Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Vom KPD-Mitglied zum Antikommunisten

Er wurde als junger Psychologe in Berlin zum Kommunisten und trat begeistert in die KPD ein. 1937 im Pariser Exil jedoch gehörte Manès Sperber zu denen, die entsetzt über die Moskauer Prozesse der Partei den Rücken kehrten. Aus dem dogmatischen Kommunisten wurde ein dogmatischer Antikommunist. Sein Leben lang ließ Sperber das Thema seines jugendlichen Irrtums nicht mehr los.

Von Ariane Thomalla | 12.12.2005
    Oktober 1983. In der Bundesrepublik protestiert die Friedensbewegung mit Sitzblockaden, Menschenketten und symbolischen Besetzungen gegen den NATO-Doppelbeschluss und die Aufstellung der Pershing II-Raketen. In der Frankfurter Paulskirche wird der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Manès Sperber verliehen. Zwei Auffassungen von Frieden prallen aufeinander. Sperber, der sich einst vom moskautreuen Kommunisten zum nicht weniger dogmatischen Antikommunisten gewandelt hat und 1968 sogar der Studentenbewegung jede Wahrheit absprach, greift auch jetzt mit einem scharfen Plädoyer für die Abschreckungspolitik seine Gegner an:

    "Wer anstatt über die Quelle und die Gründe der Kriegsgefahr nachzudenken, seinen leidenschaftlichen Protest nur auf die Waffen, und wären es die mörderischsten, reduziert, erliegt der heute weit verbreiteten Neigung, die Mittel mit den Zielen zu verwechseln."

    Die Grünen fordern, Sperber solle den Friedenspreis zurückgeben. Doch hält er die Rede, von der er fand, dass sie eine seiner pazifistischsten sei, schon nicht mehr selbst. Alfred Grosser verliest sie für den Schwerkranken, der fünf Monate später in Paris, seiner zweiten Heimat, mit 79 Jahren stirbt.

    Seine erste Heimat war die kleine Stadt Zablotow am galizischen Rand der Donaumonarchie, die Anfang des Jahrhunderts zu 90 Prozent von Juden bewohnt war, chassidischen Juden. Ein Ort der Gesetzestreue und Heilserwartung, aber auch des Hungers und der Hässlichkeit. Das klassische, im Zweiten Weltkrieg "ermordete Schtedl", dessen Vernichtung Sperber nie verwand:

    "In einem Jahrhundert, in dem es einen Hitler gegeben hat und Auschwitz, bin ich natürlich hundertmal mehr Jude noch, als ich sonst gewesen wäre."

    Sein Vater, der aus einer alten Rabbiner-Familie stammte, war der Geldverleiher des Orts. Er konnte es sich leisten, seinem hochbegabten Jungen einen Lehrer aus Wien in dieses Haus mit Bediensteten, Kutschen und Pferden kommen zu lassen. Doch der Junge war sozial sensibel.

    "Sehr wichtig ist, dass ich einer Familie angehörte, die für dortige Verhältnisse wohlhabend war, in einer fast feudalen Art wohlhabend – gemessen an der unendlichen Armut, die uns umgab – im Schtedl. Diese Armut war so ungeheuer, dass man mit hineingerissen wurde in ein Problem, das man als brennend empfand, denn ich war natürlich mit den Kindern auf der Gasse zusammen, denn in dem Schtedl gibt es eine Gemeinschaft."

    Aus all dem habe er gelernt -

    "Dass die Welt nicht nur besser werden kann, sondern besser werden muss und besser werden wird."

    Im Ersten Weltkrieg geriet Zablotow zwischen die Fronten. Die Eltern flohen mit dem Elfjährigen nach Wien, wo Armut und Antisemitismus die Familie einholten. Der junge Sperber schloss sich einer revolutionären jüdischen Pfadfinderbewegung an. Mit sechzehn legte er Alfred Adler, dem Begründer der Individualpsychologie, einen Essay über die Psychologie des Revolutionärs vor.

    Adler machte Sperber zu seinem Schüler und betraute ihn überraschend früh mit der Therapie von Kindern und Jugendlichen. Er schickte den jungen Psychologen mit 22 nach Berlin. Dort konvertierte der zum Kommunismus, was zum Bruch mit Adler führte, der die Individualpsychologie verraten sah.

    1933 geriet Sperber kurz in Haft als Kommunist, konnte jedoch danach über Jugoslawien nach Paris entkommen, wo ihm 1937 die Moskauer Schauprozesse die Augen öffneten. Er folgte dem Beispiel von Hans Sahl und Arthur Koestler und verließ die Partei.

    Noch ein Jahr zuvor war es Sperber, der in der Kampagne gegen Leopold Schwarzschild, dem Herausgeber der Zeitschrift "Das Neue Buch" und Kritiker der Moskauer Verbrechen, agitierte, er sei ein von Goebbels bezahlter Agent.

    Zum Schriftsteller wurde Manès Sperber erst mit 44 Jahren, wobei ihm das Leiden an seinem fundamentalen Lebensirrtum die Feder führte. Neben seiner zuletzt verfassten Autobiographie "All das Vergangene" war auch die (über 1000 Seiten umfassende) erfolgreiche Romantrilogie "Wie eine Träne im Ozean", die Arthur Koestler als "die Saga der Komintern" bezeichnet hat, weitgehend autobiographisch.

    "Ich bin weiterhin Sozialist. Aber ich weiß nicht genau, was das ist - Sozialismus. Ich glaube, dass man ununterbrochen kämpfen muss für die Verbesserung der Lage, dass alle Menschen die gleichen Ausgangsrechte haben."