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Vom Stall auf die Straße

Für die Produktion von Laufschuhen sind in Zeiten der Globalisierung vor allem drei Länder zuständig: China, Vietnam und Indonesien. Deutschland jedoch gilt als zu teuer. Falsch, sagen da zwei Hamburger Unternehmer. Nach Erfahrungen mit sechs Laufläden starten die beiden in diesen Tagen die Produktion in ihrer eigenen Laufschuhmanufaktur. Qualität statt Masse soll die Kunden überzeugen. Am Montag werden die edlen Treter erstmals auf einer Messe vorgestellt.

Von Verena Herb |
    Schon von weitem kann man ihn sehen. Gleich hinter dem Ortschild von Düssin, einem beschaulichen 200-Seelen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, führt die Straße rechts runter zum Kuhstall. Genauer gesagt: zum ehemaligen Kuhstall. Das Muhen des Rindviehs und das Scharren ihrer Hufe ist dem Fortschritt gewichen.

    Ein Teil des Stalls ist nun eine große Halle, mit weiß getünchten Wänden. Ein lautes Zischen füllt den Raum. Rollen mit farbigem Kunstleder hängen in Eisenvorrichtungen. Eine Maschine schneidet per Hochdruckwasserstrahl Kunststoffplatten zurecht, gleich gegenüber faucht eine Fräsmaschine.

    Längst wird hier kein Heu mehr verfüttert oder Milch gemolken. Hinter den roten Backsteinmauern des imposanten Gebäudes befindet sich die einzige Laufschuhmanufaktur Deutschlands.

    " Im Kern ist das hier eine relativ einfache Idee: Wir wollen das, was an Sportschuhen da ist, besser machen. Durch bessere Materialien, die wir etwas besser zusammen setzen. Wenn man dann ins Detail geht, dann muss man natürlich sagen: hier hinter steckt eben eine Schuhfertigung, und die ist eben schon so kompliziert wie ein Auto, nur dass alles weich ist. "

    Die beiden Brüder Lars und Ulf Lunge wissen, was sie wollen. Seit drei Jahrzehnten sind die Hamburger in der Branche: Sechs Fachgeschäfte für Laufschuhe haben sie in Hamburg und Berlin. Mit 30 Mitarbeitern machen sie drei Millionen Euro Umsatz. Doch der Verkauf von Schuhen allein reicht ihnen nicht: Sie wollen den perfekten Laufschuh produzieren.

    " Letzten Endes ist das ein Lebenstraum. Seit 30 Jahren sitzen wir in den Läden und beraten Leute. Und immer verkaufen wir den Krams von anderen Leuten. Und endlich haben wir die Sache unter Kontrolle und können sagen: Bei uns scheuern die Fersenkappen nicht mehr durch. "

    Was macht den Lunge-Laufschuh so besonders?

    " Das Besondere ist die Mittelsohle, die wir aus Blockware herausfräsen. Unser Material hat halt den Vorteil von klassischem Gummi. Wie bei Autoreifen: Eine deutlich höhere Abriebfestigkeit. Jedes Einzelne, selbst der Faden ist ein KO-Kriterium. Wenn Sie einen Faden einsetzen, der ihnen am Fuß scheuert oder ihnen durchreibt, dann können Sie den Schuh wegschmeißen. "

    Die Lunge-Brüder prophezeien, dass das mit ihren Schuhen nicht passiert. Sie selbst testen sämtliche Prototypen. Der beste Indikator: ihre eigenen Füße. Beide sind Mitte 40, drahtige durchtrainierte Typen. Langstreckenläufer eben. Genau wie im Sport brauchen die Lunges auch für ihr Laufschuh-Projekt einen langen Atem: Vor knapp zwei Jahren ersteigerten sie das alte Gebäude in Mecklenburg-Vorpommern. 20.000 Euro haben sie bezahlt für 6600 Quadratmeter. Seitdem wird das Bauwerk renoviert und umgebaut. Die Produktionshalle ist als einziges fertig. Wenn der letzte Stein gelegt und die Maschinen laufen, haben die Brüder einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag investiert. Die genaue Zahl wollen sie nicht verraten. 43 Prozent der Investitionssumme kommt aus den Förderkassen des Landesförderinstituts, der Europäischen Union und Denkmalzuschüssen.

    " Letztendlich wird es darauf hinauslaufen, dass wir ein gutes Drittel dazu kriegen, wenn es gut läuft. Wenn nicht dann nicht, "

    erklärt Ulf Lunge.

    Premium-Sportschuhe aus der ostdeutschen Provinz? Da denkt nicht jeder gleich an einen "Kassenschlager". Doch die Wahl Mecklenburg-Vorpommerns als Produktionsstandort ist wohl überlegt. Nicht zuletzt, weil die Lohnkosten im Osten niedriger sind. Fünf Beschäftigte arbeiten seit Oktober 2007 für Lars und Ulf Lunge. So wie Mario Behnke. Der 37-Jährige ist gelernter Schuhmacher und kommt aus dem zehn Kilometer entfernten Tessin. Er ist froh, wieder in seinem alten Beruf arbeiten zu können. Das Bedienen der Fersenkappenvorformmaschine für ihn kein Problem.

    Am anderen Ende der Halle beugen sich drei Frauen über einen halbfertigen Sportschuh. Vor ihnen liegen Schuhrohlinge aus kreischend grünem Kunstleder und weißem Netzgewebe.

    " Was genau machen Sie jetzt hier? "

    " Ich steppe alle Lederteile, die aufgenäht oder aufgeklebt werden, die steppe ich dann erstmal zusammen. "

    Steppen heißt im Schuhjargon nichts anderes als nähen. Ulf und Lars Lunge sind über die neuesten Entwicklungen der Branche, über die Innovationen von Asics, Nike oder Brooks bestens informiert. Die produzieren meist in Fernost. Das haben Lunges auch probiert. Vor 15 Jahren - sind aber kläglich gescheitert.

    " Entweder war es der Ideenklau oder dass die Qualität nicht gestimmt hat, weil Sie eben auch ein gewisses Potential investieren müssen, um die Qualität und die Produktion dort vor Ort zu überwachen, "

    erklärt Lars Lunge und macht deutlich:

    " Man kann in Deutschland bauen. Das ist rentabel. Wenn man wirklich auf Topqualität setzt. Topqualitäten sind die Zukunft. Alles andere kann man vergessen. "

    Die Lunge Brüder müssen 15.000 Paar Schuhe pro Jahr verkaufen, um zu überleben. Sie planen, zum Ende des Jahres den Breakeven zu erreichen und kostendeckend zu arbeiten. Im Laufe der Zeit soll die Modellpalette erweitert und auch auf individuelle Kundenwünsche eingegangen werden können. Ein ehrgeiziges Ziel.

    " Es gibt da schon manchmal schlaflose Nächte. Es gibt da immer mal wieder Aspekte wo man sagt: Mensch, ist das nicht vielleicht doch ein bisschen groß, ist das nicht doch zu schwer? Wenn ich aber zu den Modellen blicke und die laufe, dann sage ich: Nee, ist schon alles okay! "

    Im April sollen die ersten Schuhe an Händler ausgeliefert werden. Ein Paar Lunge-Laufschuhe kostet dann um die 200 Euro.