Barak Obama heute Nachmittag in Washington – es war kein strahlender, sondern ein sehr nachdenklich wirkender Präsident, der sich im Rosengarten des Weißen Hauses zu seinem Friedensnobelpreis äußerte. Herzlich willkommen zu diesem Hintergrund am Freitagabend – am Mikrofon begrüßt Sie Thilo Kößler.
Barak Obama ist erst seit neun Monaten im Amt - den Friedensnobelpreis bekam er nun für seine Visionen, nicht für seine politischen Leistungen. Die stehen noch aus. In Berlin ist uns Markus Kaim zugeschaltet, der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin – schönen guten Abend auch Ihnen Herr Kaim.
Kaim: Guten Abend, Herr Kößler.
Kößler: Der Preis ist quasi ein Wechsel auf die Zukunft – erklärt das die nachdenkliche Reaktion des Präsidenten?
Kaim: In der Tat. Sie haben es ja in ihrer Anmoderation angesprochen. Er ist jetzt nicht für konkrete politische Errungenschaften ausgezeichnet worden, sondern eben für seine Ordnungsvorstellung, die er in den vergangenen neuen Monaten entwickelt hat. Und der Preis macht jetzt sein Geschäft nicht leichter, und die Schwierigkeiten, vor denen er steht im Bereich der Abrüstung, der Rüstungskontrolle, im Bereich des Nahost-Friedensprozesses, in der Frage des iranischen Nuklearprogramms oder angesichts des Klimawandels werden dadurch nicht kleiner und die strukturellen Beschränkungen, denen er unterliegt gerade auch im Verhältnis zum amerikanischen Kongress, die werden auch nicht geringer dadurch.
Kößler: Lassen Sie uns einige dieser Themen, die Sie angesprochen haben durchdeklinieren. Barak Obama hat mit der Politik seines Amtsvorgängers gebrochen – er hat vielen Menschen Hoffnung gemacht: Hoffnung auf eine bessere Welt. Anders als George Bush setzt er auf Diplomatie, auf Dialog und Ausgleich – und er hat sich hohe Ziele gesteckt: Wir wollen heute Abend nach Anspruch und Wirklichkeit fragen, nach Möglichkeiten und Grenzen einer Politik, die die Welt friedlicher machen will.
Blicken wir also zurück auf den 5. April in Prag.
Obama: "Heute bekunde ich klar und mit Überzeugung die Verpflichtung der USA, Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen zu erreichen."
Kößler: Das war eine Rede vor 30.000 begeisterten Menschen – eine programmatische Rede: atomare Abrüstung, die Abschaffung aller nuklearen Massenvernichtungswaffen, weltweit und ohne Ausnahme: Die ersten Schritte in diese Richtung schildert Rolf Clement.
Erster Prüfstein für Obamas Abrüstungspolitik sind die Verhandlungen über die strategischen Nuklearwaffen. Ende des Jahres läuft der START-Vertrag aus, der die Arsenale Russlands und der USA begrenzt. Seit dem Sommer verhandeln Russland und die USA über das Schicksal dieses Vertrages.
Die zweite internationale Nagelprobe ist der Atomwaffensperrvertrag, der verhindern soll, dass andere als die fünf anerkannten Nuklearmächte die USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China in den Besitz solcher Waffen gelangen. Er wird im Mai 2010 auf einer Überprüfungskonferenz auf seine Einhaltung hin untersucht.
Aber eines ist heute anders als bei den Debatten um Atomwaffen vor zwei Jahrzehnten: Es haben sich mehr als die fünf genannten Staaten zu Nuklearstaaten entwickelt: Nordkorea, Israel, Indien, Pakistan, demnächst vielleicht auch der Iran. Hier setzt Obama an, wenn er die künftige Abrüstungspolitik konzipiert. In seiner Prager Rede im April griff er den Umstand auf, dass es bei der nuklearen Abrüstung nicht mehr nur um Russland und die USA geht:
"Heute kündige ich eine neue internationale Initiative an, alles waffenfähige Material in der Welt in vier Jahren sicher zu machen. Wir setzen neue Standards, verstärken die Zusammenarbeit mit Russland, begründen neue Partnerschaften, um dieses gefährliche Material zu sichern. Wir müssen uns auch anstrengen, Schwarzmärkte auszutrocknen. Wir müssen die Weitergabe solchen Materials unterbrechen. Weil diese Bedrohungen aber andauern, müssen wir zusammenkommen, um die Bemühungen der Anti-Proliferations-Initiative und die Initiative, den Nuklearterrorismus zu bekämpfen, in dauerhafte internationale Institutionen zu überführen. Und wir sollten einen globalen Gipfel zur Nuklearsicherheit durchführen, zu dem die USA im nächsten Jahr einladen werden."
All dies ist aber noch eine Planung, keine reale Politik. Noch haben die Staaten, die zu dieser Konferenz eingeladen werden könnten, nicht mitgeteilt, ob sie daran überhaupt teilnehmen wollen.
Die Verhandlungen mit Russland über den START-Vertrag führen zumindest noch nicht zu substanziell neuen Ansätzen. Es ist davon auszugehen, dass die beiden Staaten sich darauf verständigen, diesen Vertrag jetzt nur zu verlängern. US-Präsident Obama hat auch in Prag deutlich gemacht, dass die USA immer aus einer Position der Stärke verhandeln wollen:
"Macht keinen Fehler: Solange diese Waffen existieren, werden die USA ein sicheres und effektives Arsenal erhalten, um jeden Gegner abzuschrecken, und sie garantieren allen Partnern diese Verteidigung. Aber wir werden die Arbeit beginnen, diese Arsenale zu reduzieren."
Obama hat seit seiner Amtsübernahme Initiativen ergriffen, die Nuklearpolitik der USA in die internationalen Vereinbarungen – wie zum Beispiel das Teststoppabkommen - einzubinden. Ob die Bemühungen erfolgreich sind, ist allerdings noch offen.
Kößler: Rolf Clement über die Vision des amerikanischen Präsidenten zu einer atomwaffenfreien Welt. Herr Kaim, Abrüstung liegt dem amerikanischen Präsidenten am Herzen und da hat es ja nicht nur Worte sondern auch Taten gegeben. Er hat zum Beispiel den geplanten Raketenschirm in Polen und Tschechien gecancelled. Welche konkreten Schritte könnte es bei der Atomwaffeninitiative geben?
Kaim: Also ich glaube wir müssen uns vergegenwärtigen, dass Präsident Obama realistischer ist, als wir ihn vielleicht hier wahrnehmen. Es ist ja auch gerade im Beitrag angeklungen, dass die USA auf absehbare Zeit selber Nuklearwaffen unterhalten werden. Nichts desto trotz ist glaube ich der große Sprung unter Obama gewesen, dass er in diesem Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle überhaupt wieder diese Initiative ergriffen hat, im Gegensatz zu den Jahren unter Präsident Bush. Die wichtigste Baustelle ist in der Tat der START-Vertrag, der wahrscheinlich im November Dezember dieses Jahres verlängert werden wird, wo sich in den vergangenen Jahren gar nichts getan hat. Die zweite mögliche Baustelle, von dem ich mir einiges verspreche ist der Atomtest-Stopp-Abkommen, was dem amerikanischen Kongress jetzt zur Ratifizierung vorgelegt wird, und das Dritte ist die Nichtverbreitungskonferenz. Man muss jedoch realistisch sein, auf absehbare Zeit wird es wahrscheinlich keine Abrüstungsschritte im nuklearen Bereich geben, vor allen Dingen angesichts der Tatsache, was auch gerade im Beitrag angesprochen worden ist, dass es einige Staaten gibt, die auf der Schwelle sind, Nuklearwaffen zu haben, und die eben gar nicht Mitglied des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages sind.
Kößler: Konferenzen sind das eine Herr Kaim, die Haltung ist etwas anderes. Hat Obama schon Vertrauen zurückgewinnen können. Zum Beispiel mit seiner Raketenschirmentscheidung.
Kaim: Das ist glaube ich der entscheidende Punkt. Die Änderung im Ton und im Stil. Man kann auch sage, in den Symbolen. Dass es von Anfang an, seit dem Amtsantritt im Januar erkennbar gewesen, dass die Regierung Obama die Beziehung zu Russland verbessern möchte, bereit ist, entsprechende Konzessionen zu machen und der Abschied vom Raketenabwehrsystem in Mittel-Ost-Europa, den er vor wenigen Wochen verkündet hat, den er vor wenigen Wochen verkündet hat. Es fügt sich genau in diese Perspektive ein. Das Bemühen, Russland zu versichern, dass es ein wichtiger Partner in den internationalen Beziehungen ist und dass Russland eben auch für Fragen wie den Iran stärker wieder eingebunden werden muss.
Kößler: Gleichwohl wird sich die Frage nach den Grenzen einer Politik stellen, die auf Dialog und Ausgleich abzielt – diese Frage stellt sich ja schon im Nahen Osten: sein ganzes politisches Gewicht will Barak Obama dort geltend machen. Das hat er wiederum in einer großen Rede angekündigt – im Juni in Kairo.
"Wir haben die Verantwortung uns für eine Welt zusammenzutun, wie wir sie uns wünschen. Eine Welt, in der Extremisten uns nicht mehr bedrohen und amerikanische Truppen nach Hause gehen können. Eine Welt, in der Israelis und Palästinenser in zwei sicheren Staaten leben können. Das ist die Welt, die wir wollen, aber wir können sie nur gemeinsam erreichen."
Kößler: Barak Obama war das im Juni in Kairo und was ist seither geschehen im Nahen Osten? Eine Zwischenbilanz von Clemens Verenkotte.
Erfreut über die Wahl Barak Obamas zum neuen US-Präsidenten waren Israels Bevölkerung und Politik mehrheitlich nicht – und aus diesem Stimmungstief ist Obama in Israel übereinstimmenden Meinungsumfragen zufolge bis heute nicht herausgekommen. Die Befürchtung, der junge Amtsinhaber könnte nach den engen, vertrauensvollen Jahren der Bush-Ära mit eigenem Elan den tiefgefrorenen Nahostkonflikt auftauen und dabei Israel unter Druck setzen wollen, war in Medien, Knesset und im Büro des israelischen Regierungschefs Netanjahu weitverbreitet. Amerikanisch stämmige Israelis – mit rund 250.000 Einwohnern eine bedeutende Minderheit – sahen ihre Vorbehalte bestätigt, es mit Obama mit einem zwar wohlmeinenden, doch aber naiven Präsidenten zu tun zu haben: Gary Levin aus Jerusalem:
"Ich bin natürlich besorgt, wie alle anderen auch, die ich kenne, über die Nahostpolitik der amerikanischen Regierung. Ich glaube, dass der Präsident ein Mann ist, der ehrenhaft ist und das Beste will, aber es mangelt in diesem Bereich bei der Regierung an einer breiten Perspektive."
Obama legte in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft ein hohes Tempo vor, sprach sehr deutlich israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten an, verlangte einen Stopp der Bautätigkeiten in Ost-Jerusalem und in der Westbank, setzte Zeitrahmen für den Vollzug von Friedensverhandlungen und signalisierte der arabischen und muslimischen Welt, dass Amerika unter seiner Leitung zur traditionellen Rolle des ehrlichen Maklers im Nahostkonflikt zurückkehren wolle. Mit den beharrenden Kräften der rechtsnationalen Regierung Netanjahu hatte Obama allerdings nicht gerechnet. Der Ministerpräsident versäumte kaum eine Gelegenheit, um sich dem voranpreschenden Obama in den Weg zu stellen. Die jüdischen Siedler in der Westbank und in Ost-Jerusalem, mittlerweile bereits knapp 500.000 Menschen, bräuchten sich keine Sorgen zu machen, einen kompletten Stopp der Bautätigkeiten werde es mit ihm – Netanjahu – nicht geben:
"Es besteht ein Bedürfnis, die Menschen ihr normales Leben leben zu lassen und Müttern und Vätern zu gestatten, ihre Kinder großzuziehen, wie jedermann auf der Welt. Die Siedler sind nicht Feinde des Friedens. Sie sind unsere Brüder und Schwestern."
Stück für Stück musste Obama abrücken von seiner Forderung nach einem kompletten Siedlungsstopp, einer Forderung, die Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zur Voraussetzung für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Israel gemacht hatte.
Es kam anders – je näher der Termin des von Obama gewünschten Treffens mit Netanjahu und Abbas heranrückte, desto größer wurde die Enttäuschung aufseiten des Palästinensers. Schließlich folgte Abbas der "Einladung" Obamas nach New York, zum ergebnislosen Dreiergespräch am Rande der UN-Generalversammlung Ende September. Man könne schlecht "Nein" sagen zu einer derartigen Einladung, ließ ein tief frustrierter Abbas verlauten.
Kößler: Clemens Verenkotte war das und zugeschaltet ist uns Markus Kaim, der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Herr Kaim, am Nahen Osten sind schon etliche US-Präsidenten und übrigens auch Friedensnobelpreisträger gescheitert. Weshalb sollte es ausgerechnet Obama gelingen, den israelisch-palästinensischen Konflikt und die vielen anderen Konflikte zu lösen.
Kaim: Ob ihm das gelingen wird, werden wir sehen, ich habe da auch noch ein paar Zweifel und die Beschränkung, denen er unterliegt, die aus der Region selber kommen, oder aus den Staaten selber kommen, die sind ja deutlich geworden. Das liegt ja weniger an ihm sondern an den regionalen Akteuren vor Ort. Zugleich lässt sich aber gerade an der amerikanischen Außenpolitik unter Obama sehr schön dieser Paradigmenwechsel nachzeichnen von Bush zu Obama. Unter Präsident Bush habe die USA den Nahen Osten eher als Objekt betrachtet und ihn zu demokratisieren versucht. Es hat auch diese militärische Komponente der Demokratisierung gegeben, Stichwort Irak, das will ich jetzt nicht vertiefen, und jetzt mit seiner Rede in Kairo und seiner Politik macht Präsident Obama deutlich, dass er die regionalen Akteure, vor allen Dingen die Araber wieder als Partner begreift.
Kößler:
Verschafft ihm denn der Friedensnobelpreis möglicherweise die moralische Autorität um künftig mehr Druck auszuüben. Zum Beispiel auf Israel und seine Siedlungspolitik?
Kaim: Mehr Druck ist ja kaum möglich, im Beitrag ist es angesprochen worden, er hat die Siedlung so deutlich kritisiert, wie kaum ein amerikanischer Präsident vor ihm. Und die Instrumente, die er anwenden kann, sind begrenzt, weil tatsächlich natürlich bestimmte Sanktionen gegenüber Israel prinzipiell vorstellbar sind, die sind aber letztlich operativ nicht umsetzbar.
Kößler: Bleibt noch der Krieg in Afghanistan. Offensichtlich hat er da noch nicht zu einer echten Strategie gefunden, wie groß ist die Belastung?
Kaim: Ich glaube vielen Politiker in den USA, aber auch weiten Teilen der Bevölkerung wird immer klarer, dass die USA, wie ja wir, die Bundesrepublik auch, sich auf ein Projekt eingelassen haben, dessen Ende nicht richtig abzusehen ist. Die erkennbaren und angestrebten Fortschritte sind bislang ausgeblieben und genau wie in der Bundesrepublik auch vollzieht sich jetzt in den USA ein Schwenk hin zu einer gewissen Kriegsmüdigkeit mit dem der Präsident jetzt zu kämpfen hat, gerade in einer Zeit, wo er glaubt, die Truppen noch einmal erhöhen zu müssen, um den nächsten ein bis zwei Jahren, die er vorgibt, zu erzielen die bislang ausgeblieben sind.
Kößler: Barak Obama muss an vielen Fronten kämpfen – auch zuhause. Die innenpolitischen Konflikte werden immer erbitterter ausgetragen – und das gilt nicht nur mit Blick auf die Gesundheitsreform. Auch im Umgang mit der jüngsten Vergangenheit ist der Präsident nur bedingt handlungsfähig.
Klaus Jürgen Haller.
Präsident Obama ist für viele eine Inspiration und mit Blick auf seinen Vorgänger zweifellos eine Erleichterung. Er hat wohl auch das Zeug, Amerika und die Welt zu verändern, und zwar ohne Waffeneinsatz. Aber auch seine Rhetorik kollidiert zunehmend mit der Realität. Er ordnete an, innerhalb eines Jahres, das Terroristenlager in Guantanamo zu schließen und jeden Einzelfall zu überprüfen. Für die Einzelfallprüfung fehlen offenbar Unterlagen, und im Übrigen hat der Kongress vorerst einmal die erforderlichen Gelder für die Schließung gesperrt. Auch Demokraten wehren sich dagegen, gefährliche Terroristen aufs amerikanische Festland zu verlegen. Außerdem wird leicht übersehen, dass die Schließung Guantanamos nicht bedeutet, dass alle Gefangenen freigelassen, in dritte Staaten überstellt oder vor Gericht gestellt werden. Es werden immer noch solche übrig bleiben, die ohne Verfahren unbefristet festgehalten werden.
Obama hat die geheimen Gefängnisse der CIA in aller Welt abgeschafft und folterähnliche Verhörmethoden verboten. Das ist etwas, was er vorweisen kann. Aber jeder weiß, dass ein größerer Anschlag auf die Vereinigten Staaten umgehend zur Beschuldigung führte, der Präsident habe die Sicherheit des Landes fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Ex-Vizepräsident Cheney verkündet das heute schon.
Obama ist nach Teddy Roosevelt, Woodrow Wilson und Jimmy Carter der vierte Präsident der Vereinigten Staaten, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird; er ist der Erste, der – noch keine neun Monate im Amt – abschließend noch nichts zustande gebracht hat. Offenbar begnügt sich das Preiskomitee mit dem Prinzip Hoffnung. Abgeordnete und Senatoren in Washington wird das kaum beeindrucken. Auch der Friedensnobelpreis für Kanzler Willy Brandt hat den Versuch, ihn ein Jahr später zu stürzen nicht verhindert; im Gegenteil. Je höher das Podest, umso größer die Anstrengungen, den Säulenheiligen zu kippen. Somit könnte die in der Preisverleihung angesprochene "Hoffnung auf eine bessere Welt" paradoxerweise zur fortschreitenden Polarisierung der amerikanischen Innenpolitik beitragen.
Kößler: Klaus Jürgen Haller aus Washington. Herr Kaim, kann es sich Obama leisten beim Thema Guantanamo und Folter, bei Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit Kompromisse zu machen?
Kaim: Innenpolitisch wenig, weil es ist ja eine große Allianz gewesen, die ihn ins Amt gebracht hat, unter denen sich eben auch gerade diejenigen befunden haben, die diese Politik unter Bush kritisiert haben, unter Stichwort Guantanamo, Stichwort Folter. Und denen ist er verpflichtet und da fällt es jetzt enorm schwer, von diesen Wahlversprechen Abstand zu nehmen und auch die Frage Guantanamo, die Schließung, die er ja für den Januar des nächsten Jahres angepeilt hat, da hat er ja bereits zurückrudern müsse und das geht auf die Umfragewerte in Washington.
Kößler: Es lastet ein enormer Erwartungsdruck auf ihm, hat der Friedensnobelpreis ihn noch erhöht?
Kaim: Ich glaube ja, zumindest unter bestimmten Aspekten. Weniger in den USA selber aber im Ausland wird jetzt glaube ich die Erwartung noch höher sein, dass der Präsident alles bewegen kann, was er denn will, und was er anfasst, wird zu Gold. Und ich fürchte entsprechende Enttäuschung werden unausweichlich kommen.
Kößler: Das heißt, er braucht Unterstützung auch aus Europa?
Kaim: Absolut, ich glaube, der Präsident ist offen für Konsultation und Kooperation wie selten ein amerikanischer Präsident vor ihm und die Europäer sind gut beraten, diese Chance zu nutzen. Mein Eindruck ist, viele tun das viel zu wenig.
Kößler: Das war der Hintergrund an diesem Abend, ich bedanke mich ganz herzlich bei Markus Kaim, er ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er ist uns aus Berlin zugeschaltet gewesen. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Interesse.
Barak Obama ist erst seit neun Monaten im Amt - den Friedensnobelpreis bekam er nun für seine Visionen, nicht für seine politischen Leistungen. Die stehen noch aus. In Berlin ist uns Markus Kaim zugeschaltet, der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin – schönen guten Abend auch Ihnen Herr Kaim.
Kaim: Guten Abend, Herr Kößler.
Kößler: Der Preis ist quasi ein Wechsel auf die Zukunft – erklärt das die nachdenkliche Reaktion des Präsidenten?
Kaim: In der Tat. Sie haben es ja in ihrer Anmoderation angesprochen. Er ist jetzt nicht für konkrete politische Errungenschaften ausgezeichnet worden, sondern eben für seine Ordnungsvorstellung, die er in den vergangenen neuen Monaten entwickelt hat. Und der Preis macht jetzt sein Geschäft nicht leichter, und die Schwierigkeiten, vor denen er steht im Bereich der Abrüstung, der Rüstungskontrolle, im Bereich des Nahost-Friedensprozesses, in der Frage des iranischen Nuklearprogramms oder angesichts des Klimawandels werden dadurch nicht kleiner und die strukturellen Beschränkungen, denen er unterliegt gerade auch im Verhältnis zum amerikanischen Kongress, die werden auch nicht geringer dadurch.
Kößler: Lassen Sie uns einige dieser Themen, die Sie angesprochen haben durchdeklinieren. Barak Obama hat mit der Politik seines Amtsvorgängers gebrochen – er hat vielen Menschen Hoffnung gemacht: Hoffnung auf eine bessere Welt. Anders als George Bush setzt er auf Diplomatie, auf Dialog und Ausgleich – und er hat sich hohe Ziele gesteckt: Wir wollen heute Abend nach Anspruch und Wirklichkeit fragen, nach Möglichkeiten und Grenzen einer Politik, die die Welt friedlicher machen will.
Blicken wir also zurück auf den 5. April in Prag.
Obama: "Heute bekunde ich klar und mit Überzeugung die Verpflichtung der USA, Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen zu erreichen."
Kößler: Das war eine Rede vor 30.000 begeisterten Menschen – eine programmatische Rede: atomare Abrüstung, die Abschaffung aller nuklearen Massenvernichtungswaffen, weltweit und ohne Ausnahme: Die ersten Schritte in diese Richtung schildert Rolf Clement.
Erster Prüfstein für Obamas Abrüstungspolitik sind die Verhandlungen über die strategischen Nuklearwaffen. Ende des Jahres läuft der START-Vertrag aus, der die Arsenale Russlands und der USA begrenzt. Seit dem Sommer verhandeln Russland und die USA über das Schicksal dieses Vertrages.
Die zweite internationale Nagelprobe ist der Atomwaffensperrvertrag, der verhindern soll, dass andere als die fünf anerkannten Nuklearmächte die USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China in den Besitz solcher Waffen gelangen. Er wird im Mai 2010 auf einer Überprüfungskonferenz auf seine Einhaltung hin untersucht.
Aber eines ist heute anders als bei den Debatten um Atomwaffen vor zwei Jahrzehnten: Es haben sich mehr als die fünf genannten Staaten zu Nuklearstaaten entwickelt: Nordkorea, Israel, Indien, Pakistan, demnächst vielleicht auch der Iran. Hier setzt Obama an, wenn er die künftige Abrüstungspolitik konzipiert. In seiner Prager Rede im April griff er den Umstand auf, dass es bei der nuklearen Abrüstung nicht mehr nur um Russland und die USA geht:
"Heute kündige ich eine neue internationale Initiative an, alles waffenfähige Material in der Welt in vier Jahren sicher zu machen. Wir setzen neue Standards, verstärken die Zusammenarbeit mit Russland, begründen neue Partnerschaften, um dieses gefährliche Material zu sichern. Wir müssen uns auch anstrengen, Schwarzmärkte auszutrocknen. Wir müssen die Weitergabe solchen Materials unterbrechen. Weil diese Bedrohungen aber andauern, müssen wir zusammenkommen, um die Bemühungen der Anti-Proliferations-Initiative und die Initiative, den Nuklearterrorismus zu bekämpfen, in dauerhafte internationale Institutionen zu überführen. Und wir sollten einen globalen Gipfel zur Nuklearsicherheit durchführen, zu dem die USA im nächsten Jahr einladen werden."
All dies ist aber noch eine Planung, keine reale Politik. Noch haben die Staaten, die zu dieser Konferenz eingeladen werden könnten, nicht mitgeteilt, ob sie daran überhaupt teilnehmen wollen.
Die Verhandlungen mit Russland über den START-Vertrag führen zumindest noch nicht zu substanziell neuen Ansätzen. Es ist davon auszugehen, dass die beiden Staaten sich darauf verständigen, diesen Vertrag jetzt nur zu verlängern. US-Präsident Obama hat auch in Prag deutlich gemacht, dass die USA immer aus einer Position der Stärke verhandeln wollen:
"Macht keinen Fehler: Solange diese Waffen existieren, werden die USA ein sicheres und effektives Arsenal erhalten, um jeden Gegner abzuschrecken, und sie garantieren allen Partnern diese Verteidigung. Aber wir werden die Arbeit beginnen, diese Arsenale zu reduzieren."
Obama hat seit seiner Amtsübernahme Initiativen ergriffen, die Nuklearpolitik der USA in die internationalen Vereinbarungen – wie zum Beispiel das Teststoppabkommen - einzubinden. Ob die Bemühungen erfolgreich sind, ist allerdings noch offen.
Kößler: Rolf Clement über die Vision des amerikanischen Präsidenten zu einer atomwaffenfreien Welt. Herr Kaim, Abrüstung liegt dem amerikanischen Präsidenten am Herzen und da hat es ja nicht nur Worte sondern auch Taten gegeben. Er hat zum Beispiel den geplanten Raketenschirm in Polen und Tschechien gecancelled. Welche konkreten Schritte könnte es bei der Atomwaffeninitiative geben?
Kaim: Also ich glaube wir müssen uns vergegenwärtigen, dass Präsident Obama realistischer ist, als wir ihn vielleicht hier wahrnehmen. Es ist ja auch gerade im Beitrag angeklungen, dass die USA auf absehbare Zeit selber Nuklearwaffen unterhalten werden. Nichts desto trotz ist glaube ich der große Sprung unter Obama gewesen, dass er in diesem Bereich Abrüstung und Rüstungskontrolle überhaupt wieder diese Initiative ergriffen hat, im Gegensatz zu den Jahren unter Präsident Bush. Die wichtigste Baustelle ist in der Tat der START-Vertrag, der wahrscheinlich im November Dezember dieses Jahres verlängert werden wird, wo sich in den vergangenen Jahren gar nichts getan hat. Die zweite mögliche Baustelle, von dem ich mir einiges verspreche ist der Atomtest-Stopp-Abkommen, was dem amerikanischen Kongress jetzt zur Ratifizierung vorgelegt wird, und das Dritte ist die Nichtverbreitungskonferenz. Man muss jedoch realistisch sein, auf absehbare Zeit wird es wahrscheinlich keine Abrüstungsschritte im nuklearen Bereich geben, vor allen Dingen angesichts der Tatsache, was auch gerade im Beitrag angesprochen worden ist, dass es einige Staaten gibt, die auf der Schwelle sind, Nuklearwaffen zu haben, und die eben gar nicht Mitglied des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages sind.
Kößler: Konferenzen sind das eine Herr Kaim, die Haltung ist etwas anderes. Hat Obama schon Vertrauen zurückgewinnen können. Zum Beispiel mit seiner Raketenschirmentscheidung.
Kaim: Das ist glaube ich der entscheidende Punkt. Die Änderung im Ton und im Stil. Man kann auch sage, in den Symbolen. Dass es von Anfang an, seit dem Amtsantritt im Januar erkennbar gewesen, dass die Regierung Obama die Beziehung zu Russland verbessern möchte, bereit ist, entsprechende Konzessionen zu machen und der Abschied vom Raketenabwehrsystem in Mittel-Ost-Europa, den er vor wenigen Wochen verkündet hat, den er vor wenigen Wochen verkündet hat. Es fügt sich genau in diese Perspektive ein. Das Bemühen, Russland zu versichern, dass es ein wichtiger Partner in den internationalen Beziehungen ist und dass Russland eben auch für Fragen wie den Iran stärker wieder eingebunden werden muss.
Kößler: Gleichwohl wird sich die Frage nach den Grenzen einer Politik stellen, die auf Dialog und Ausgleich abzielt – diese Frage stellt sich ja schon im Nahen Osten: sein ganzes politisches Gewicht will Barak Obama dort geltend machen. Das hat er wiederum in einer großen Rede angekündigt – im Juni in Kairo.
"Wir haben die Verantwortung uns für eine Welt zusammenzutun, wie wir sie uns wünschen. Eine Welt, in der Extremisten uns nicht mehr bedrohen und amerikanische Truppen nach Hause gehen können. Eine Welt, in der Israelis und Palästinenser in zwei sicheren Staaten leben können. Das ist die Welt, die wir wollen, aber wir können sie nur gemeinsam erreichen."
Kößler: Barak Obama war das im Juni in Kairo und was ist seither geschehen im Nahen Osten? Eine Zwischenbilanz von Clemens Verenkotte.
Erfreut über die Wahl Barak Obamas zum neuen US-Präsidenten waren Israels Bevölkerung und Politik mehrheitlich nicht – und aus diesem Stimmungstief ist Obama in Israel übereinstimmenden Meinungsumfragen zufolge bis heute nicht herausgekommen. Die Befürchtung, der junge Amtsinhaber könnte nach den engen, vertrauensvollen Jahren der Bush-Ära mit eigenem Elan den tiefgefrorenen Nahostkonflikt auftauen und dabei Israel unter Druck setzen wollen, war in Medien, Knesset und im Büro des israelischen Regierungschefs Netanjahu weitverbreitet. Amerikanisch stämmige Israelis – mit rund 250.000 Einwohnern eine bedeutende Minderheit – sahen ihre Vorbehalte bestätigt, es mit Obama mit einem zwar wohlmeinenden, doch aber naiven Präsidenten zu tun zu haben: Gary Levin aus Jerusalem:
"Ich bin natürlich besorgt, wie alle anderen auch, die ich kenne, über die Nahostpolitik der amerikanischen Regierung. Ich glaube, dass der Präsident ein Mann ist, der ehrenhaft ist und das Beste will, aber es mangelt in diesem Bereich bei der Regierung an einer breiten Perspektive."
Obama legte in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft ein hohes Tempo vor, sprach sehr deutlich israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten an, verlangte einen Stopp der Bautätigkeiten in Ost-Jerusalem und in der Westbank, setzte Zeitrahmen für den Vollzug von Friedensverhandlungen und signalisierte der arabischen und muslimischen Welt, dass Amerika unter seiner Leitung zur traditionellen Rolle des ehrlichen Maklers im Nahostkonflikt zurückkehren wolle. Mit den beharrenden Kräften der rechtsnationalen Regierung Netanjahu hatte Obama allerdings nicht gerechnet. Der Ministerpräsident versäumte kaum eine Gelegenheit, um sich dem voranpreschenden Obama in den Weg zu stellen. Die jüdischen Siedler in der Westbank und in Ost-Jerusalem, mittlerweile bereits knapp 500.000 Menschen, bräuchten sich keine Sorgen zu machen, einen kompletten Stopp der Bautätigkeiten werde es mit ihm – Netanjahu – nicht geben:
"Es besteht ein Bedürfnis, die Menschen ihr normales Leben leben zu lassen und Müttern und Vätern zu gestatten, ihre Kinder großzuziehen, wie jedermann auf der Welt. Die Siedler sind nicht Feinde des Friedens. Sie sind unsere Brüder und Schwestern."
Stück für Stück musste Obama abrücken von seiner Forderung nach einem kompletten Siedlungsstopp, einer Forderung, die Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zur Voraussetzung für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Israel gemacht hatte.
Es kam anders – je näher der Termin des von Obama gewünschten Treffens mit Netanjahu und Abbas heranrückte, desto größer wurde die Enttäuschung aufseiten des Palästinensers. Schließlich folgte Abbas der "Einladung" Obamas nach New York, zum ergebnislosen Dreiergespräch am Rande der UN-Generalversammlung Ende September. Man könne schlecht "Nein" sagen zu einer derartigen Einladung, ließ ein tief frustrierter Abbas verlauten.
Kößler: Clemens Verenkotte war das und zugeschaltet ist uns Markus Kaim, der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Herr Kaim, am Nahen Osten sind schon etliche US-Präsidenten und übrigens auch Friedensnobelpreisträger gescheitert. Weshalb sollte es ausgerechnet Obama gelingen, den israelisch-palästinensischen Konflikt und die vielen anderen Konflikte zu lösen.
Kaim: Ob ihm das gelingen wird, werden wir sehen, ich habe da auch noch ein paar Zweifel und die Beschränkung, denen er unterliegt, die aus der Region selber kommen, oder aus den Staaten selber kommen, die sind ja deutlich geworden. Das liegt ja weniger an ihm sondern an den regionalen Akteuren vor Ort. Zugleich lässt sich aber gerade an der amerikanischen Außenpolitik unter Obama sehr schön dieser Paradigmenwechsel nachzeichnen von Bush zu Obama. Unter Präsident Bush habe die USA den Nahen Osten eher als Objekt betrachtet und ihn zu demokratisieren versucht. Es hat auch diese militärische Komponente der Demokratisierung gegeben, Stichwort Irak, das will ich jetzt nicht vertiefen, und jetzt mit seiner Rede in Kairo und seiner Politik macht Präsident Obama deutlich, dass er die regionalen Akteure, vor allen Dingen die Araber wieder als Partner begreift.
Kößler:
Verschafft ihm denn der Friedensnobelpreis möglicherweise die moralische Autorität um künftig mehr Druck auszuüben. Zum Beispiel auf Israel und seine Siedlungspolitik?
Kaim: Mehr Druck ist ja kaum möglich, im Beitrag ist es angesprochen worden, er hat die Siedlung so deutlich kritisiert, wie kaum ein amerikanischer Präsident vor ihm. Und die Instrumente, die er anwenden kann, sind begrenzt, weil tatsächlich natürlich bestimmte Sanktionen gegenüber Israel prinzipiell vorstellbar sind, die sind aber letztlich operativ nicht umsetzbar.
Kößler: Bleibt noch der Krieg in Afghanistan. Offensichtlich hat er da noch nicht zu einer echten Strategie gefunden, wie groß ist die Belastung?
Kaim: Ich glaube vielen Politiker in den USA, aber auch weiten Teilen der Bevölkerung wird immer klarer, dass die USA, wie ja wir, die Bundesrepublik auch, sich auf ein Projekt eingelassen haben, dessen Ende nicht richtig abzusehen ist. Die erkennbaren und angestrebten Fortschritte sind bislang ausgeblieben und genau wie in der Bundesrepublik auch vollzieht sich jetzt in den USA ein Schwenk hin zu einer gewissen Kriegsmüdigkeit mit dem der Präsident jetzt zu kämpfen hat, gerade in einer Zeit, wo er glaubt, die Truppen noch einmal erhöhen zu müssen, um den nächsten ein bis zwei Jahren, die er vorgibt, zu erzielen die bislang ausgeblieben sind.
Kößler: Barak Obama muss an vielen Fronten kämpfen – auch zuhause. Die innenpolitischen Konflikte werden immer erbitterter ausgetragen – und das gilt nicht nur mit Blick auf die Gesundheitsreform. Auch im Umgang mit der jüngsten Vergangenheit ist der Präsident nur bedingt handlungsfähig.
Klaus Jürgen Haller.
Präsident Obama ist für viele eine Inspiration und mit Blick auf seinen Vorgänger zweifellos eine Erleichterung. Er hat wohl auch das Zeug, Amerika und die Welt zu verändern, und zwar ohne Waffeneinsatz. Aber auch seine Rhetorik kollidiert zunehmend mit der Realität. Er ordnete an, innerhalb eines Jahres, das Terroristenlager in Guantanamo zu schließen und jeden Einzelfall zu überprüfen. Für die Einzelfallprüfung fehlen offenbar Unterlagen, und im Übrigen hat der Kongress vorerst einmal die erforderlichen Gelder für die Schließung gesperrt. Auch Demokraten wehren sich dagegen, gefährliche Terroristen aufs amerikanische Festland zu verlegen. Außerdem wird leicht übersehen, dass die Schließung Guantanamos nicht bedeutet, dass alle Gefangenen freigelassen, in dritte Staaten überstellt oder vor Gericht gestellt werden. Es werden immer noch solche übrig bleiben, die ohne Verfahren unbefristet festgehalten werden.
Obama hat die geheimen Gefängnisse der CIA in aller Welt abgeschafft und folterähnliche Verhörmethoden verboten. Das ist etwas, was er vorweisen kann. Aber jeder weiß, dass ein größerer Anschlag auf die Vereinigten Staaten umgehend zur Beschuldigung führte, der Präsident habe die Sicherheit des Landes fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Ex-Vizepräsident Cheney verkündet das heute schon.
Obama ist nach Teddy Roosevelt, Woodrow Wilson und Jimmy Carter der vierte Präsident der Vereinigten Staaten, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird; er ist der Erste, der – noch keine neun Monate im Amt – abschließend noch nichts zustande gebracht hat. Offenbar begnügt sich das Preiskomitee mit dem Prinzip Hoffnung. Abgeordnete und Senatoren in Washington wird das kaum beeindrucken. Auch der Friedensnobelpreis für Kanzler Willy Brandt hat den Versuch, ihn ein Jahr später zu stürzen nicht verhindert; im Gegenteil. Je höher das Podest, umso größer die Anstrengungen, den Säulenheiligen zu kippen. Somit könnte die in der Preisverleihung angesprochene "Hoffnung auf eine bessere Welt" paradoxerweise zur fortschreitenden Polarisierung der amerikanischen Innenpolitik beitragen.
Kößler: Klaus Jürgen Haller aus Washington. Herr Kaim, kann es sich Obama leisten beim Thema Guantanamo und Folter, bei Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit Kompromisse zu machen?
Kaim: Innenpolitisch wenig, weil es ist ja eine große Allianz gewesen, die ihn ins Amt gebracht hat, unter denen sich eben auch gerade diejenigen befunden haben, die diese Politik unter Bush kritisiert haben, unter Stichwort Guantanamo, Stichwort Folter. Und denen ist er verpflichtet und da fällt es jetzt enorm schwer, von diesen Wahlversprechen Abstand zu nehmen und auch die Frage Guantanamo, die Schließung, die er ja für den Januar des nächsten Jahres angepeilt hat, da hat er ja bereits zurückrudern müsse und das geht auf die Umfragewerte in Washington.
Kößler: Es lastet ein enormer Erwartungsdruck auf ihm, hat der Friedensnobelpreis ihn noch erhöht?
Kaim: Ich glaube ja, zumindest unter bestimmten Aspekten. Weniger in den USA selber aber im Ausland wird jetzt glaube ich die Erwartung noch höher sein, dass der Präsident alles bewegen kann, was er denn will, und was er anfasst, wird zu Gold. Und ich fürchte entsprechende Enttäuschung werden unausweichlich kommen.
Kößler: Das heißt, er braucht Unterstützung auch aus Europa?
Kaim: Absolut, ich glaube, der Präsident ist offen für Konsultation und Kooperation wie selten ein amerikanischer Präsident vor ihm und die Europäer sind gut beraten, diese Chance zu nutzen. Mein Eindruck ist, viele tun das viel zu wenig.
Kößler: Das war der Hintergrund an diesem Abend, ich bedanke mich ganz herzlich bei Markus Kaim, er ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er ist uns aus Berlin zugeschaltet gewesen. Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Interesse.