Den Kern dieser Kultur bildet eine uns doch ziemlich fremde Staatserfahrung. Frankreich pflegt einen aus feudalen Zeiten überlieferten extremen Etatismus. Das Land wird - trotz aller Bemühungen um Regionalisierung - absolut zentral regiert. Jeder Franzose erfährt das pausenlos in seinem Leben. Das Erziehungsministerium zum Beispiel bestimmt genau, was in jeder Schule des Landes zu einem bestimmten Zeitpunkt getan werden muss. Das Innenministerium verfügt über eine Geheimpolizei, von der sich die Stasi eine Scheibe hätte abschneiden können. Oder wenn eine Eisenbahntrasse gebaut werden soll, dann ziehen in Paris die Ingenieure mit dem Lineal eine Linie auf der Landkarte, und genau da werden die Schienen verlegt - von wegen Bürgerproteste und Einspruchsverfahren.
Die Menschen haben zu diesem leviathanischen Staat eine gespaltene Beziehung. Einerseits sind sie radikale Individualisten und begegnen den staatlichen Machtansprüchen mit einer besonderen Facette von Sozialverhalten, nämlich dem "Je-m'en-foutisme". Es handelt sich um einen radikalen und prinzipiellen, zur mentalen Grundausstattung der Franzosen gehörenden Mangel an Gemeinsinn. Zwar zählt die Brüderlichkeit bekanntlich zu den drei staatstragenden Hauptschlagwörtern seit der Revolution, aber das ist nur politische Rhetorik: salbungsvoll und abgehoben und - wie alles Politische in Frankreich - von niemandem ernst genommen. Überhaupt gehen die Franzosen davon aus, dass Politik bloß Lüge sei und der Staat nichts als die Pfründe der Politiker. Die Praxis gibt ihnen in dieser Einschätzung übrigens weitgehend recht.
Diese kalte Ignoranz gegenüber den Folgen des eigenen Handelns findet sich gleichermaßen bei jenen Streikenden, die hin und wieder mit ihren Lastwagen die Straßen blockieren und nicht einmal Krankenwagen durchlassen, wie bei denen, die das nächstbeste Auto anzünden und im Zweifelsfall das der am Existenzminimum lebenden Nachbarsfamilie erwischen.
Andererseits möchten die allermeisten Franzosen nichts lieber als Staatsbeamte werden. Versorgungssicherheit ist in einem zentralistischen System, das sich nicht auf die Kräfte von Nachbarschaft und Community stützt, ein ganz großes Thema. Da wird jeder Versuch, größere Flexibilität zu verlangen, sofort zu einer unerträglichen Bedrohung. So sehen es jetzt jedenfalls die revoltierenden Jugendlichen. Natürlich wird es ohne größere Flexibilität nicht gehen. Aber Frankreich ist ein altes Land. Man muss nur die prachtvoll marode Substanz einer Stadt wie Paris betrachten, um zu verstehen, wie schwierig, schmerzhaft und kostspielig da jegliche Modernisierung ist. Das gilt auch für die Menschen, die immerhin eines wissen: das System ist alt und verkommen, aber es funktioniert.
Die Menschen haben zu diesem leviathanischen Staat eine gespaltene Beziehung. Einerseits sind sie radikale Individualisten und begegnen den staatlichen Machtansprüchen mit einer besonderen Facette von Sozialverhalten, nämlich dem "Je-m'en-foutisme". Es handelt sich um einen radikalen und prinzipiellen, zur mentalen Grundausstattung der Franzosen gehörenden Mangel an Gemeinsinn. Zwar zählt die Brüderlichkeit bekanntlich zu den drei staatstragenden Hauptschlagwörtern seit der Revolution, aber das ist nur politische Rhetorik: salbungsvoll und abgehoben und - wie alles Politische in Frankreich - von niemandem ernst genommen. Überhaupt gehen die Franzosen davon aus, dass Politik bloß Lüge sei und der Staat nichts als die Pfründe der Politiker. Die Praxis gibt ihnen in dieser Einschätzung übrigens weitgehend recht.
Diese kalte Ignoranz gegenüber den Folgen des eigenen Handelns findet sich gleichermaßen bei jenen Streikenden, die hin und wieder mit ihren Lastwagen die Straßen blockieren und nicht einmal Krankenwagen durchlassen, wie bei denen, die das nächstbeste Auto anzünden und im Zweifelsfall das der am Existenzminimum lebenden Nachbarsfamilie erwischen.
Andererseits möchten die allermeisten Franzosen nichts lieber als Staatsbeamte werden. Versorgungssicherheit ist in einem zentralistischen System, das sich nicht auf die Kräfte von Nachbarschaft und Community stützt, ein ganz großes Thema. Da wird jeder Versuch, größere Flexibilität zu verlangen, sofort zu einer unerträglichen Bedrohung. So sehen es jetzt jedenfalls die revoltierenden Jugendlichen. Natürlich wird es ohne größere Flexibilität nicht gehen. Aber Frankreich ist ein altes Land. Man muss nur die prachtvoll marode Substanz einer Stadt wie Paris betrachten, um zu verstehen, wie schwierig, schmerzhaft und kostspielig da jegliche Modernisierung ist. Das gilt auch für die Menschen, die immerhin eines wissen: das System ist alt und verkommen, aber es funktioniert.