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Vom Glück der Demission

Vom Papst über Könige bis hin zu Matthias Platzeck: In jüngster Zeit hat es mehrere freiwillige Rücktritte geben. "Man hat diese Alphatiere, die alles ihrem unbedingten Willen zur Macht unterordnen, ein bisschen über", glaubt die Kulturwissenschaftlerin Baraba Vinken.

Barbara Vinken im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Es hat ja in jüngster Zeit eine Reihe von Rücktritten gegeben im öffentlichen Raum, freiwilligen Rücktritten in jüngster Zeit, die nicht erzwungen waren. Man kann an Ministerpräsident Koch in Hessen denken, man kann aber auch an Papst Benedikt denken, aber auch an Monarchen wie Königin Beatrix, König Albert von Belgien. Wer zurücktritt, ist nicht mehr Herr im Haus, will es freiwillig nicht mehr sein – "So gut kann Rücktritt tun", schreibt die "Bild"-Zeitung und begleitet Brandenburgs Ministerpräsidenten Platzeck, der am Nachmittag auf Anraten seines Arztes jetzt immer mit der Arbeit aufhört. Ich habe mit der Romanistin Barbara Vinken darüber gesprochen und sie gefragt: Wie schätzt Sie das ein, wenn man so aus dem Blick des Dramatischen draufguckt? Ist der Rücktritt immer dramatisch?

    Barbara Vinken: Er kann die Struktur einer Tragödie haben, aber er kann natürlich auch die Strukturen einer Komödie haben, denke ich. Aber ich glaube schon, dass es so was wie einen dramatischen Umschlag gibt, der also zum einen die Tragik des Versagens, des Amt Verlierens, des seinen bisherigen Lebensinhalts Verlierens – also hat praktisch wie die Tragödie einen katastrophischen Umschlag. Aber es kann auch oft diesen Umschlag der ins Heitere, ins Leichte, ins Erlösende fast – könnte man hier sagen – haben. Weil plötzlich hat man ein bisschen den Eindruck, dass es in dieses Erlösende geht.

    Köhler: Haben wir nicht da gerade so was wie einen Wandel auch im Heldenbild? Wenn ich so an die Rücktrittsgeschichte – ich mache jetzt mal einen wilden Bogen – von König Lear bis Horst Köhler denke: Der eine war König von England und hatte drei Töchter, wovon zwei nichts taugten und er darüber fast verrückt geworden ist, bis zum deutschen Bundespräsidenten. Erleben wir da gerade einen Wandel im Heldenbild, dass sozusagen die wahre Größe jetzt darin besteht, zurückzutreten und auch die Schwächen einzugestehen?

    Vinken: Man hat diese Alphatiere, die alles ihrem unbedingten Willen zur Macht unterordnen, die hat man, glaube ich, ein bisschen über. Also dieses Männlichkeitsideal, das eine territoriale Hoheit verteidigt, …

    Köhler: Die harten Hunde, ne?

    Vinken: … ja, also die harten Hunde – ich glaube, diese Zeit ist so ein bisschen vorbei. Was ich aber auch wirklich besonders interessant finde, ist, dass der Körper in diesen Geschichten so stark wiederkommt, also bei Benedikt, jetzt bei Platzeck, und das ist eigentlich ein weibliches Herrschermoment. Also Katharina die Große zum Beispiel, die hat ja Tagebücher geschrieben, in denen es nur über die Krankheit ihres Körpers geht, also dass der Körper sich da die ganze Zeit inszeniert und eben nicht mehr der Geist oder der Intellekt.

    Köhler: Also so etwas wie Verletzbarkeit durchaus auch bei Männern in Rechnung gestellt wird?

    Vinken: Ja, denke ich, ja. Also ich denke, dass wirklich dieses – das sagte der Platzeck ja, dass ihm Politik immer unter die Haut gegangen ist, und das glaubt man ihm ja auch. Und damit wirkt ja eigentlich genau diese Verletzlichkeit, des auch männlichen Körpers, und eben nicht mehr die 1,91 oder die schlanke Linie – also nicht der einsetzbare und der funktionale Körper, sondern der verletzliche, der beeindruckbare, also der passive Körper, der liegende Körper auch ganz stark wird in den Vordergrund gerückt.

    Köhler: So ein Rücktritt hat ja auch so eine Gewisse, ich nenne es mal, ultimative Dimension. Irgendwann treten wir alle mal ab.

    Vinken: Ja, das finde ich einen sehr schönen Vergleich, also das ist – Pascal hat ja, glaube ich, mal gesagt: Wir sitzen alle in der Todesreihe und wir gucken uns einander an und sehen, wie wir älter werden, und wie bald der Nächste dran ist, mit dem Tod abzutreten. Und ich glaube auch, dass das stimmt, also dass diese radikalen Wechsel im Leben, die ja Leben im Licht der Öffentlichkeit sind, und die dann praktisch in die Dunkelheit oder in die Anonymität zurücktreten, dass dadurch auch so etwas wie eine Todesfiguration und nicht mehr diese Vorstellung eines ewigen Lebens uns wieder zu Bewusstsein gebracht wird.

    Köhler: Ich meine das jetzt nicht so herrschaftlich, wie das klingt. Sie haben eben von der Verletzbarkeit gesprochen. Erleben wir damit eigentlich auch eine sympathische Verweichlichung – ich bin fast versucht zu sagen, Verweiblichung, auf die Gefahr hin, dass ich jetzt von Ihnen eins drüber kriege?

    Vinken: Also ich würde nicht sagen, Verweichlichung, aber ich würde schon sagen, Verweiblichung, und was auch, glaube ich, wichtig ist, ist, dass man auch stärke haben muss, um diese Verletzlichkeit wieder überhaupt zuzugeben, ja, um dieser Verletzlichkeit in der Öffentlichkeit einen Platz zu geben, und ich glaube, ja, da erleben wir wirklich so was wie eine neue Verweiblichung der öffentlichen Sphäre, in der vielleicht auch nicht mehr männlicher sein müssen als die Männer, ne?

    Köhler: Ja, auch die öffentliche Leidensmiene erfährt einen Wandel. Zum Beispiel auch das Wortfeld, ich meine, uns als Literaturleuten fällt ja auf: Ich habe die ganzen sechs Wochen mit mir gerungen. Das fällt auf, dass da ein Anteil der Reflexivpronomen auf einmal in der Sprache auch mehr benutzt wird.

    Vinken: Ja. Also das kann man sagen, dass es auch praktisch die Wiederkehr eines gewissen religiösen Registers, nämlich das der Conversio oder das der Umkehr, wo der Mensch sich auf sich selbst zurückbesinnt, die Selbstbezüglichkeit, eben sich nicht mehr als Agierender darzustellen, als immer Handelnder, sondern als jemand, der über sich selbst nachdenkt. Und ich glaube, dass diese … und zwar nicht im narzisstischen Sinne, sondern wirklich im Sinne des was kann ich, wohin will ich – also diese ganz grundsätzlichen Sachen, und was ist für mich noch tragbar, oder was ist für mich noch erträglich.

    Köhler: Hat so was Chance zum Vorbild?

    Vinken: Ich glaube, dass wir in dieser Hinsicht wirklich einen neuen Humanismus erleben, dass dieses Burn-out-Phänomen, diese blinde Unterordnung unter die eigene Funktionsfähigkeit, dass das in den Hintergrund tritt. Und das finde ich interessant, dass ein Register wiederkommt, das eben nicht die Funktionsfähigkeit, die Einsatzbereitschaft, also mit sich trägt, sondern dass eine ganz andere, aus einem ganz anderen Register kommt, dass wir eine Charakterbeschreibung aus einem neuen Zwischenregister jetzt nehmen müssen.

    Köhler: So gut kann Rücktritt tun – die Romanistin und Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken zum Blick auf die Rücktritte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.