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Volkskrankheit Depression

Depressionen zählen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO zu den häufigsten Leiden. Im Jahr 2020 sollen sie - einer Hochrechnung zufolge - sogar Platz zwei unter den häufigsten Erkrankungen weltweit einnehmen. Der jährliche "Welttag für Seelische Gesundheit" am 10. Oktober soll die Krankheit Depression stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. In Deutschland erkranken etwa 17 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen Depression. Üblicherweise setzen Ärzte Medikamente ein - so genannte Antidepressiva - eine Psychotherapie folgt erst an zweiter Stelle. Nun diskutieren Fachleute zunehmend über die Nachteile der Behandlung mit Medikamenten: die Wirksamkeit sei fraglich, die Gefahr eines Suizids könne steigen.

Von Mirko Smiljanic |
    Seit Wochen fühlte sich die 45jährige Susanne Kraus antriebslos, kaum etwas machte ihr Spaß, manchmal saß sie stundenlang am Küchentisch. Ihr Hausarzt vermutete Kreislaufprobleme, ihre Gynäkologin verschrieb Eisenpräparate - geholfen hat nichts. Bis ihr jemand einen Psychiater empfahl. Seine Diagnose: Depression.

    " Zwei Kernsymptome der Depression: Anhaltende - nach der derzeitigen Definition mindestens 14 Tage - anhaltende Herabgestimmtheit gekennzeichnet durch Verlust von Freude und Interesse. "

    Sagt Jürgen Fritze, Professor für Psychiatrie an der Universität Frankfurt am Main. Das zweite Symptom betrifft den Körper: Depressive leiden unter Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust, das Interesse an Sexualität geht verloren, außerdem berichten 95 Prozent aller Patienten über Schlaflosigkeit. Normalerweise verschreibt der Arzt in solchen Fällen Antidepressiva. Sie erhöhen im Gehirn die Menge so genannter Botenstoffe wie Serotonin und Noradrenalin. Diese Botenstoffe selbst wirken nicht antidepressiv, sie fördern aber die Fähigkeit des Gehirns, Depressionen zu überwinden. Aus diesem Grund dauert es auch einig Tage bis die Stimmung besser wird. Eine kritische Phase, weil in dieser Zeit vermehr Suizid-Gedanken auftauchen. Grund: Antidepressiva führen zu einer inneren Unruhe,…

    "…die sich auch körperlich zeigen kann, wenn man zum Beispiel nicht mehr auf der Stelle stehen kann, so genannte Akathisie. Wenn man dabei depressiv ist, kommt dabei indirekt zu solchen Gedanken, nicht mehr leben zu wollen oder auch zu entsprechenden Handlungen sich etwas anzutun. "

    Diese Nebenwirkung ist bekannt, jeder Beipackzettel weist darauf hin. Weniger bekannt ist etwas anderes: Studien haben nachgewiesen, dass die Wirkung von Antidepressiva und die Wirkung von Placebos gar nicht so weit auseinender liegen.

    " Das kann man sich damit erklären, dass Psychotherapie - Lernen - auch antidepressiv wirksam ist. Und ein Placebo, ein Scheinmedikament, hat ja eine hohe suggestive Kraft. Entscheiden ist die Frage, ob das Antidepressivum dem Scheinmedikament überlegen ist, ob es also wirksamer ist als das Scheinmedikament. Das ist so, wenn auch nur über den Daumen um 20 Prozent wirksamer. "

    Kritiker fordern einen sparsameren Umgang mit Antidepressive und einen stärkeren Einsatz von Psychotherapie, zumal ihre Erfolge in vergleichbarer Größenordnung liegen,…

    "…zumindest bei den leichten bis mittelschweren Depressionen. Bei schweren Depressionen ist die Erfolgsrate bei antidepressiven Arzneimitteln höher, wobei man das aber noch nicht hinreichend untersucht hat, das ist der jetzige Stand der Wissenschaft. "

    Menschen mit schweren Depressionen sind teilweise gar nicht ansprechbar für therapeutische Gespräche. Schon aus diesem Grund - sagt Jürgen Fritze - müssen Antidepressive auf dem Markt bleiben. Von der Forderung, sie wegen nicht hinreichend geklärter Wirksamkeit als verschreibungspflichtiges Medikament zu streichen, hält er gar nichts.

    " Das wäre eine Katastrophe für die Patienten, Antidepressive müssen weiter verfügbar bleiben für die Arzneimittelverordnung! "

    Allerdings müsste seiner Meinung nach mehr Forschung betrieben werden, damit Ärzte künftig genauer sagen können, wann Medikamente das Mittel der Wahl sind und wann eine Psychotherapie.