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Vom schönen Schein der Dinge

Die Sonne gibt es nicht, sie scheint nur so. Das ist kein Scherz eines Psychiaters, sondern gern zitiertes Bonmot von Physikern, die sich nicht nachsagen lassen wollen, naturwissenschaftliche Langweiler zu sein. Mit den trügererischen Ansichten des Seins befasst sich die französische Künstlerin Sophie Calle. Sie ist eine Installations- und Konzeptkünstlerin, die keine Werke im engeren Sinne schlaft, sondern aus gesellschaftlichen Beobachtungen und Experimenten Anschauungsmaterial produziert.

Von Carsten Probst |
    Am Beginn stand eine Art Verführung – Ende der siebziger Jahre lud Sophie Calle eine Reihe von Bekannten zu sich ein, jeweils allein eine Nacht in ihrem Bett zu verbringen. Im Gegenzug mussten sich ihre Gäste dafür während des Schlafs fotografieren lassen. Zwei intime Rückzugsorte, das Bett und der Schlaf, wurden von Sophie Calle auf diese Weise behutsam entgrenzt.

    Hat man verstanden, worum es geht, so geht einem die Vorstellung dieser gegenseitigen Preisgabe zwischen Beobachter und Beobachtetem schnell unter die Haut. Die an sich zunächst kaum aussagekräftigen Fototafeln mit jungen Leuten vor, während und nach dem Schlaf enthüllen erst durch den nüchtern beigegebenen Erläuterungstext ihre Bedeutung. Und so geht es mit allen anderen Installationen auch.

    Zum Beispiel bei der ebenfalls noch zum Frühwerk gehörenden Geschichte mit dem Detektiv. 1980 ließ sich die Künstlerin einen Tag lang beschatten, wobei sie wiederum zeitgleich ihren Beobachter bei der Arbeit beobachten ließ. Beide Versionen stehen einander in der Installation wie Spiegel gegenüber, immer an der Grenze zur Fiktion. So unnahbar die beobachteten Gestalten sind, so verletzlich werden sie zugleich durch diesen Vorgang der Beobachtung.

    Es ist, so gesehen, kein Wunder, dass Sophie Calles Werk immer auch vom Schmerz, der Verletzung der Persönlichkeit handelt, worauf auch der provozierend gemeinte Titel der Ausstellung "M’as-tu vue?"/"Hast du mich gesehen?" anspielt. Denn bei allen Diskussionen, die um den Tod des Subjekts und das Ende der Kunst geführt wurden, blieb vor allem auch die Sprache für diese Erfahrung auf der Strecke: für die Erfahrung der Verletzbarkeit der individuellen Sphäre. Nicht wenige Besucher verharren mittlerweile bei Ausstellungen geradezu andächtig vor Sophie Calles großflächigen Wandbildinstallationen, die ein altes verschüttetes Bedürfnis zu bedienen scheinen, das Bedürfnis nach Selbstbegegnung in der Kunst. Da verzeiht man der zierlichen Französin durchaus auch ihre zeitweiligen Ausflüge ins Pathos, etwa, wenn sie auf großen Bildtafeln über gleich mehrere Räume hinweg Trennungsgeschichten wie einen persönlichen Kreuzgang regelrecht zelebriert.

    Diesen merkwürdig gewucherten Arbeiten fehlt es allerdings an der gewohnten Vielschichtigkeit. Am besten funktioniert Sophie Calles Bilderwelt immer dann, wenn sie andere zum Spiegel ihrer eigenen fortwährenden Selbstbeobachtung macht. Wenngleich nicht in dieser Ausstellung, weil erst kürzlich in anderem Rahmen in Berlin zu sehen, sind hier Calles Arbeiten mit Blinden zu nennen. Die Blinden beschreiben Farben von Bildern, die sie nie gesehen haben, und anschließend werden diese Beschreibungen Kunstexperten vorgelegt, die daraus die gemeinten Bilder wieder erkennen sollen. Oder die Blinden erzählen durchaus erschütternde und anrührende Erinnerungen von Orten, mit denen sie intime Erlebnisse verbinden.

    Diese Spielart hat Calle seit Mitte der neunziger Jahre immer weiter getrieben und mit einer fast ironischen Wendung auch auf die Politik bezogen. So befragte die Französin die Bewohner Ostberlins nach ihrer Erinnerung an verschwundene Denkmale und Staatssymbole der ebenso verschwundenen DDR. Aber wie man es auch dreht und wendet: Das Verschwundene, das Abwesende ist in Sophie Calles Werken vor allem eine Metapher für die große, noch immer so unerforschte Leerstelle, die man sich angewöhnt hat, als "das Ich" zu bezeichnen.

    Unerforschlich, wenngleich in einem ganzen anderen, viel banaleren Sinn, bleiben einstweilen auch die museumspolitischen Bizarrerien, die sich im Vorfeld dieser Ausstellung zugetragen haben müsse. Denn wie es heißt, sollen die Staatlichen Museen zu Berlin die Übernahme dieser immerhin im Pariser Centre Pompidou höchst erfolgreichen Schau abgelehnt haben. Angesichts dessen, dass Sophie Calle mittlerweile zu den bedeutendsten zeitgenössischen Künstlerinnen Europas gehört, stellt sich allerdings die Frage, was Peter-Klaus Schuster, den Generaldirektor der Staatlichen Museen, zu dieser Absage bewogen haben dürfte?

    Fest steht, dass nur aufgrund einer Initiative von Sophie Calles Berliner Galeristen Matthias Arndt gemeinsam mit der Berliner Festspiele GmbH diese Ausstellung überhaupt nach Berlin geholt werden konnte. Da geflissentlich Schweigen über diese Angelegenheit gebreitet wird, bleiben einstweilen nur Spekulationen. Die Beziehungen zwischen Centre Pompidou und Staatlichen Museen seien schon länger äußerst gespannt, heißt es da, denn zwischen beiden Kunstzentren sei eine Art Profilierungs- und Abnutzungskampf um den ersten Rang auf dem europäischen Festland im Gang, der zuletzt beim massiven Feilschen Berlins um die MoMA-Ausstellung zutage trat, als die Freunde der Neuen Nationalgalerie alle Hebel in Bewegung setzten, Paris und das Centre Pompidou als zweiten europäischen Ausstellungsort für das MoMA auszubooten. Was schließlich ja auch gelang. Am Ende aber werden wir wohl nie ganz erfahren, ob solcherlei Rankünen musealer Geltungssucht es waren, die beinahe die großartige Schau von Sophie Calles Werk in Berlin vereitelt hätten.