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Vom Staat vergessen

Italiens Wirtschaftswissenschaftler schlagen Alarm, denn kein anderes Land in Europa tut volkswirtschaftlich gesehen so wenig für die junge Generation wie Italien. Die Renten wurden in den vergangenen Jahren immer wieder erhöht. Kindergeld und Elterngeld wie in Deutschland gibt es nicht. Dazu kommt eine enorme Staatsverschuldung. Konkret heißt das: Auf jedem jungen Italiener lasten 80.000 Euro Schulden. Kirstin Hausen berichtet.

    Samstagvormittag ist Markt in der Viale Papiniano in Mailand. Hier gibt es alles: Lebensmittel,
    Bücher, Nippes, aber vor allem: Kleidung. Darunter echte oder gefälschte Markenware zum Schleuderpreis. Hinter einem Stapel Jacken und Mäntel dreht sich eine junge Frau vor dem Spiegel.

    "Das ist genau das, was ich gesucht habe: eine schicke Kostümjacke fürs Büro. Was Elegantes. Mal sehen, wie viel sie kosten soll. Wer weiß, vielleicht haben wir ein Schnäppchen gemacht."

    30 Euro sind der jungen Frau dann doch zu viel. Sie ist studierte Kunsthistorikerin und arbeitet drei Tage die Woche in einer Galerie. Am Wochenende betreut sie einen Malkurs für Kinder und manchmal jobbt sie abends als Kellnerin. Zusammen mit ihrem Freund teilt sie sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung im Norden Mailands. Nach ihrem Universitätsabschluss hoffte sie auf eine feste Stelle und wollte eine Familie gründen, ein Kind bekommen.

    "Aber dann haben wir Geldprobleme bekommen. Dabei hatten wir gehofft, eine Wohnung kaufen zu können, um mehr Platz zu haben. Das ist das Hauptproblem: Neben der Schwierigkeit, drei Personen durchzubringen statt zwei, brauchen wir auch eine größere Wohnung, um ein Kind unterzubringen."
    Staatliche Hilfen für junge Eltern gibt es in Italien kaum. Wer keine Verwandten hat, die im Notfall finanziell einspringen können, vertagt den Kinderwunsch auf bessere Zeiten. Außerdem lehnen gerade junge, gut ausgebildete Frauen die Familie als soziale Absicherung immer öfter ab. Sie wollen unabhängig sein vom Geld und den damit eventuell verbundenen Erwartungen und Ratschlägen der Eltern und Großeltern. Der Soziologe Emilio Reyneri von der Universität Mailand:

    "In Italien bekommen die Frauen nur sehr wenige Kinder, aber in Interviews sagen sie uns, dass sie gerne mehr hätten. Es klafft ein Graben zwischen der Zahl der Kinder, die tatsächlich geboren werden und der Zahl der Kinder, die man gerne bekommen würde. Der Graben ist größer als in anderen Ländern. Das heißt, der Frust ist größer."

    Frust, Unzufriedenheit, manchmal auch Verzweiflung prägen das Lebensgefühl der jungen Italiener. Der Informatiker Piero Motta, 31 Jahre alt und ohne feste Stelle, beschreibt das so:

    "Es fehlt an einer Perspektive für die Zukunft. Da ist kein Gefühl, in einen funktionierenden Arbeitsmarkt einzutreten, sondern einfach nur das Gefühl, nicht zu wissen, wo man morgen steht. Was wird aus der Arbeit, aus der Pension? Das sind alles Dinge, die als Perspektive in Italien vernichtet worden sind. Und das nimmt den Leuten den Atem, entmutigt sie. Auf diese Situation sind sie nicht vorbereitet, weil die Schule in Italien dich auf einen Arbeitsmarkt vorbereitet, den es nicht mehr gibt."

    Die Regierung von Romano Prodi hatte im Wahlkampf den Zeitverträgen den Kampf angesagt. Inzwischen stehen aber nicht die Berufseinsteiger im Mittelpunkt der Politik, sondern die Rentner. Die von der Regierung Berlusconi beschlossene Heraufsetzung des Pensionsalters wurde teilweise zurückgenommen, so dass man auch 2008 noch mit 58 Jahren in Rente gehen kann. Für den Wirtschaftswissenschaftler Giorgio Barba Navaretti hat die Regierung von Romano Prodi den jungen Italienern damit einen Bärendienst erwiesen.

    "Um das zu finanzieren, hat man die Rentenbeiträge derjenigen erhöht, die befristete Arbeitsverträge oder Projektverträge haben. Und wer hat diese Verträge? Vor allem die Jungen, die Berufsanfänger. Man bittet also einmal mehr die jungen Leute zur Kasse, um die Rentner zu finanzieren."

    Reformen, die das Ungleichgewicht zwischen den Generationen korrigieren, sind nicht mehrheitsfähig und werden deshalb verschoben. Ab der nächsten Legislaturperiode soll es nach dem Willen der Regierung von Romano Prodi weniger Minister und Unterstaatssekretäre geben. Die Kosten der Politik sollen drastisch reduziert werden. Morgen, nicht heute. Das Motto gilt einmal mehr, weil die Regierungskoalition nur über eine hauchdünne Mehrheit im Senat verfügt. Über Romano Prodi baumelt das Damoklesschwert der Regierungskrise. Das war und ist keine gute Ausgangslage für innenpolitische Reformen.