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Vom Scheitern des Populisten

Die Oper über den Plebejer Cola di Rienzo im Rom des 14.Jahrhunderts, der sich zum Anführer einer Rebellion gegen die Adelspartei macht, war von Richard Wagner damals gedacht als Signal für einen Umsturz. Angeblich liebte Hitler das Werk - ein durchaus schwieriger Stoff, den sich Philipp Stölzl vorgenommen hat.

Von Georg-Friedrich Kühn | 25.01.2010
    Der Diktator sitzt in weißer Paradeuniform träumend vor dem Panoramafenster seines Berghofs. Er lässt Arme und Beine baumeln zu den Klängen des Vorspiels, dirigiert mit, rollt sich auf den Tisch, tanzt drum herum, schlägt Rad, fliegt wie Batman durch den Weltenraum seiner Allmachtsfantasien.

    Und wenn seine blond-vollbusige Schwester mit BDM-Zöpfchen-Kranz hereinschaut, landet er bei ihr, als wäre sie seine Geliebte. Dann Cut. Fritz-Lang-"Metropolis"-Kulissen, Straßenkampf. Die um die Macht ringenden Parteien und Gruppen bedrohen einander, mit Gesichtsmasken vermummt.

    Wenn der Kampf entschieden, der Plebejer Rienzi zum neuen Herrn der Stadt proklamiert ist, streifen die Leute ihre Masken ab und uniformieren sich. Die Frauen mit weißen Schürzen und dem Markensiegel "R", die Männer im Soldatenrock.
    Auf den Aspekt des großen Einzelnen und der Masse hat Regisseur Philipp Stölzl Wagners Frühwerk "Rienzi" an der Berliner Deutschen Oper fokussiert. Die eigentliche Fünf-Stunden-Oper hat er halbiert.

    "Das Stück spiegelt auf verrückte Weise eine ganze Reihe von 'rise-and-fall'-Geschichten von Diktatoren im 20. Jahrhundert. Da kann man an Mussolini denken, an Hitler, natürlich an Stalin, an George Orwell denkt man ein bisschen, vielleicht auch ein bisschen an Ceausescu. Da ist viel vorweggenommen: Was passiert so mit der Masse und dem Einzelnen und dem großen Verführer, wie schleicht er sich in die Herzen der Leute und wie fällt er auch wieder."

    Viel wird hier stumm verharrt oder marschiert in gerasterten Blöcken vor dem immer wieder medial auf sein Volk herab gestikulierenden Führer im breitkrempigen Pelzkragenmantel.

    Im zweiten Teil dann ist die Bühne geteilt. Oben rollen die Panzer, wärmen sich die Menschen an der Gulaschkanone. Im Bunker drunter bastelt "R" an seinem Vermächtnis, dem neuen Rom – Hitler-Speers Berlin-Germania-Kuppelhalle.

    Das berühmte Gebet des Rienzi deutet Stölzl als pathetische Untergangsvision des immer einsameren Führers. Torsten Kerl singt den Rienzi mit Kraft aber auch etwas engem Farbspektrum.
    Sebastian Lang-Lessing am Pult stieß als Einspringer erst spät zum Team, konnte die Strichfassung kaum beeinflussen. Das Liebesverhältnis des eigentlich zur Gegner-Fraktion gehörenden Adriano mit Rienzis Schwester Irene bleibt hier eher marginal.

    Auch fördert die Straffung des Stücks auf die Rienzi- und Massenszenen die Spannung nicht. Immerhin zeigt Stölzl Rienzis Falschspiel, wenn der vorn seinen Gegnern von der Adelspartei Absolution erteilt und sich mit ihnen ablichten lässt – und hinten werden die dann abgeknallt. Oder es gelingen Stölzl kleine Gags, wenn Rienzi sein Modell-Berlin einpackt, die Siegessäule auf die Germaniakuppel als i-Tüpfelchen setzt, dann lässt er um die übereinander getürmten anderen Modelle eine V2 kreisen.

    Deutlicher wird im Bunker auch das inzestuöse Verhältnis R's zu seiner Schwester, die hier immer mehr der Hitleranbeterin Magda Goebbels ähnelt: wie sie ihn umschnurrt, wie sie den zuletzt nur noch in geisterhaften Bildern seine Video-Botschaften mit Parkinson-Zucken bellenden Führer anhimmelt. Gleich ihm wird sie am Ende hingerichtet. Adriano hat nur die Tote für sich allein.
    Musikalisch ist das zumal mit Kate Aldrich als Adriano und Camilla Nylund als Irene in besten Händen. Viel Beifall gab es am Ende auch für den Chor. Philipp Stölzl und sein Team sahen sich mit einem auf Orkanstärke wachsenden Buh-Sturm konfrontiert. Zu eindimensional erscheint die Sicht des Regisseurs. Im Grunde ist es wie bei einer Werbebotschaft. Man weiß von Anfang an, was hinten raus kommt.