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Visuelles Gefühl für Zeit

Menschen haben eine innere Uhr. Deren Mechanismen sind allerdings noch nicht genau ergründet. Ob Affen ebenfalls mit einem Gefühl für Zeit ausgestattet sind und ob sich dieses von dem der Menschen unterscheidet hat ein Forscher aus Göttingen untersucht.

Von Kristin Raabe |
    Morgens um sechs: Eigentlich brauchen wir das Klingeln gar nicht. Der innere Wecker ist schon kurz vor sechs angesprungen und stellt so sicher, dass wir den frühen Zug auch noch erreichen. Die innere Uhr des Menschen geht ziemlich genau, wenn nötig auf die Sekunde genau. Das haben Forschungen erwiesen. Ob auch Affen über so ein gutes Zeitgefühl verfügen und wie es genau funktioniert, hat der Psychologe Kristian Folta vom Göttinger Primatenzentrum an Rhesusaffen näher untersucht.

    "In diesem Falle haben wir getestet inwiefern die Zeitschätzung unterschiedlich abläuft in der visuellen und der akustischen Modalität.
    Und dafür haben wir den Affen am Bildschirm entweder visuelle Reize, das waren einfache weiße Vierecke, präsentiert, die rhythmisch dargeboten wurden oder in der akustischen Modalität dann anstelle eines weißen Vierecks Töne, die rhythmisch dargeboten wurden und der Affe hatte die Aufgabe Abweichungen in diesem Rhythmus dann zu entdecken."

    Zwei Jahre hat es gedauert bis Kristian Folta seine Rhesusaffen soweit trainiert hatte, dass sie den Knopf, den sie die ganze Zeit gedrückt hatten, immer dann losließen, wenn ihnen ein Fehler im Rhythmus auffiel. Nachdem alle Tests absolviert waren, zeigte sich, dass das Zeitgefühl der Affen viel besser bei visuellen Informationen funktionierte als bei akustischen.

    "Interessant ist, dass wir dieselbe Aufgabe, die wir an Affen durchgeführt haben auch an Kindern getestet haben und an menschlichen Erwachsenen und im direkten Vergleich ist aufgefallen, dass menschliche Kinder im Alter von zehn Jahren und die Erwachsenen, die Zeitschätzung wesentlich präziser durchführen können, wenn die akustische Modalität dargeboten wird. Hier unterscheiden sich also die Zeitschätzungsprozesse bei Menschen und bei Rhesusaffen ganz gewaltig."

    Musste sich das Zeitgefühl der Affen an Tönen orientieren, waren sie um bis zu 30 Prozent schlechter als die menschlichen Versuchspersonen. Das passt erstaunlich gut zu den Verhaltensweisen der Rhesusaffen. Ständig erkunden sie ihre Umgebung mit den Augen. Menschen spitzen dagegen eher die Ohren.

    "Das mag damit zusammenhängen, dass wir Menschen durch die Sprache auch einfach sehr, sehr früh auf die akustische Modalität trainiert werden.
    Der Rhesusaffe ist ein nichtsprachliches Modell, er kann zwar vokalisieren aber er hat keine so komplexe Sprache wie wir Menschen, und das kann dazu führen, dass die Uhren, die für die akustische Zeitschätzung zuständig sind, nicht so richtig funktionieren oder so stark ausgebildet sind, wie bei uns Menschen."

    Für Kristian Folta lassen seine Forschungsergebnisse nur eine Schlussfolgerung zu:

    "Der Mensch ist ein Ohrentier. Der Affe ein Augentier."