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Volker Skierka: Fidel Castro

Obwohl er schon mehr als vier Jahrzehnte an der Macht ist, erscheint erst jetzt die erste Fidel Castro-Biographie aus der Feder eines deutschsprachigen Autors. Volker Skierka, u.a. mehrere Jahre Lateinamerika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, hat sich daran gemacht, den Lebensweg des bewunderten wie gehassten, auf jeden Fall aber charismatischen Berufsrevolutionärs nachzuzeichnen - und ist dabei unter anderem auch auf neue Dokumente über das nicht immer unproblematische Verhältnis Kubas zum großen Bruder Sowjetunion gestoßen. Henning von Löwis rezensiert.

Henning von Löwis |
    Keine Frage, der Spaß ist vorbei, als die "Barbudos", die Rebellen aus der Sierra Maestra, Einzug halten in Havanna - fünf Jahre, fünf Monate und fünf Tage nach dem gescheiterten Angriff auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1953. Nach einem tausend Kilometer langen Triumphzug durch Kuba erreicht Fidel Castro die Hauptstadt. Die Massen feiern ihn wie einen Erlöser. Für den damaligen britischen Botschafter in Havanna repräsentiert Castro "eine Mischung aus Martí, Robin Hood, Garibaldi und Jesus Christus". Ein neuer Held ist geboren, ein neuer Diktator - vor allem aber ein Sieger.

    Eines ist sicher: Wo immer er sein mag, wann immer und mit wem auch immer - Fidel Castro ist da, um zu gewinnen. Ich glaube nicht, dass es jemanden auf dieser Welt gibt, der ein schlechterer Verlierer sein könnte als er. Sein Verhalten angesichts seiner Niederlage, selbst in den kleinsten Dingen des täglichen Lebens, scheint einer persönlichen Gesetzmäßigkeit unterworfen zu sein: Er wird es einfach nicht zugeben, und er wird keine Ruhe finden, ehe er es nicht geschafft hat, die Bedingungen umzukehren und einen Sieg daraus zu machen.

    So der Schriftsteller Gabriel García Márquez, langjähriger Freund des "Máximo Líder", über Fidel Castro. Castro - ein Siegertyp? Fest steht, er ist immer noch am Ruder, lenkt immer noch die Geschicke seines 11 Millionen-Volkes, lässt sich immer noch von jungen Pionieren die Treue schwören - so, als wären die Sowjetunion und mit ihr nahezu das gesamte sozialistische Weltsystem nie untergegangen.

    Mit eisernem Willen hat Castro Generationen von amerikanischen Präsidenten, sowjetischen Generalsekretären, Staats- und Regierungschefs, Demokraten und Potentaten aus vielen Ländern überlebt, bis er die am längsten herrschende Nummer Eins des 20. Jahrhunderts und eine der interessantesten Personen der Zeitgeschichte war. Bärtig, immer grün uniformiert, Hass- und Heldenfigur in einem, so kennt ihn die Welt. Gegen keinen wurden vermutlich so viele Mordkomplotte geschmiedet. Wer derart wenig geschmeidig, 'unpolitisch' kompromisslos agiert, überlebt meist nicht lange in diesen Breitengraden, wird abgesetzt oder umgebracht. Dass er am Leben blieb, ist fast ein Wunder.

    Ganze 544 Seiten widmet Volker Skierka, ausgewiesener Kenner Lateinamerikas, dem "Wunder" - dem Phänomen - Castro.

    Der erste deutsche Castro-Biograph interessiert sich erfreulicherweise weniger für die Liebschaften und den daraus möglicherweise hervorgegangen Nachwuchs des Diktators als für die kubanische Revolution, das revolutionäre Kuba und seine Selbstbehauptung in einer mehr oder minder feindlichen Umwelt. Gestützt auf umfangreiches Archivmaterial aus den USA schildert er die vielfältigen Versuche der USA, Castro zu ermorden und ein Washington-höriges Regime in Havanna zu installieren.

    Was in der Schweinebucht geschah, mit welchen Methoden und welchen Kräften die USA gegen das revolutionäre - und später sozialistische - Kuba operierten, das ist bekannt, vielfach geschrieben und beschrieben worden. Weniger erforscht dagegen das keinesfalls spannungsfreie Verhältnis Kubas zum "großen Bruder" Sowjetunion und dem kleineren, aber dennoch enorm wichtigen "Bruder" DDR. Nach außen hin demonstrierte man - wie Nikita Chruschtschow - beim Castro-Besuch in der UdSSR 1963 die vermeintlich heile Welt des Sozialismus, den ideologischen Gleichklang zwischen Moskau und Havanna.

    Doch insgeheim trauten manche Realsozialisten an der Moskwa und an der Spree dem "großen Freund" Fidel Castro und seinen revolutionären Mitstreitern nicht so recht über den Weg.

    In einer der vielen von den Genossen der DDR-Botschaft verfassten 'Einschätzungen' der politischen Entwicklung auf Kuba, die auf einem regen Meinungsaustausch mit den Vertretern anderer Ostblockstaaten beruhen, heißt es im Sommer 1964, 'ideologisch/politische und theoretische Konfusionen bei den Grundfragen der Politik in der Parteispitze' sowie ein 'von Fidel Castro selbst' vertretener kleinbürgerlicher 'Radikalismus und Nationalismus' führten zu einer 'Unterschätzung des internationalen Kräfteverhältnisses in Bezug auf Kuba und der Wirksamkeit der Politik der friedliebenden Koexistenz' und einem 'Hang zu Gewaltlösungen in der Politik gegenüber den USA, ihren lateinamerikanischen Lakaien und der lateinamerikanischen Befreiungsbewegung'.

    Mit anderen Worten: Das revolutionäre Kuba war den tonangebenden Partei-Bürokraten in Ostberlin - und auch in Moskau - zunächst zu revolutionär, zu stürmisch in seinem Sturmlauf gegen die "Welt des Imperialismus". Umso mehr engagierte sich gerade die DDR bei dem Bemühen, Kuba in das sozialistische Lager fest einzubinden. Zutreffend konstatiert Volker Skierka:

    Mit Ost-Berlin haben die Kubaner seit den sechziger Jahren die - nach Moskau - engsten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb des Ostblocks. Außer der regen Reisetätigkeit auf der Politbüro- und Ministerialebene sowie zwischen den verschiedensten Parteiorganisationen, Gewerkschaftsverbänden und einem intensiven Studentenaustausch gab es innerhalb von acht Jahren vier gegenseitige Staatsbesuche. Zweimal, 1972 und 1977, war Castro in der DDR, umgekehrt kam DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker 1974 und 1980 nach Kuba und erfuhr eine Vorzugsbehandlung wie bis dahin nur der sowjetische Staats- und Parteichef Breschnew.

    Als die RDA - die DDR - sang- und klanglos untergeht und Michail Gorbatschow die UdSSR im Zeichen von Glasnost und Perestroika zu reformieren versucht, bleibt Fidel Castro kaum etwas anderes übrig, als eigene Wege zu beschreiten. Der "Máximo Líder" erkennt die Gefahr, die von Reformexperimenten ausgeht und zieht daraus den Schluss:

    Perestroika ist eines anderen Mannes Frau. Damit möchte ich nichts zu tun haben.

    Als nach der DDR auch die UdSSR von der Bildfläche der Weltpolitik verschwindet, verkündet Fidel Castro auf dem 4. Kongreß der Kommunistischen Partei Kubas im Oktober 1991:

    Wir werden uns allein verteidigen, umgeben von einem Ozean des Kapitalismus.

    Wie schwer sich diese "Verteidigung" Kubas in den neunziger Jahren gestaltet, wie nahe die Zuckerinsel an den Rand des Abgrunds gerät und wie es Castro durch geschicktes Lavieren letztlich doch immer wieder gelingt, die Kurve zu kriegen, das schildert Volker Skierka im Detail. Der Autor verschweigt nicht die Schattenseiten des Alltags auf Kuba, beschreibt die Auswirkungen von Mangelwirtschaft und politischer Repression, doch er nennt auch das Positive, die Errungenschaften des kubanischen Sozialismus beim Namen:

    Die Volksgesundheitsstatistik Kubas einschließlich der Kindersterblichkeit und der Lebenserwartung - sie beträgt 75,3 Jahre - übertrifft im UN-Vergleich längst Länder der Ersten Welt und sogar die USA.

    Volker Skierkas Castro-Biographie ist alles andere als ein unkritischer Lobgesang auf den "Máximo Líder" und Castros Kuba. Aber es ist auch keine Anklageschrift. Der Autor berichtet, er richtet nicht über Castro und sein Regime. Er urteilt nicht vom hohen Ross westlicher Demokratie aus, sondern ordnet Kuba ein in den Kontext der Dritten Welt. Und da steht das revolutionäre Kuba nach Meinung Skierkas trotz allem gar nicht schlecht dar zu Beginn des 21. Jahrhunderts - im Gegenteil:

    Längst erscheint das 'kubanische Modell' wie der Entwurf eines dritten Weges zwischen Kapitalismus und Kommunismus, und manches spricht dafür, dass genau dieser Eindruck bezweckt ist.

    Doch möchte es der Westen Castro nicht vergönnen, wie Skierka es formuliert am Ende über alle toten und lebenden Gegner zu triumphieren, zumal er im Gegensatz zum 15. Parteitag der Chinesischen KP zu vergleichbaren wirtschaftlichen Reformen wie einer Privatisierung einiger staatseigener Betriebe keinesfalls bereit ist. Ein nationales Selbstbestimmungsrecht wird den Kubanern durch die führenden Industrienationen - auf Betreiben der USA - in diesem Punkt aber nicht zugestanden. Unterstützung durch internationale Organisationen bleibt an die rigorosesten Bedingungen politischer Systemveränderung im Sinne der neoliberalen 'neuen Weltordnung' geknüpft, wie sie keinem anderen Land zugemutet werden.

    Volker Skierka macht kein Hehl aus seiner Sympathie für Kuba und für den Mann, der d i e s e s Kuba geschaffen und geprägt hat und seit über 40 Jahren repräsentiert. Anders als andere Führer habe Castro sich offenbar nie von materiellen Motiven leiten lassen. Ihm sei es gelungen, einen "neuen Kubaner" zu formen, der zwar besser leben möchte, aber nicht bereit sei, dafür seine persönliche und nationale Identität aufzugeben. Bleibt die Frage, was kommt, wenn Fidel geht, wenn die Stimme verstummt, die den Kurs vorgibt.

    Die Stimme ist leiser geworden. Im August wird der "Máximo Líder" 75. Doch er wankt nicht, weicht nicht, hält unbeirrbar fest an seinen Prinzipien.

    Ähnlich dem Vorbild Bolívar scheint Castro an seinem Lebensabend politisch dort angekommen zu sein, wo er angefangen hat. Der Kreis hat sich geschlossen, er hat gewissermaßen das Ende vom Anfang erreicht. Dazwischen aber hat er zweifellos eine der faszinierendsten und umstrittensten politischen Biographien des zurückliegenden Jahrhunderts gelebt. Wenn er zu Lebzeiten zum Mythos geworden ist, dann, wie er in einem Interview sagte, durch die Regierungen der Vereinigten Staaten und 'dank des Scheiterns ihrer unzähligen Versuche, meinem Leben ein Ende zu setzen'.

    Es ist nicht einfach, die Biographie eines lebenden Denkmals zu schreiben. Der erste deutsche Castro-Biograph hat die Aufgabe bravourös gemeistert. Und sollte der "Máximo Líder" das Werk in die Hände bekommen, dürfte es ihn in seiner bereits 1953 geäußerten Überzeugung bestärken, dass die Geschichte ihn freisprechen wird.

    Henning von Löwis über: Volker Skierka: Fidel Castro. Eine Biographie. Erschienen im Kindler Verlag, Berlin, 544 Seiten, DM 49,90.