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Vom armen, schwarzen Amerika

Der junge afroamerikanische Autor Tarell Alvin McCraney ist eine der vielversprechenden neuen Stimmen des amerikanischen Theaters. Nach dem großen Erfolg von "The Brothers Size" im letzten Jahr zeigt das Public Theater nun seine ganze Trilogie mit dem Namen "The Brother/Sister Plays".

Von Andreas Robertz | 19.11.2009
    "Ich werde von einer Geschichte verfolgt.” Der 29-jährige afroamerikanische Autor Tarell Alvin McCraney erzählt, wie er als frischgebackener Schauspieler in dem Rehabilitationszentrum für Drogensüchtige, in dem ein Jahr zuvor seine aidskranke Mutter gestorben war, Theater für die meist unter 30-jährigen Patienten spielte. Als eine Szene mit einem jungen Mädchen, das seine drogenabhängige Mutter sucht, gespielt wird, bricht eine Patientin weinend die Vorstellung ab. Wenn sie gewusst hätte, wie sehr ihre Kinder unter ihrer Sucht leiden, wäre sie vielleicht früher davon weggekommen. Und dann kämpft Tarell McCraney selbst mit den Tränen, weil diese Mutter auch seine Mutter hätte sein können.

    Diese Mischung aus Wut und Verletzlichkeit des ansonsten etwas scheu wirkenden jungen Mannes ist es, die seine Stücke so kraftvoll und leidenschaftlich macht. Und dann erzählt er von seiner Jugend in den Plattenbauten von Miamis Liberty City, einem gescheiterten Vorzeigeprojekt der Regierung der 70er-Jahre, von seinem kriminellen Bruder, seiner Schwester, die ohne Mutter erwachsen werden musste, und von den Erfahrungen, die er als junger Autor in sozialen Straßentheaterprojekten gemacht hat. McCraney schreibt seine Stücke für Menschen, für die Theater lebenswichtig sein kann.

    "Daher kommt mein Bedürfnis, zu schreiben. Ich will in der Lage sein, mitten in eine Sozialbausiedlung zu gehen, ein Stück zu machen, das nicht viel braucht, günstig ist, aber auch richtig Power hat, und dann zu den Leuten sagen, dass sie hier willkommen sind; dass, wenn sie jetzt nicht hier wären, diese Erfahrung nicht stattfinden würde"

    McCraney wirkt sehr reif und bescheiden, obwohl er ein hochgelobtes Talent der neueren amerikanischen Dramatik und mittlerweile Stipendiat in Amerikas nobelster Kaderschmiede für Autoren ist: der Yale School of Drama.

    Doch was machen seine Stücke so besonders? Im ersten Teil der Trilogie, "In the Red and Brown Water", erzählt er die Geschichte einer jungen Frau in den Projects - den amerikanischen Sozialbausiedlungen -, die ihren Traum, eine berühmte Sprinterin zu werden, für ihre sterbende Mutter aufgibt. Als sie sich sehnlichst ein Kind wünscht, kann sie keines bekommen.

    "The Brothers Size", das zweite Stück, handelt von zwei ungleichen Brüdern; der Ältere versucht vergeblich, den Jüngeren vor Strafverfolgung und schlechtem Einfluss zu schützen. Im dritten Stück "Marcus; Or the Secrets of Sweets" geht es um das Erwachsenwerden eines jungen Mannes, der homosexuell ist und die besondere Fähigkeit besitzt, Visionen zu haben.

    Alle drei Stücke handeln von armen, schwarzen Amerikanern und ihrer Welt, die gekennzeichnet ist von Tod, Drogen, Jugendlichen - Brothers and Sisters - und uralten Riten. In dieser Welt kommt Barack Obama nur sehr entfernt vor: als Anekdote eines großen Augenblickes. Denn vor allem handeln "The Brother/Sister Plays" von Menschen, die sich verzweifelt nach etwas sehnen, was sie nicht bekommen können, und den Fragen, die daraus entstehen. Dabei bewegt sich das Leben dieser Menschen zwischen Traum, Realität und mystischen Prophezeiungen.

    Tarell McCraney bedient sich alter Mythen der Yoruba Religion, die er als Heranwachsender immer wieder gehört hat. Deren reiche Kosmologie wird von Gottheiten wie Oya, der Jägerin, Ogun, dem Schmied und Ernährer oder Elegba, dem Vermittler, Begleiter und Gauner beherrscht. Im alten Griechenland hätten sie Artemis, Hephaistos und Hermes geheißen. Und so heißen auch McCraneys Figuren nach diesen alten Göttern. Die Mischung aus solchen Archetypen und der Alltagssprache des modernen, farbigen Amerika gibt seinen Stücken den universellen Charakter.

    Besonders auffällig: Die Schauspieler behandeln die Regieanweisungen wie Text, der direkt ans Publikum gerichtet wird - und zwar ohne Bruch der Figur. Das erzeugt eine oft sehr witzige Unmittelbarkeit; das Publikum fühlt sich eingeladen, an dem Geschehen teilzunehmen. Nun ist das natürlich alles nicht neu - McCraney hat Augusto Boal, Peter Brooks und Jerzy Grotowski sehr wohl gelesen -, doch seine moderne afroamerikanische Perspektive macht sein Theater so aufregend und wichtig.