Dazu berechnen die Forscher erst räumliche Modelle der Figuren. Auf die werden dann Fotos projiziert. Das Ergebnis: Aufnahmen in erfreulicher Qualität, drehbare Fotos eben. Und mit schlanken 170 Kilobyte pro Bild kleine, kompakte Dateien, die auch ohne DSL oder High-Speed-PC schnell geladen sind.

    Und dabei werden sie eigentlich nur so etwas wie die Sahnehäubchen der Online-Ausstellung sein, schmückendes Beiwerk, sagt Duehrkohp:

    Das aktuelle Stichwort heißt ja "barrierenfrei". Und wir müssen also sehen, dass wir nicht von vornherein durch gewagte Präsentationen und vor allem Animationen einen Großteil der Nutzer ausschließen. Multimedia muss immer für uns ein Zusatzangebot sein und soll nicht den eigentlichen Kern ausmachen.

    Die Figuren sind nicht nur per Rundflug zu erreichen, sondern auch in einer Datenbank , etwas trockener, aber dafür textbasiert zu finden. Und auch alle wichtigen Informationen bietet das Programm als Text an: klein und kompakt, selten auf mehr als einer Bildschirmseite, wird erzählt, was es zu den Skulpturen, ihrer Epoche und den gesellschaftlichen Zusammenhängen Wissenswertes gibt.

    Ist die Online-Ausstellung erst einmal fertig, dann ist der Schritt zur Lernsoftware nicht mehr weit. Mit Skulpturenpuzzles und Kaiser-Memory sollen Schüler und Studenten demnächst entdecken, wie wichtig Selbstdarstellung nicht nur für römische Kaiser war, sagt Daniel Graepler:

    Es gibt ja in bestimmten Phasen der römischen Geschichte, vor allem im 3. Jahrhundert, als die so genannten Soldatenkaiser herrschten, sehr unruhige Zustände, wo manche Herrscher nur wenige Monate an der Regierung waren, und dennoch stellen wir auch bei diesen Herrschern fest, dass in ganz verschiedenen, entlegenen Orten des römischen Reiches Kopien ihres Portraits auftauchen. Das heißt, die Verbreitung muss doch unglaublich schnell gewesen sein.

    Links zum Thema

    Wer mag, kann schon jetzt einen Besuch im Virtuellen Museum antiker Skulptur