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Vom Herrscher fürs Volk

Sie umfasst 620 Skulpturen. Eine schöner als die andere. Die meisten dieser Skulpturen werden von Kunstexperten als unbezahlbare Meisterwerke bezeichnet. Wie zum Beispiel die fast zwei Meter große "Hestia Giustiniana”. Sie ist so gut wie komplett erhalten. Und das, obwohl sie zirka 2.000 Jahre alt ist. Oder der Porträtkopf des Eutidemus: der Kopf eines alten Mannes mit einer Art Hut. Das Porträt ist von einem unbekannten Künstler so perfekt gestaltet worden, dass selbst Barthaare und kleinste Falten um die Augen und am Hals zu sehen sind. Das Gesicht des antiken Menschen scheint zu sprechen. Zu sehen allerdings hat den Eutidemus und die Hestia Giustiniana seit über 25 Jahren fast niemand bekommen. So lagen diese beiden und die anderen Kunstwerke der Sammlung Torlonia in einigen Kellern der italienischen Hauptstadt, weiß Alberta Campitelli aus dem Kulturassessorat der Stadt Rom:

Thomas Migge berichtet |
    Mit dieser Sammlung wurde Anfang des 19. Jahrhunderts begonnen. Es war Alessandro Torlonia der alles das aufkaufte, was andere römische Aristokraten abstießen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Auf diese Weise gelang es dem Fürsten Torlonia eine unglaublich große Skulpturensammlung zusammenzustellen. Schließlich wurde die Kollektion so umfangreich, dass die Torlonia Mitte des 19. Jahrhunderts ein Museum einrichteten.

    Ein Museum in einem ihrer Paläste - der prächtigen Stadtresidenz, dem Palazzo Torlonia in der zentralen Via Corsini. Ein langer Block von einem Gebäude mit zahllosen Sälen. Darin wurden die Skulpturen aufgestellt - zur Freude aller Besucher Roms. 1948 wurden der Palazzo und sein Inhalt unter staatlichen Schutz gestellt - fortan durften die Eigentümer, die Torlonia, weder einen Gegenstand der Sammlung verkaufen noch das historische Gebäude umbauen. Genau das aber taten die Fürsten. 1977 beschlagnahmte der Staat den Palazzo Torlonia, weil es sich die Fürsten doch tatsächlich erlaubt hatten, ihre Residenz klammheimlich in 93 Miniappartements umzubauen und gewinnbringend zu verkaufen. Die Sammlung Torlonia landete, wie staatliche Kunstschützer zu ihrem Entsetzen herausfanden, in verschiedenen Kellern anderer Residenzen. Alberta Campitelli:

    Es handelte sich beim Palazzo Torlonia um ein beeindruckendes Gebäude, das lukrativ verscheuert wurde. Die Skulpturen befinden sich noch heute in den Kellern. Schon mehrfach protestierten die UNESCO und bekannte Kunstexperten gegen diesen Skandal. Die Torlonia, die fortan in der Villa Albani lebten, kümmerten sich nicht weiter um die Sammlung.

    Sie war ihnen ein Klotz am Bein geworden. Da italienische Gesetze den Verkauf der kompletten Sammlung oder einzelner Werke ins Ausland untersagen ließen die Torlonia die Kunstwerke in den Kellern - wo sie vor sich hinstauben und, wie einige wenige Besucher bemerkten, vollkommen unsachgemäß untergebracht sind. So wird berichtet, dass einige Skulpturen unter der großen Feuchtigkeit in den Kellerräumen litten und dringend restauriert werden müssten. Doch nichts geschieht. Immer wieder klagen Kulturminister und Kunstexperten gegen diese Situation - doch die Torlonia geben sich taub.

    Der Vorstoß von Silvio Berlusconi könnte dem Schicksal dieser weltweit einmaligen Kunstsammlung nun eine Wende geben. Geld genug hat der italienische Ministerpräsident. Schließlich gilt er als der reichste Politiker der Welt mit einem Privatvermögen von rund fünf Milliarden Euro. Was sind da schon 130 Millionen Euro mit denen, so gut informierte Kreise aus dem Umfeld des Regierungschefs, die antiken Skulpturen aufgekauft werden sollen?

    Nach abgeschlossenem Kauf der Sammlung, so berichtet die Tageszeitung "La Stampa”, wolle Berlusconi die Kunstwerke aus Privatmitteln erwerben dem italienischen Staat schenken. Ein sehr großzügiges Geschenk. Doch fragen sich viele, warum Berlusconi sich zu so einem Schritt entschieden haben könnte. Bisher ist der Medienzar noch nie als Kunstfreund oder gar als Mäzen in Erscheinung getreten:

    Die Geschichte des Verfalls dieser Sammlung ist lang und eigentlich sollte man sich also freuen, wenn sich das jetzt ändern könnte. Doch was treibt den Ministerpräsidenten eigentlich dazu, soviel Geld aus seinem Privatvermögen für eine Schenkung an den Staat lockerzumachen. Hoffentlich steckt nicht irgendeine geheime Absprache dahinter, um den Torlonia einen Gefallen zu tun.

    Genau das aber vermutet man bei ItaliaNostra - der größten privaten Vereinigung zum Schutz der Kulturgüter. ItaliaNostra vermutet, dass Berlusconi nicht nur mit dem Aufkauf der Skulpturen-Sammlung den Torlonia, denen er freundschaftlich verbunden ist, entgegenkommen will. Seit Jahren plant die Fürstenfamilie im Park der Villa Albani einen Neubau, der gewinnbringend vermietet oder verkauft werden soll. Solch ein Projekt untersagt aber das Gesetze zum Schutz historischer Grünflächen. Indiskretionen zufolge will Berlusconi das Gesetz umgehen und den Torlonia die langerwartete Bauerlaubnis für ihren Park geben.

    Offen bleibt die Frage, was mit den aufgekauften Kunstwerken geschehen soll. Bevor sie irgendwo ausgestellt werden können, müssten sie erst einmal gründlich restauriert werden. Das kostet. Zuviel für ein Kulturministerium, dass mit knapp 1,5 Prozent am jährlichen Gesamthaushalt der Regierung nicht weiß, wie es überhaupt über die Runden kommen soll. Erst vor wenigen Wochen hatte Kulturminister Giuliano Urbani erklärt, dass sein Ministerium nicht einen einzigen Euro übrig habe, um neue Museumsstrukturen zu finanzieren. Vielleicht könnte ja auch in diesem Fall Berlusconi als Mäzen auftreten: wenn er schon soviel Geld hat, um die komplette Sammlung Torlonia aufzukaufen, dann kann er doch auch gleich ein neues Museum errichten. Die Kosten dafür kann er übrigens von den Steuern absetzen.

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