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Vitaminkur gegen Stromschock

Chemie. - Schlurft man mit den Schuhen über den Teppich und greift dann zur Türklinke, kann es passieren, dass man einen elektrischen Schlag bekommt. Der Grund: Durch die Reibung beim Laufen hat sich der Körper elektrostatisch aufgeladen, auf bis zu 30.000 Volt. Der kurze Schmerz ist meist nur ärgerlich. In der Industrie und bei elektronischen Geräten aber verursachen elektrostatische Aufladungen Kosten in Milliardenhöhe. Diese Schäden könnten sich nun verringern lassen – und zwar mithilfe von Vitaminen. So steht es in "Science".

Von Frank Grotelüschen |
    Manch ein Mikroprozessor musste schon dran glauben – an den Stromschock verursacht durch elektrostatische Aufladungen. Wird etwa ein Chip beim Einbau falsch gehandhabt, können sich auf seiner Oberfläche elektrische Ladungen ansammeln. Deren Wirkung kann fatal sein, sagt Professor Bartosz Grzybowski, Chemieprofessor an der Northwestern University bei Chicago.

    "Ist ein Chip elektrostatisch aufgeladen, kann sich die Elektrizität in einem Funken entladen. Und dieser Funke kann reichen, den Prozessor regelrecht zu verbrennen. Ärger gibt es auch manchmal bei der Herstellung von Plastikfolien. Denn Plastik lädt sich schnell auf, wenn es bei der Produktion auf Rollen aufgespult wird. Entlädt sich die Spannung dann, kann es sogar zu einer Explosion kommen."

    Um die gefährlichen Aufladungen loszuwerden, verfolgt man bislang die Strategie, die unerwünschten elektrischen Ladungen irgendwie abzuleiten, etwa indem man Computerchips in leitfähige Hüllen verpackt. Grzybowski dagegen verfolgt einen ganz neuen Ansatz.

    "Ist ein Kunststoff elektrisch aufgeladen, gibt es außer den Ladungen noch etwas anderes, sogenannte Radikale. Das sind chemisch aktive Moleküle, die zwar selbst nicht elektrisch geladen sind. Aber sie sitzen direkt neben den Ladungen und stabilisieren sie. Unsere Idee war nun, nicht direkt an den Ladungen anzugreifen, sondern stattdessen ihre Helfer zu attackieren, die Radikale. Denn ohne diese Helfer sollten die Ladungen ziemlich schnell verschwinden."

    Wie aber wird man die Radikale im Kunststoff los? Die Antwort der Forscher ist verblüffend einfach – mit Vitaminen. Schließlich fungieren Stoffe wie Vitamin C oder Vitamin K in der Biologie als hocheffektive Radikalenfänger. Um zu sehen, ob das auch mit Kunststoffen klappt, mischten Grzybowski und seine Leute dem Plastik einfach eine Prise Vitamin bei.

    "Vitamine fressen buchstäblich Radikale. Und damit haben die elektrischen Ladungen nicht mehr die Möglichkeit, sich auf der Oberfläche des Kunststoffs anzusammeln. Getestet haben wir das mit einem elektronischen Schaltkreis. Den haben wir mit einem dünnen Schutzfilm aus Plastik beschichtet, einmal ohne, das andere Mal mit Vitamin. Dann haben wir den Schaltkreis gezielt elektrostatisch aufgeladen. Bei der Schutzschicht ohne Vitamin brannte er durch, bei der mit Vitamin blieb er heil."

    Spannend sei das neue Verfahren vor allem für Kunststofffabriken und Computerhersteller, sagt Grzybowski. Doch auch andere Branchen könnten profitieren.

    "Wir haben schon mit Leuten aus der Kosmetikindustrie gesprochen. Und zwar könnte man auf Basis unseres Verfahrens ein Haarspray entwickeln, das besser als die heutigen Produkte verhindert, dass sich die Haare beim Kämmen elektrisch aufladen."

    Grzybowski wittert einen Milliardenmarkt und hat sich das Verfahren deshalb schon mal patentieren lassen. Und welche Hürden sind noch zu nehmen, bevor man es in die Praxis umsetzen kann?

    "Nichts, es ist fertig. Einen Kunststoff mit etwas Vitamin zu versetzen, ist technisch kein Problem. Es ist eine sehr einfache Lösung für ein sehr altes Problem."