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Wien
Volksoper arbeitet eigene NS-Vergangenheit in Operette auf

Die Volksoper Wien hat eine ungewöhnliche Operette mit einem ungewöhnlichen Zweck auf die Bühne gebracht. Mit dem neuen Werk "Lass uns die Welt vergessen - Volksoper 1938" arbeitet das Traditionshaus seine eigene NS-Vergangenheit auf. Die Produktion wurde bei der Uraufführung mit langem Applaus bedacht.

    Wien: Ensemblemitglieder der Volksoper stehen während einer Probe zur neuen Operette "Lass uns die Welt vergessen" auf der Bühne.
    Probe der Operette "Lass uns die Welt vergessen", mit dem Stück will die Wiener Volksoper ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten. (Barbara Palffy / Volksoper Wien / dp / Barbara Palffy)
    Der niederländische Regisseur Theu Boermans baute ein Stück im Stück rund um die letzte Operettenproduktion, die 1938 kurz vor dem "Anschluss" Österreichs an Nazi-Deutschland an der Volksoper neu produziert worden war. Dieses Werk trug den Titel "Gruß und Kuss aus der Wachau" und stammte aus der Feder des Komponisten Jara Benes. Boermans lässt das Publikum an den damaligen Proben zu dieser leichten Heirats- und Liebesgeschichte teilhaben, und an den verschiedenen Reaktionen, die der Nationalsozialismus unter den Künstlern der Volksoper auslöste - von Begeisterung und Mitläufertum bis hin zur Solidarität mit den jüdischen Kollegen, die fliehen mussten oder deportiert wurden.

    Musikalische Neuproduktion von "Lass uns die Welt vergessen" und Filmaufnahmen

    Die israelische Keren Kagarlitsky setzte als Komponistin und Dirigentin musikalische Kontraste, indem sie für die Neuproduktion "Lass uns die Welt vergessen" die teils jazzigen Melodien von Jara Benes mit eigener Musik und mit Werken von Schönberg und Mahler kombinierte. Filmaufnahmen von Hitlers Einmarsch in Wien und von Konzentrationslagern verstärkten zusätzlich die Spannung zwischen leichter Operetten-Kost und dem Horror der NS-Zeit.

    Auch Nachfahren vertriebener Volksoper-Künstler bewegt

    Das Publikum ließ sich von Kagarlitskys Leistung und von Boermans' Erzählung berühren. Viel Applaus gab es für das heutige Ensemble, welches das künstlerische Volksopern-Team des Jahres 1938 noch einmal zum Leben erweckte. Im Saal waren auch einige Nachfahren von vertriebenen Volksoper-Künstlern, unter anderem von Dirigent Kurt Herbert Adler, der in "Lass uns die Welt vergessen" eine wichtige Rolle spielt. Sein Sohn, der deutsche Opernmanager Robert Adler, zeigte sich nach dem Schlussapplaus sichtlich bewegt über die Produktion. "Es ist großartig gemacht - und erschütternd", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
    Adler gelang die Flucht in die Vereinigten Staaten, wo er jahrzehntelang die San Francisco Opera leitete. Einer der Textdichter von "Gruß und Kuss aus der Wachau", Fritz Löhner-Beda, wurde hingegen deportiert. Heute ist er nicht nur als Librettist der Lehar-Operette "Land des Lächelns" bekannt, sondern auch als Texter des "Buchenwaldliedes", das er im gleichnamigen Konzentrationslager schrieb. Er wurde 1942 im KZ Auschwitz ermordet.