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Vitamin C aus dem Regenwald

Es gab im Lauf der Zeit auf dem Fünften Kontinent viele Versuche, das Wissen und die Kultur der Aborigines dem Tourismus dienlich zu machen. So bringen im "Tjapukai Aboriginal Cultural Park" bei Cairns seit 20 Jahren junge Leute im Lendenschurz und mit Körperbemalung Besuchern bei, wie man Speere wirft und Bumerangs schleudert.

Von Felix Lerchenmüller |
    Dieser Urlaub in Australien? - Klar, toll, meine Damen und Herrn.

    Tauchen am Great Barrier Reef waren wir, dann gab es eine Fahrt mit dem Jeep durchs verlassene Outback, einen Besuch der Oper in Sydney und am Ende waren wir noch drei Tage Wandern auf Tasmanien - lauter Highlights, eines so aufregend wies andere.

    Haben wir nicht was vergessen? Ach ja - die Souvenirs. Ein Didgeridoo haben wir mitgebracht. Und eines dieser Bilder, Sie wissen schon, eine Schlange, in Sandfarben, ganz penibel gestrichelt. Ewig muss er daran gesessen haben, der Künstler, ein Aborigine angeblich. Nur gut - dann haben die auch noch profitiert von unserem Urlaub.

    Tja.

    Hin und wieder mal ein Bild an einen Touristen verkaufen, wobei die Galerie noch ordentlich mitkassiert - damit wollen sich viele Ureinwohner Australiens nicht mehr zufrieden geben.

    Immer mehr von ihnen gehen in den letzten Jahren selbst ins Tourismusgeschäft. Nicht mehr nur als Guides wollen sie arbeiten - sie machen gleich ihre eigene Firma auf.

    Bei den Ausflügen zeigen sie ihren Gästen, wie sie fischen und Muscheln suchen, sie erzählen vom Leben in früheren Jahren und führen sie zu alten Felsmalereien.

    Franz Lerchenmüller war mit einigen von ihnen unterwegs, auf der Halbinsel Cape York in Northern Queensland, einem dieser menschenleeren Flecken des Riesenkontinents.

    Und er hat dabei so einiges gelernt.
    Fürs Überleben im Regenwald reicht es noch nicht, meint er.
    Aber ein Anfang ist gemacht.

    Eine Erkältung im Anmarsch? Im Regenwald ist das kein Problem. Juan Walker kennt da ein bewährtes Hausmittel.

    "Diese kleinen grünen Ameisen, fasst sie am Kopf, dass sie nicht beißen, und esst den hinteren Teil. Will jemand probieren? Sie haben einen sehr intensiven Geschmack, wie Zitrone. Das Hinterteil steckt voller Vitamin C. Wenn ihr fühlt, dass eine Erkältung kommt, sammelt die Ameisen, und nascht sie, Sucht euch ein ganzes Nest. Die hängen oben in den Bäumen wie ein großer Fußball aus Blättern. Holt ihn runter, steckt ihn in Wasser, wenn die Flüssigkeit milchig wird, trinkt ihr ein Tasse davon. Eine Riesendosis Vitamin C - hilft garantiert!"

    Der 27-jährige Juan mit dem weichen Gesicht ist Gästeführer in der Daintree Eco Lodge in Mossman. Und Angehöriger des Kuku Yalanij Stammes, Aborigine, mit einem Teil philippinischen und indischen Blutes. Aufmerksam, die Augen am Boden und in den Baumwipfeln zugleich, bewegt er sich durch den Regenwald. Für die Altvorderen war der noch Apotheke, Supermarkt und Lehranstalt in einem. Dieser stachlige Wait-a-while-Busch etwa, der so heißt - "Wart-ein-Weilchen" - , weil es eine ganze Weile dauert, bis man wieder frei ist, wenn man sich festgehakt hat - dieser Busch ist so etwas wie ein botanisches Multitalent, ein Helfer in vielen Lebenslagen:

    "Die Leute nutzten die Äste zum Beispiel, um Rahmen für die Hütten herzustellen. Man machte Axtstiele daraus, und Tierfallen, sogar Trinkwasser findet man darin. Dazu schlägt man die großen Wedel ab und schlürft das Wasser heraus. Die Blätter wiederum sind voll kleiner spitzer Haare. Man streift sie ab und verteilt sie rund ums Lager - da wagt sich kein Blutegel mehr darüber."

    Nun ist es nicht so, dass solches Wissen überlebenswichtig wäre für den Mitteleuropäer, der sich für ein paar Abstecher in den Regenwald von North Queensland begibt. Aber die kurzen Touren lassen einen bald verstehen, wie es den Ureinwohnern gelang, sich in einer zutiefst feindlichen Umwelt zu behaupten.

    Es gab im Lauf der Zeit auf dem Fünften Kontinent viele Versuche, das Wissen und die Kultur der Aborigines dem Tourismus dienlich zu machen. So bringen im "Tjapukai Aboriginal Cultural Park" bei Cairns seit 20 Jahren junge Leute im Lendenschurz und mit Körperbemalung Besuchern bei, wie man Speere wirft und Bumerangs schleudert:

    Eine aufwendige Show präsentiert in acht Sprachen die Schöpfungsgeschichte im Verständnis der Tjapukai - mit Lichtgewittern, holographischen Bildern, Musik und lebenden Darstellern, ein Disneyland mit begehrten Jobs: Von jedem verkauften Foto "Ich-werf-den-Bumerang-mit-meinem-Aborigine-Freund-Aaron", erhält dieser zwei der dafür hingelegten 15 Dollar.

    Viel weniger spektakulär, doch weit behutsamer ist die Art und Weise, in der der weiße einstige Rugby-Profi Terry Malone in seiner Eco Lodge mit den Kuku Yalanij zusammenarbeitet. Vor 13 Jahren setzte er 15 Bungalows unauffällig auf Stelzen in den ältesten Regenwald der Welt - mit Zustimmung der Stammesälteren:

    "Seit die weiße Besiedlung vor 200 Jahren begann, haben die Ureinwohner jede Menge Trickserei und Schmus erlebt. Und trauten daher keinem Weißen mehr - verständlicherweise. Wir kamen mit einem ganz einfachen Angebot: Wir bieten Arbeitsplätze für einige Leute, so dass sie nicht mehr auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind. Und erwarten im Gegenzug, dass sie sich ihrer Kultur erinnern und ihre Sprache wieder lernen - und wir können dann unseren Gästen diese tolle Erfahrung bieten."

    Im Spa wird heimische Erde für Bäder und Masken genutzt. Das Restaurant serviert zum Känguru-Steak einen "Regenwald-Salat", mit Quangdong-Früchten, Rosella-Blüten und Munthari-Beeren. Und in den Zimmern hängen Fotos von Wilma Walker, Juans Großmutter. Sie wurde von ihrer Familie versteckt, als man in den 30er Jahren Aborigines-Kinder in weiße Familien verschleppte, um sie zu "zivilisieren". Auch Juans Großvater hat eine bewegende Geschichte hinter sich:

    "Mein Großvater wurde am Daintree-Fluss geboren, unter einer Kokospalme, so um 1927. Als er sieben war, brachte man ihn nach Palm Island, zusammen mit seiner Mutter, die Tuberkulose hatte. In den 30er und 40er Jahren war Palm Island eine Strafkolonie, in die man Aborigines steckte, wenn sie auffällig geworden waren oder an einer ansteckenden Krankheit litten. Er blieb dort sieben Jahre und kam mit 14 nach Daintree zurück. Da inzwischen aber seine Großeltern gestorben waren, zogen die Missionare ihn auf. Mit 15 traf er Wilma, sie taten sich zusammen und hatten dann 12 Kinder miteinander."

    Auf dem "Bama Way", einer Rundreise in den menschenleeren Nordosten der Cape York Halbinsel, lernen die Besucher weitere Aspekte der Lebensweise der Ureinwohner kennen. In Cooya Beach zeigen Brandon und Lincoln Walker, wie man sich am Strand und aus dem Meer ernährt.

    "Wir suchen Schlammkrabben und Sandkrabben, die bewegen sich im auflaufenden Wasser. Da vorne um die Ecke sollten ein paar sein. Mit Fisch wird es ein bisschen schwieriger: Das Wetter schlägt um - kann sein, dass wir ein paar sehen, aber wir werden nicht nahe genug kommen, um sie mit dem Speer zu erwischen."

    Es klappt heute nicht so richtig mit dem Jagdglück. Und also heißt es: Hinein in die Mangroven. Wie umgedrehtes Regenschirmgestänge stecken die Wurzeln in- und durcheinander, schmatzend schließt sich der grauschwarze Schlick um die Füße, Mühsam tastet man sich im Gewirr voran, windet sich hindurch, klettert unter und zieht sich über die kreuz- und quer aufragenden Hürden.

    "Wir suchen hier Muscheln, es gibt einen kleinen Bach, da sollten wir ein paar finden. Wo die Mangrovenwurzeln in die Erde gehen, sieht man ein kleines Stück der Schale, da stecken sie im Boden."

    "Als Kinder kamen wir mit den alten Frauen hierher und trugen ihnen den Korb. Sie machten ihn voller Muscheln und Krabben und wir trugen ihn hinaus. Es ist ganz leicht. Wenn du nichts zu essen im Haus hast, kommst du für ne Stunde hierher, machst dir einen Eimer voll und das wars."

    Die Touren der Brüder sind beliebt, es geht ihnen wirtschaftlich gut. Damit gehören sie zu den wenigen Ausnahmen unter den rund 300.000 Aborigines Australiens. Die Deutsche Nava Wahl verkauft in Cairns seit 20 Jahren Kunst der Ureinwohner. Und wurde von Anfang an mit deren Lebensverhältnissen konfrontiert.

    "Ökonomisch ist es so, die kriegen automatisch was wir sagen: Sozialhilfe, damit sind sie auch krankenversichert. Die Lebenserwartung der Aborigines ist immer noch extrem kurz, verglichen zu uns. Also hier in Australien haben die Weißen über 80 Jahre und die Aborigines nur über 40. Warum? Schlechter Zugang, schlechte Ernährung."

    "Es ist was ganz schlimmes in diesen abgelegenen Communes, dass die Kinder sehr viele Drogen nehmen, hauptsächlich Benzin schnüffeln, es gibt sehr viel Alkoholmissbrauch natürlich und es gibt sehr viele Krankheiten, auch weil die Ernährung nicht stimmt - es berührt eigentlich alle Ebenen."

    Für das, was ihnen von den weißen Eroberern angetan wurde, verlangen die Ureinwohner seit langem eine offizielle Entschuldigung der australischen Regierung.

    "Wenn man bedenkt, als die Engländer ankamen, waren es über drei Millionen, jetzt sind es nur noch zwischen 250.000 und 300.000 Aboriginals. Die wurden also wie viele Minderheiten auch massakriert und waren anfälliger für unsere Krankheiten und, ganz wichtig, man hat ihnen ihr Land genommen. Aboriginal-Kultur heißt, die sind symbiotisch mit dem Land, die sehen keine Entfremdung wie wir. Das heißt, dass damit ihre Identität, ihre Lebenskraft ihnen weggenommen wurde. Dafür wollten sie, dass man sich entschuldigt - was im Hinterkopf natürlich auch eine Kompensation bedeutet."

    Und tatsächlich ereignete sich am 12. Februar dieses Jahres in Canberra eine Sensation: Kevin Rudd, der neue Premierminister, bat die Ureinwohner des Fünften Kontinents öffentlich um Verzeihung.

    "Weil unsere Regierung inzwischen sich von demokratisch- liberal, also relativ konservativ auf mehr Labour, was SPD vergleichbar ist, geändert hat im letzten November, hat man sich offiziell entschuldigt, und da waren einige aboriginal-elders, Stammeselders da, und haben es angenommen, und es war sehr bewegend und emotional. Eine Kompensation geldlich ist noch nicht passiert. Aber einfach dass das schon mal auf dem Papier steht, ist wahnsinnig wichtig für sie."

    Persönlich hat Nava Wahl die Aborigines als oft herzliche, liebenswerte Menschen kennengelernt:

    "Die haben ja auch die Engländer empfangen, die haben die ja zuerst einmal nicht rausgejagt. Die sind sehr offen und auch nicht misstrauisch. Die teilen auch alles, das ist wichtig in ihrem Stammesleben. Und jeder kann auch jetzt noch aufgenommen werden, sie sind gastfreundlich - das sind die, die Bezug zu ihren Wurzeln haben. Die andern natürlich, die trinken und verloren sind zwischen den beiden Kulturen - da geht das nicht mehr."

    Mit dem Vierrad-Bus geht es auf der Bloomfield-Road an der Küste entlang nach Norden. Armdick hängen die Kabel der Lianen von den grauen Baumriesen, die Blätter flirren im nachmittäglichen Licht- und Schattenspiel. Der Daintree-Regenwald ist seit 1998 Weltnaturerbe. In den 80er Jahren, als größere Abholzungen geplant waren, stritten Hippies und Naturschützer erfolgreich für seinen Erhalt.

    In Cooktown, dem Platz, an dem James Cook 1770 seine "Endeavour" reparieren ließ, ist das Ende der einfach zu bereisenden Welt gekommen. Willi Gordon, vom Stamm der Gugu Yimithirr begrüßt seine Gäste, indem er mit bloßen Lippen, ohne Instrument, Didgeridoo spielt.

    Und er nimmt sie in seinem Kleinbus mit nach Wangaar Wuri, zu den Höhlenmalereien seiner Vorfahren. Ockerfarbene Emus und Kängurus schmücken die Felsen, Figuren wie der Regenmacher oder die Regenbogenschlange.

    "Hier ist ein dünner Mann mit großen Ohren und großen Zähnen. Da dürften Kinder nicht allein hin - nur mit einem Lehrer, der ihnen alles erklärt. Hier drüben geht's um den Tod - vielleicht ist das das Tor, durch das mein Vater gegangen ist und ich treffe ihn auf der anderen Seite wieder. Hier ist ein Vogel - der hat mit Aberglaube zu tun. Manchmal, wenn wir Zeitung lesen, stürzen wir uns direkt auf das Horoskop und richten unseren ganzen Tag danach aus - das ist Aberglaube."

    Nicht alle Aborigines sind damit einverstanden, dass der Stammesältere Besuchern die traditionsreichen Stätten zeigt.

    "Ja, es gibt Bedenken bei einigen Leuten, Touristen an diese Plätze zu führen, weil sie für uns Aborigines schon seit sehr langer Zeit heilige Orte sind. Ich denke aber, dass es jetzt an der Zeit ist, die Botschaft an alle weiterzugeben, die zuhören. Es gibt viele Menschen, die etwas über unsere Kultur erfahren wollen. Und wir sollten ihnen unsere Geschichten erzählen, weil es noch viel zu viele Missverständnisse und falsche Vorstellungen über unsere Kultur gibt."

    Dem Tourismus steht Willi Gordon sehr offen gegenüber.

    "Es gibt für Aborigines ein großes Potential im Tourismus. Er ist EINE Chance, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen - heute sind die meisten Regionen, in denen Aborigines leben, total von der Unterstützung der Regierung abhängig. Tourismus ist eine der Möglichkeiten, Arbeitsplätze zu schaffen und Menschen in die Gesellschaft zu integrieren."

    Für die Besucher aber bieten solche Begegnungen eine faszinierende Möglichkeit, einen etwas genaueren Blick zu werfen in ein Land, in dem zwei Welten aufeinanderprallen: Die zutiefst archaische einer der ältesten Kulturen der Menschheit. Und die moderne von heute.

    "Zur Zeit verschmilzt sehr vieles, die Leute heiraten untereinander, mischen sich, Australien ist ein großer Schmelztopf. Eine der wichtigen künftigen Fragen wird zum Beispiel sein: Wer kümmert sich um die Umwelt: Machen das die Aborigines? Oder brauchen wir alle dazu? Ich glaube, man braucht alle dazu."

    Die Höhle, über der eine große Figur alle Männer warnt, näherzukommen, war die Geburtshöhle des Clans, in der auch Willis Großvater zur Welt kam.

    Körperpflege ist im Busch eine der leichteren Übungen.

    "Ich zerreibe ein paar Blätter, so. Haben Sie empfindliche Haut? - Ja? - Dann werden Sie das stärker als jeder andere empfinden. Ich gieße jetzt ein bisschen Wasser drauf.. und Sie, Sie zermatschen die Blätter. Sehen Sie: Seife!"

    Und tatsächlich schäumen die Hände der jungen Dame wie frisch eingeseift.

    "Von daher ist Cairns relativ leer, die haben sich zurückgezogen nach oben in die Tablelands und leben da mehr im Busch inzwischen als in der Stadt.

    Es gibt immer noch Gegenden, wo ärmere Familien leben und da sind vielleicht 20 in einem Haus."

    "Als ich hier ankam, waren die sehr viel mehr präsent im Straßenbild in Cairns. Z.B. drüben in den öffentlichen Parks saßen sie und haben, was in ihrer Kultur sehr wichtig ist, sich versammelt und kommuniziert und sozialisiert. Wir interpretieren das mit unserem Wertsystem als "faul - die hängen rum". Aber in deren Kultur ist es genauso wichtig wie rauszugehen und Essen zu jagen oder zu sammeln. Dadurch dass die halt leider trinken, wie viele Minoritäten, hat die Stadt nun die vertrieben. Die dürfen einfach nicht mehr in ihren Parks rumhängen, was eigentlich ihr Land ist."