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Vom Exil ins Exil

Damals floh er vor den Nationalsozialisten. Im Juli 1970 kehrte Schriftsteller Carl Zuckmayer noch einmal in das österreichische Henndorf zurück, das bis 1938 sein Zuhause war. Auf einem literarischen Spaziergang durch das heutige Henndorf kann man Zuckmayers Wiesmühle besuchen.

Von Stefan Quilitz | 25.07.2010
    "Es war der 24. Juli 1970, 3 Uhr nachmittags, und es war der heißeste Tag eines heißen Sommers regloser Sonnenglast."

    So beginnt die "Henndorfer Pastorale", ein kleines Büchlein von Carl Zuckmayer, die Erinnerung an jenen Tag, als er noch einmal offiziell sein Henndorf besucht, Wahlheimat und Exil. Es ist ein Festtag, ein ganzes Dorf feiert seinen Ehrenbürger.

    32 Jahre zuvor, 1938 musste Zuckmayer aus Henndorf flüchten. Nazischergen waren ihm auf den Fersen, und als er noch gerade rechtzeitig im Zug Richtung Schweiz fuhr, noch einmal am Wallersee vorbei, plünderten Nazisympathisanten aus dem Dorf alsbald sein Haus.

    Carl Zuckmayers Liebe zum Dorf Henndorf beginnt im Juli 1926. Mit seinem deftig-kritischem Volksstück "Der fröhliche Weinberg" hat er erstmals Erfolg. Endlich verdient er Geld. Ein österreichischer Dichter erzählt ihm von einer alten Mühle im Salzburger Land. Zuckmayer telegrafiert sofort hin: "kaufe Mühle". Doch bekommt er zur Antwort: "erst anschauen". Dem Wirt des Gasthauses "Caspar-Moser-Bräu" in Henndorf gehört die Mühle, Zuckmayer reist hin und schnell ist man sich handelseinig. Aber zunächst wohnt Zuckmayer mit seiner schwangeren Frau Alice im Gasthaus. Und so steigt er auch 44 Jahre später, am 24. Juli 1970 als Erstes im Caspar-Moser-Bräu ab.

    Alles ist noch da, die Gams- und Rehkrickerln an den Wänden, der hohe dunkelgrüne Tiroler Kachelofen, Carl Mayrs persönlicher Lehnstuhl und in der hinteren Ecke am Fenster mein "Stammtisch".

    Auch heute, wiederum 40 Jahre später, ist alles noch so wie früher. Und ein literarischer Spaziergang auf den Spuren Zuckmayers durch Henndorf beginnt denn auch im "Caspar-Moser-Bräu", Führerin Renate Eherer:

    "Nach seinen Spaziergängen kehrte er immer Gasthof Moser-Bräu ein und verzehrte immer diese - jetzt wird sie Zuckmayer-Jause genannt. Wie sie ausschaut: der Wirt hat uns eine hingestellt. Und das Stamperl Schnaps, was es für jeden gegeben hat, kriegen wir jetzt auch."

    In der Gastube ist die Zeit stehen geblieben, und auch oben scheint Zuckmayers Zimmer unberührt, die wuchtigen alten Möbel stehen noch dort, im Bett liegt eine Strohmatratze wie damals. Auch Gäste von Zuckmayer wie Ödon von Horvath schliefen hier.

    "Das Zimmer ist noch so wie zu seiner Zeit. Es wird auf besonderen Wunsch vermietet, so wie es jetzt ist, Sie müssen in den Strohsäcken schlafen.""

    Das Dorf hinunter, den Mühlbach entlang, geht es zur romantischen Wiesmühle, Zuckmayers neue Heimat ab 1926. Als er 1970 noch einmal das Dorf besucht, begleiten ihn die Kinder von damals, die längst erwachsen geworden sind.

    Für uns aber sind das alles Kinder. Sie lachen ja auch, wie wenn Kinder sich freuen, und es denkt etwas in mir: gute Menschen bleiben Kinder. (Ich weiß dass das Unsinn ist, eine schreckliche Simplifikation, aber jetzt glaube ich sie.) Sie bleiben alle Zeit Kinder. Und nur die Bösen, Kleinlichen, Missgünstigen, Unfrohen werden erwachsen und werden vom Leben nicht mehr geliebt.

    ...schreibt Zuckmayer in seiner "Henndorfer Pastorale". In seiner Wiesmühle wohnen 1970 längst fremde Leute. Die heutigen Besitzer wissen um die Geschichte und lassen gern Besucher ins Haus.

    " "Es ist jetzt nicht kaputt renoviert worden. Man macht natürlich ein besseres Heizungssystem und dies und jenes. Aber ansonsten, sie werden es sehen, wir haben es praktisch so gelassen. Und das ist ja auch wichtig, sonst verliert ein Haus auch die Seele. Er hat sein Arbeitszimmer oben gehabt. Die haben hier gefeiert, an diesem Tisch, an dieser Ecke sind sie alle gesessen, auch früher schon. Dieser Raum ist das Zentrum des Hauses."

    Das Ehepaar von Schöning will Henndorf mit anderen wieder zu einem Ort der Literatur machen. Führungen und Exkursionen sind geplant, ein leer stehendes Haus im Ort, das Geburtshaus des Dichters Johannes Freumbichler, soll zum Literaturhaus und zur Bibliothek werden.
    Dies alles aus gutem Grund. Denn von 1926 an, als Zuckmayer in der Wiesmühle wohnt, macht er Haus und Dorf zu einem Treffpunkt der Künstler:

    Gerhart Hauptmann war zur Nachfeier seines 75. bei uns zu Gast, Thomas Mann kam mit Familie zum Mittagessen in die Wiesmühl, Stefan Zweig erschien regelmäßig und ließ sich von mir bis zur Erschöpfung über kaum begangbare Wildwechsel und brückenlose Gewässer schleppen.

    Aber Carl Zuckmayer versteht sich auch gut mit den einfachen Menschen des Dorfes und liebt die Natur. Oft hilft er finanziell aus, wird mehrmals zum Patenonkel im Dorf. Seine Frau Alice, die Wienerin ist, studiert mit den Kindern Theaterspiele ein. Und die Volksfeste feiern die Zuckmayers kräftig mit.

    Volksfeste aber bleiben bestehen und wiederholen sich zu aller Zeit. Sie trotzen der Geschichte und der Vergänglichkeit. Denn sie entspringen aus tieferen Quellen, sie sind kultischen und magischen Ursprungs, sie entstammen der bäuerlichen, auch noch der handwerklichen Welt, in welcher Zünfte und Standesverbände feiern, ― Sie verflachen mit der Normierung durch die Geschäftigkeit.

    Und so wird denn auch Carl Zuckmayers letzter offizieller Besuch vor 40 Jahren zum Volksfest und er hat seinen Spaß daran, dass ein kräftiges Gewitter alles durcheinanderwirbelt. Seine Erinnerungen an diesen Tag nennt er denn auch "Pastorale", wie bei Beethovens Symphonie sortiert er den Inhalt zu vier symphonischen Sätzen über das Landleben, das für ihn an diesem Tag im Juli 1970 noch einmal auflebt.

    Seine "Pastorale" ist eine Liebesklärung an Henndorf mit kleinen kritischen Untertönen. In den Jahren des Exils in den USA träumt er von der Wiesmühle und eigentlich, so schreibt Zuckmayer 1940, sei er in seinem "früheren Leben" fest entschlossen gewesen, darin zu sterben.

    Weitere Informationen:
    Zuckmayer im Salzburger Seenland
    Henndorf am Wallersee