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Vom Buschmann zum Siedler

San sind die Ureinwohner des südlichen Afrika - die Buschmänner, die den Anschluss an die Gesellschaft verloren. Dank neuer Gesetze zum Schutz von Minderheiten und mit Hilfe von Staatsgeldern konnten sich zwei San-Gruppen Farmland kaufen und eine San-Siedlung gründen.

Von Dagmar Wittek | 18.12.2010
    Die zwei in freundlichem hellblau gestrichenen Warteräume sind voll. Seit einem Jahr ist Platfonteins Klinik offen. An drei Tagen sind Ärzte da, ansonsten übernehmen 3 Krankenschwestern und 4 Aidsberaterinnen die tägliche Routine. Wir sehen rund 120 Patienten am Tag, berichtet Schwester Sharon Olifant.

    "Unsere größten Probleme sind: HIV/Aids, Tuberkulose und Mangelernährung. Aber auch Vergewaltigungen sind wegen der enorm hohen Arbeitslosigkeit und des entsprechenden Alkoholmissbrauchs ein Problem. Aber wir leisten eine Menge Aufklärungsarbeit, das Radio zieht da mit, täglich gibt es hier in der Klinik einen Vortrag über ein Gesundheitsthema, das rote Kreuz geht von Tür zu Tür und unterrichtet über Aids, Tuberkulose und Hygiene - also es laufen viele Kampagnen und wir merken, dass sich die Gesundheit der Menschen verbessert."

    Im Zeltlager von Schmidsdrift gab es keinen Arzt, nur eine Schwester, die kaum Ausrüstung, Material oder Medikamente hatte. Sophia Makina, eine 17-jährige Mutter, die ein wimmerndes Bündel auf dem Arm hält, erzählt sie hätte früher im Notfall erst irgendwie ein Auto organisieren müssen, um zur nächsten 23 Kilometer entfernt gelegenen Klinik zu gelangen.
    "" Hier ist es viel besser als in Schmidsdrift. Jetzt haben wir eine Klinik, die immer da ist und ich kann einfach zu Fuß hinlaufen, wann immer ich sie brauche. Es ist immer Hilfe da. So wie jetzt, da mein 1-jähriges Baby krank ist. Er hat Bauchweh, Krämpfe und der ganze Körper tut ihm weh. Die Situation in Platfontein ist viel besser, außerdem haben wir Läden, die Stadt ist nicht weit weg und die Chancen auf einen Job sind auch viel besser."

    Theoretisch, denn Fakt ist, dass die Arbeitslosigkeit bei den zwei San-Gruppen, den Kung und Kwe, bei über 80 Prozent liegt. Dennoch: die meisten haben das Gefühl, dass sich ihre Lebensqualität verbessert hat, vor allem die Jüngeren empfinden das so - so wie der 21-jährige Markus.
    ""In Platfontein ist wenigstens was los, es ist entwickelt. In Schmidsdrift, das war kein Leben, wir haben da nur rumgehangen, es gab nichts für uns zu tun, wir haben in Zelten gehaust. Jetzt haben wir richtige Steinhäuser und elektrisches Licht und eine große Schule. Die Schule ist gut, ich bin nächstes Jahr fertig und danach will ich eine Ausbildung zum Auto-Mechaniker machen."

    Dass die jungen San, die Südafrikas Regierung über 10Jahre in der Steppe in einem Zeltlager hausen ließ, Perspektiven entwickeln und das Gefühl haben etwas erreichen zu können und zur Gesellschaft dazu zu gehören, sei das Wichtigste sagt Grundschullehrerin Frieda Fick. Fick hat jahrelang auch im Zeltlager unterrichtet.

    "Damals hatten wir offene Klassenräume mit Wellblechdächern und keine Fenster. Wenn es regnete wurden wir nass, wenn es zu kalt war, konnten wir nicht unterrichten, wenn es zu heiß war auch nicht. Jetzt ist es wunderbar, wir haben diese herrliche Schule für über 1000 Schüler, allein 700 davon in der Grundschule. Die San haben richtige Häuser, wir können sehen, dass sie viel besser ernährt sind - insofern ist alles erheblich besser geworden. Aber: das soziale Gefüge bricht auseinander: Alkoholmissbrauch und Vergewaltigungsrate sind enorm ... also je mehr Kontakt sie mit anderen haben, desto mehr gehen Moral und Sozialgefüge den Bach runter."

    Sie und ihre Kolleginnen machen sich große Sorgen über den Zerfall der San-Kultur. Zum Beispiel hätten in Schmidsdrift alle Kinder noch Spurenlesen und mit Pfeil und Bogen umgehen können - hier nicht mehr. Entwurzelung und der Verlust von Kultur machen auch Kwe-Chef Nikolas Tenda Sorge.
    "Ich selber kann natürlich noch da draußen überleben, ich kann Spuren lesen, jagen und sammeln. Aber die Jungen, die in Schmidsdrift und Platfontein geboren wurden, die haben keine Ahnung mehr davon, wir müssen es ihnen aber unbedingt beibringen, es ist Teil von uns. Fernsehprogramme könnten dabei auch helfen. Wir können nicht mehr einfach so jagen und unsere Kinder selber erziehen und ausbilden. Wir können uns nicht mehr frei bewegen, da das Land immer jemand gehört. Die Regierung macht uns überall Auflagen."
    Und auch sonst haben die San es häufig nicht leicht in Südafrikas Gesellschaft, klagt Nikolas Tenda.

    "Wir werden ausgegrenzt und erleben ständig Diskriminierung. Vor dem Gesetz sind wir alle gleich. Wir haben Anspruch auf Sozialhilfe, staatliche Unterstützung und eine Rente - so wie alle anderen auch. Nur auf dem Amt sieht es anders aus, da herrscht oft Rassismus. Sobald sie sehen "oh, da sitzt ein San in der Warteschlange", dann lassen sie einen versauern. Wir werden auch oft beschimpft."

    Dennoch wertet die Direktorin des South African San Instituts, Meryl Schippers, die Entwicklungen in Platfontein als vollen Erfolg.

    "Von der Armee, über das Zeltlager hierher, das ist sicherlich als Positiventwicklung zu sehen. Die San haben sich hier niedergelassen und haben ein Zuhause gefunden. Die Siedlung sendet zudem eine Botschaft an den Rest von Südafrika aus: die San sind Teil dieser Gesellschaft, sie sind die Urbevölkerung, die erste Nation Südafrikas, ja sogar des südlichen Afrikas, sie werden hierbleiben, komme was da wolle. Die jungen Leute integrieren sich mehr und mehr, einige arbeiten in der Stadt, einige haben Freundinnen in Kimberley, es gibt interkulturelle Ehen und die San Gemeinschaft öffnet sich mehr und mehr."

    Das bedeutet aber auch Veränderungen für die San Kultur. Kwe-Chef Tenda kämpft gleichermaßen um Integration als auch Kulturerhalt. Beides zusammen sei machbar.

    "Es ist möglich, dass wir Teil der modernen Welt sind und doch unsere eigene Herkunft wertschätzen und pflegen. Ich will, dass meine Tochter unsere Sprache Kwe-dal spricht und in der Schule auch darin unterrichtet wird, damit sie weiß wo ihre Wurzeln liegen. Später kann sie dann auch zur Uni gehen, aber sie wird immer wissen: ich bin eine San."

    In der Schule gilt das staatliche Curriculum, San-Kultur wird da nicht berücksichtigt. Aber immerhin: im Kindergarten gibt es eine extra Gruppe, in der Tradition und Kultur unterrichtet werden. Und einmal die Woche trifft sich eine von Kuyanda Sikamo angeleitete Erwachsenen-Tanzgruppe, in der Lieder, Tänze, Geschichten und Kultur am Leben gehalten werden.
    # "Wir wollen unsere Kultur nicht verlieren. Tanzen und Singen ist ein Teil davon, dadurch, dass wir unsere Traditionen ausüben, geben wir sie an die Jüngeren in der Gemeinschaft weiter und dadurch kann unsere Kultur weiterleben