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"Wir müssen alle zurück"

Nach den Ausschreitungen gegen Ausländer in Südafrika trauen sich rund hunderttausend Menschen nicht mehr zurück in ihre Häuser. Sie sind auf der Flucht, viele wollen das Land verlassen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen.

Von Corinna Arndt | 31.05.2008
    Die Finger des jungen Mannes zittern. In seiner Hand hält er ein Stück Papier, zerknüllt und wieder glattgestrichen. Unzählige Male hat er es gewendet und die darauf kopierten Fotos angeschaut, mit wachsendem Entsetzen. Es sind die Bilder von misshandelten, ermordeten, verbrannten Ausländern in Südafrika, die in den vergangenen Wochen um die Welt gegangen sind. Italiano ist eingewandert aus Angola. Er fürchtet, dass ihm ähnliches passieren könnte.

    "Seit das alles angefangen hat, haben wir große Angst. Wir vertrauen niemandem mehr hier. Wir haben gehört, dass es jederzeit losgehen kann hier in Samora Machel. Wenn die Südafrikaner sagen, wir müssen gehen, dann gehen wir. Wenn sie sagen, wir müssen vorsichtig sein, dann werden wir vorsichtig sein. Nur so kann man überleben. Wir wollen nicht erleben, was wir hier auf diesen Fotos und im Fernsehen sehen."

    Italiano behält seinen Nachnamen lieber für sich. Immer wieder springt sein Blick unruhig umher. Um ihn herum, dicht an dicht, drängen sich knapp 700 Einwohner der Slumsiedlung Samora Machel, einem Elendsviertel im Township Philippi bei Kapstadt.

    Etwa die Hälfte sind Einwanderer - aus Angola, Simbabwe, Malawi, Mosambik und dem Kongo. Die anderen sind ihre südafrikanischen Nachbarn, unter ihnen Frauen im traditionellen Gewand der Xhosa. Der örtliche ANC-Gemeinderat hat eingeladen, um zu verhindern, dass sich die Pogrome in der Provinz Gauteng hier fortsetzen. Er tut sein Bestes, die Situation zu entspannen.

    "Wir bitten alle Afrikaner, die hier sind, um Vergebung. Wir werden dafür sorgen, dass sie hier in Samora Machel sicher sind. Früher hieß es, brennt das Haus des Verbrechers nieder. Jetzt ist es plötzlich das Haus des Immigranten. Das muss aufhören!"

    Die Stimmung im Saal ist gedrückt, sie schwankt zwischen Hoffnung und Angst. Am selben Abend endet eine ähnliche Versammlung wenige Kilometer entfernt im Chaos und ein somalischer Händler wird vom Mob erschlagen.

    Inzwischen unterstützen Soldaten die Polizei in Südafrika, die Lage hat sich etwas beruhigt. Alles unter Kontrolle, sagt die Regierung. Doch die Botschaft der Ausländerhasser ist angekommen. Mehr als 15.000 Mosambikaner sind Hals über Kopf in ihre Heimat geflohen, Malawi evakuiert seine Staatsbürger, selbst Simbabwer fliehen zurück in ihr politisch und wirtschaftlich am Boden liegendes Land. Wie viele Migranten hat auch der Angolaner Italiano am Kap eine Familie gegründet. Seine Kinder sind sechs und sieben Jahre alt.

    "Wir wollten hier bleiben, aber jetzt ist es Zeit, zurückzukehren. Angola ist friedlich. Ich will nach Hause. Wir wollen alle nach Hause. Wir müssen nach Hause, weil die Südafrikaner es wollen. Meine Freundin und die Kinder bleiben hier. Irgendwann werde ich zurückkommen und sie wiedersehen. Eines Tages werden sie ihren Vater sehen wollen."

    Seit dem Ende des Apartheidregimes ist Südafrika zum Magneten für die politisch Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlinge des Kontinents geworden. Südafrikas liberale Asylpolitik, seine schlecht bewachten Grenzen und das Chaos im benachbarten Simbabwe haben die Zahl der Immigranten auf geschätzte fünf Millionen steigen lassen. Einmal im Land, kümmert sich der Staat kaum noch um sie. Ohne Papiere werden sie deportiert, ansonsten ihrem Schicksal überlassen, sagt Andries Odendaal, Experte für Konflikte und Konfliktlösung.

    "Diese Menschen müssen sich irgendwie in die Gesellschaft integrieren. Und gezwungenermaßen tun sie dies auf der untersten Ebene, in der Schicht, die wirtschaftlich am stärksten unter Druck ist. Sie erhalten keine Unterstützung dabei. Das kann eigentlich nur katastrophal ausgehen."

    Trotzdem schaffen es die oft gut ausgebildeten Ausländer, sich verhältnismäßig schnell einen bescheidenen Wohlstand zu erarbeiten. Viele sprechen mehrere südafrikanische Sprachen fließend und heiraten in örtliche Familien ein. Die Einheimischen sehen neiderfüllt zu.

    In manchen Townships liegt die Arbeitslosigkeit bei 70 Prozent, Gewaltverbrechen sind an der Tagesordnung. Mindestens die Hälfte der Südafrikaner lebt unterhalb der Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag. Diese massiven Probleme, verbunden mit seit langer Zeit gepflegten Vorurteilen gegenüber anderen Afrikanern, bilden das gefährliche Gemisch, das jetzt explodiert ist.

    Der Imageverslust für Südafrika ist enorm. Ausgerechnet das Land, dessen Freiheitskämpfer in ganz Afrika Zuflucht fanden, ausgerechnet die Führungsmacht des Kontinents, ausgerechnet das Land Thabo Mbekis, der darum kämpft, das die Welt Afrika endlich ernst nimmt.

    "Und dann haben wir die Fußball-WM 2010 hier, sagt eine junge Südafrikanerin in Philippi. Wie wollen wir das machen, wenn wir Ausländer durch die Straßen jagen. Diese Verbrecher sabotieren die WM!"

    Es mag ein unbequemer Gedanke sein, doch über Südafrikas Image und seine Zukunft wird nicht allein in Pretoria entschieden, sondern auch und vor allem in Orten wie Philippi und in Wellblechhüttensiedlungen wie Samora Machel. Wenn es je eine Versöhnung und eine Re-Integration der Migranten geben kann, dann hier.

    Als die Versammlung im Gemeindezentrum ihren Lauf nimmt, löst sich die Spannung langsam. Immer mehr Menschen strömen herein. Alte ANC Kampflieder ertönen, dann die Nationalhymne.

    Keiner ist im Saal, der sie nicht auswendig könnte. Gott schütze Afrika, heißt es im Text: Afrika, nicht Südafrika.